X-Fighters:Schwung-Rad

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In Spaniens größter Stierkampfarena treffen sich die zehn besten Freestyle-Moto-Cross-Fahrer. Ein Blick hinter die Kulissen.

Thomas Becker

Um kurz vor elf ist die Karriere von Travis Pastrana eigentlich vorbei. Der Vollmond steht genauso unbeweglich über der Stierkampfarena wie der blecherne Wetterhahn, der natürlich ein Bulle ist. 23.000 Menschen brüllen sich die Seele aus dem Leib - und doch scheint die Zeit kurz still zu stehen. Der Allesgewinner der vergangenen zehn Jahre hat in seinem letzten Wettkampf doch noch seinen Meister gefunden.

So sehen es viele. Auch er selbst. Am Ende des Halbfinales gegen den jungen Spanier Dany Torres ergibt sich Pastrana in die Niederlage, lässt sein Motorrad über den Hügel flippen und gibt damit das Zeichen: "Das war's, der Junge ist besser." Als sie auf die Wertung der Juroren warten, zeigt Pastrana auf Torres - er hat gewonnen, ich bin raus.

Ist er nicht. Die Punktrichter machen es spannend, und erst als der fünfte und letzte endlich seine Tafel zieht, steht es 3:2 - für den ewigen Sieger. Wachablösung verschoben, Pastrana einmal mehr im Finale der Red Bull X-Fighters, des bedeutendsten Freestyle-Moto-Cross-Wettkampfs der Welt.

Seit fünf Jahren treffen sich die zehn besten Freestyler am Plaza de Toros de Las Ventas in Spaniens größter Stierkampfarena im Nordosten Madrids, einem Schmuckstück aus rotem Backstein, eröffnet 1931. Im Sommer finden hier jeden Sonntag Stierkämpfe statt. Nur an einem Wochenende im Juli weichen die Toreros auf Montag aus: Wenn die FMXler kommen. Dann werden fünf Sprungrampen aufgestellt, wird aus 6000 Tonnen Sand ein fünf Meter hoher Aufsprunghügel für die Motorradakrobaten gebastelt.

Verrenkungen über, unter und neben 100-Kilo-Bikes

Fast 30 Meter weit und zehn Meter hoch fliegen sie mit 50 km/h durch die Arena und vollführen dabei Verrenkungen, die jedem Bodenturner zur Ehre gereichen. Cliffhanger Backflip, Superman, Lazyboy Flip, Tsunami, Indian Air oder Dead Body heißen die Figuren über, unter und neben den mehr als 100 Kilo schweren Zweitaktern. 90 Sekunden dauert eine Kür; mehr als fünf, sechs Sprünge sind da nicht drin.

Doch nicht nur der Schwierigkeitsgrad der Tricks zählt: Ein Punktrichter bewertet ausschließlich den Unterhaltungswert der Darbietung und die Stimmung im Publikum. In Las Ventas hat Vitantonio Liuzzi diesen Job. Der Formel-1-Pilot aus dem Rennstall Torro Rosso eröffnet die wilde Jagd: In seinem Boliden fährt er in die Arena ein, die Armada weiß gekleideter Helfer vor sich hertreibend, deren Aufgabe es gewöhnlich ist, den Stier zu reizen. Orkanartiger Jubel. Mehr als drei Stunden hat sich die Menge lärmenderweise eingestimmt. Zig Dutzend Fans haben ihre Motorsäge mitgebracht - ohne Blatt, aber mit gewaltigem Radaupotential. Immer wieder putschen sie sich gegenseitig hoch. Die Musik der bedauernswerten Blaskapelle mittendrin ahnt man mehr, als dass man sie hört.

Jetzt sind auch die Hauptdarsteller in der Arena: die Fahrer auf ihren 50 PS starken 250-Kubik-Maschinen. Sie jagen nun die Weißhemden durchs Rund, das Volk johlt, schwenkt weiße Tücher, der Ansager kräht: "Applauso, applauso!" Las Ventas kocht. Mitten in das Tohuwabohu fliegt der erste Fahrer über die Rampe: Rückwärtssalto, volle Körperstreckung, nur noch die Hände hinten am Sattel. Der Lärmpegel steigt.

Beschreiben können die Athleten dieses Gefühl nur schwer. Fest steht: Es hat mit Adrenalin zu tun und macht definitiv süchtig. Busty Wolter durfte vor zwei Jahren als Erster raus, rein in die euphorisierte Menge: "Da hatte ich ganz schön Gänsehaut. Die waren so laut, ich hab' meinen eigenen Motor nicht mehr gehört." Der Berliner ist der einzige deutsche Starter. Hineingerutscht ist er, weil der Franzose Charles Pages in der Qualifikation stürzte und ein mächtig geschwollenes Knie davontrug.

Busty heißt eigentlich Sebastian, ist gerade 30 geworden und einer der wenigen FMX-Profis in Deutschland. "Sechs bis acht Mann können davon leben", schätzt er, "zwei bis vier fahren auf internationalem Niveau." Und er als einziger bei den X-Fighters. "Das ist größer als jede Weltmeisterschaft", schwärmt er.

Das Klischee ist schnell fertig

Airwastl ist sein Spitzname, und wenn einem der Wastl im Fahrerlager mit nacktem Oberkörper gegenübersitzt, sieht er ziemlich genauso aus, wie man sich einen Freestyle-Motocrosser vorstellt: Wuschelkopf, weiße Sonnenbrille, Cord-Short, Flip-Flops, Adlerschwingen-Tattoo mit der Inschrift "Born to ride", Narben überall, Lieblingsmusik: Punkrock und Rap. Fertig ist das Klischee.

Nur: Es stimmt halt nicht. Gut, die kaputte Schulter mit dem fehlenden Deltamuskel und das zertrümmerte Sprunggelenk kann er nicht wegreden. Doch je länger man sich mit Busty Wolter unterhält, umso mehr mutiert er vom vermeintlich durchgeknallten Draufgänger zum Vernunftsmenschen. Der wilde Hund hat bis vor kurzem noch im Haus der Eltern gewohnt, in Berlin-Zehlendorf. Mit Freundin Maya ist er seit Klassenfahrt und Rosenkauf auf der Piazza Navona vor zwölf Jahren zusammen, musste ihr versprechen, auf dem Bike keine dummen Dinge zu machen. Er besuchte ein humanistisches Gymnasium, studierte Sportjournalismus, war fünf Jahre Redakteur eines Motorradmagazins.

Am Käppi klebt der Sticker: "I love my life". Über die Tricks der Konkurrenz sagt der Senior der Truppe: "Lass das mal die Jungen machen. Das ist mir zu heftig." Seinen ersten Backflip sprang er vor drei Jahren im schwedischen Dünensand. Und sein Riesen-Tattoo war ihm zunächst nicht geheuer: "Aber ich hab' mir sagen lassen, es ist gute Arbeit."

Es sind keine Verrückten, die sich über die Rampen von Las Ventas hauen. Nate Adams, einer der Favoriten, schreibt hoch konzentriert einen Plan für seine Kür auf. "Manche beten vorher", erzählt Busty. Er gibt lieber noch ein Interview: MTV Canada hat zwei bildhübsche Reporterinnen nach Madrid geschickt - und Busty kommt gut vor der Kamera.

So wie Travis Pastrana, der Überflieger der Szene, der Golden Boy, der alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt. Mit 14 war er Weltmeister, und nun mit 23 will er aufhören, lieber Rallye fahren. 2006 gewann er schon die Rallye America. Madrid, nach Mexiko und Slane Castle bei Dublin die letzte Station der X-Fighters-Serie, soll sein letzter FMX-Wettkampf sein. 400 Journalisten sind da; es vergeht keine Sekunde, in der er nicht interviewt, gefilmt, fotografiert wird oder Autogramme gibt. Es scheint ihm überhaupt nichts auszumachen.

Streit um den Helm des Überfliegers

Die Kollegen hocken im Fahrerlager gemeinsam vor dem TV-Gerät und schauen dem Überflieger ein letztes Mal zu, hören "Great Balls of Fire" statt des üblichen Hard Rock - und sehen den gewohnten Sieger. Nach seinem allerletzten Backflip landet er punktgenau auf dem Hügel, lässt die Suzuki stehen, schlägt einen Purzelbaum und geht auf eine lange Ehrenrunde. Seinen Helm wirft er ins Publikum, ein Streit darum entbrennt, Pastrana schlichtet. Als sie ihn schließlich auf den Schultern aus der Arena tragen, ist es kurz vor zwölf und die FMX-Laufbahn des Travis Pastrana zu Ende. Eigentlich.

© SZ vom 11.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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