Tanktourismus:"Die meisten fragen nach der Tankstelle in Österreich"

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In den bayerischen Randgemeinden kämpfen die Tankstellen-Pächter ums Überleben, während die Betriebe im benachbarten Tirol boomen.

Heiner Effern

Der kleine Ort Schwendt in Tirol zeichnet sich eigentlich durch seinen bezaubernden Blick auf den Gebirgsstock des Wilden Kaisers aus. Die Zahl der Gästebetten (650) entspricht deshalb fast der Zahl der Einwohner (730).

Großer Andrang: An den Tankstellen in manchen Nachbarländern bilden sich gelegentlich Staus von mehr als einem Kilometer Länge. (Foto: Foto: ddp)

Aber nicht für seine idyllische Umgebung ist der Ort auf der bayerischen Seite der Grenze berühmt - sondern für seine günstige Tankstelle.

Denn seit Josef Bellinger im Jahr 2001 die deutsche Ökosteuer richtig begriffen hat, genießen die Autofahrer beim Tanken mit Kaiserblick nicht die Natur, sondern die um bis zu 20 Cent billigeren Spritpreise.

"Ist doch klar, dass wir das ausnützen"

Die Kundschaft hier hat einen gemeinsamen Nenner: die Kürzel auf dem Nummernschild lauten RO und TS. "Ist doch klar, dass wir das ausnützen", sagt einer, der seinen Namen nicht nennen will, weil er auch gleich noch leere Kanister auffüllt und nicht als Geizhals gelten will.

Dass für günstiges Benzin in Zeiten der Ökosteuer kein Umweg zu groß und kein Ort zu abgelegen ist, beweist die Station in Schwendt. Denn auf dem Weg dorthin ist kein einziges Hinweisschild zu sehen.

Die Autofahrer aus den bayerischen Landkreisen Traunstein und Rosenheim haben mit der Spürnase der Schnäppchenjäger längst auch die letzte grenznahe Tankstelle gefunden.

Lizenz zum Geld drucken

Für den Unternehmer Josef Bellinger, der einen Betrieb für Betonschneide-Arbeiten hat, ist die deutsche Ökosteuer die Lizenz zum Geld drucken. Früher stand bei ihm im Hof eine einsame Zapfsäule, die nur seine Betriebsfahrzeuge nutzten.

Irgendwann um das Jahr 2000 entschloss er sich, dazu eine Waschanlage zu bauen. Die ersten Kunden - auch aus Deutschland - kamen, und so schnell konnte der findige Bellinger gar nicht waschen, dass die Kunden nicht die Preise an der Zapfsäule lasen.

Und so begann er im Jahr 2001 mit dem Bau einer kleinen Tankstelle, an deren vier Zapfsäulen die bayerischen Autofahrer teilweise mehr als 100 Meter die Straße hinab angestanden sind. "So brutal ist es jetzt nimmer", sagt er, "aber es geht schon noch gut."

"Die Leute kommen zum Scheibenputzen"

Fährt man weiter nach Kössen hinab und von dort weiter ins nahe Reit im Winkl, kommt man zur Tankstelle der Familie Weiß, der letzten verbliebenen in der Tourismus-Gemeinde. Sie steht in der Regel leer, denn sie liegt auf bayerischem Gebiet.

"Die Leute kommen zum Scheibenputzen, gehen aufs Klo oder prüfen die Luft. Manche tanken auch noch für fünf Euro und fragen, wo die nächste Tankstelle in Österreich ist", sagt Senior-Chefin Irmgard Weiß, deren Stimme vor Ärger und Verzweiflung bebt.

Die Familie könne die Tankstelle sowieso nur noch betreiben, weil die angeschlossene Kfz-Werkstatt gut gehe. "Anstellen können wir hier schon lange keinen mehr. Im Prinzip könnten wir hier von heute auf morgen zumachen."

Ihr Vertrauen auf Hilfe aus der Politik ist schon lange verschwunden, auch wenn momentan wieder einmal Vorschläge der CSU-Regierung erörtert werden und die Partei eine eigene Arbeitsgruppe gebildet hat.

Die traf sich unter Leitung von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos am Montag zum ersten Mal. Glos machte dabei deutlich, dass mit schnellen Ergebnissen nicht zu rechnen ist.

Die Diskussion sei "sehr breit angelegt" gewesen, weil bei dem Thema "alles mit allem zusammenhängt", sagt Glos nach der Sitzung.

Vier Modelle

In den vergangenen Jahren wurden im Wesentlichen vier Modelle diskutiert, wie der Tanktourismus eingedämmt könnte: ein Chipkartenmodell für Anwohner aus Grenzregionen mit entsprechenden Rabatten, die Gründung einer Stiftung, die den Autofahrern an der Grenze die Differenz zum Ausland zurückzahlt, eine Autobahnmaut bei gleichzeitiger Verringerung der Kfz-Steuer und die Absenkung der Mineralölsteuer.

Das Chipkartenmodell hatte jedoch nach EU-Recht nie eine Chance, weil es als unerlaubte Subvention die Handelsbedingungen in der Union verletzen würde. Das Stiftungsmodell wurde zwar auch vom damaligen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement ins Gespräch gebracht, jedoch auch wegen des hohen Verwaltungsaufwands nie umgesetzt.

Die anderen beiden Varianten werden aktuell wieder diskutiert, was wohl zum einen an den veränderten Machtverhältnissen in Berlin liegt, zum anderen an den schlichten Zahlen. Dem Fiskus entgehen durch die Tankflüchtlinge laut einer Studie der Universität Leipzig jährlich mehr als 2,7 Milliarden Euro an Steuern.

Nach Schätzungen von Bayerns Innenminister Günther Beckstein sind es gar zwischen vier und sechs Milliarden Euro.

Akzeptanz für die Maut

Der bayerische Verband der Tankstellenbetreiber hofft sehnlichst auf Ergebnisse. "Natürlich würden wir am liebsten eine Senkung der Mineralölsteuer von mehr als zehn Cent sehen. Aber mittlerweile würden wir auch den Beckstein-Vorschlag mit der Maut schon akzeptieren", sagt Geschäftsführer Dieter Tannert.

Er schätzt, dass in den vergangenen zwei Jahren etwa 250 Tankstellen an den bayerischen Grenzen zu Tschechien und Österreich schließen mussten. "Eine Tankstelle, die etwa 30 Kilometer von der Grenze entfernt liegt, hat heute nur noch 50 Prozent der Umsätze wie aus der Zeit vor der Ökosteuer", sagt Tannert.

Doch auch in Österreich ist die Stimmung nicht mehr ganz so gut: Entlang der Grenze vom Inn bis zur Salzach sind Stationen wie Pilze aus dem Boden geschossen, die sich nun gegenseitig Konkurrenz machen.

Einem wie Josef Bellinger kann das alles nichts mehr anhaben. "Wenn die Deutschen, so wie es jetzt aussieht, wirklich was machen, betreiben wir halt die Tankstelle in der Familie." Die eineinhalb Millionen Euro an Investitionen hat er längst abbezahlt. In nur zwei Jahren.

© SZ vom 25. 07. 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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