Studie vom Stier:Zurück in die Zukunft

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Der respektable Versuch, den Miura wiederzubeleben, zeigt, dass Lamborghini für Retro nicht taugt.

Johannes Riegsinger

Da haben sie sich aber ein Kuckucksei gelegt, die guten Menschen von Lamborghini. Als Design-Romanze war er gedacht, der Neuzeit-Miura: einmal herzeigen, alle finden den Wagen schön und sagen mit Tränen in den Augen: ¸¸Danke fürs Wiedersehen". Eine kleine stilistische Extrarunde zum 40. Jahrestag des berühmten Lamborghini Miura von 1966.

Original (l.) und Fälschung, pardon: Replik (Foto: Foto: SZ)

Berühmt? Ach was! Ein Sexgott war er, der sagenhafte Supersportwagen mit dem röchelnden, donnernden Zwölfzylinder. Frank Sinatra ließ Leopardenfelle nach Sant'Agata verschicken, für die Sitzbezüge seines 69er-Miura.

Der Miura war ein sagenhaftes Männergerät - und ein Fashion Statement mit Whisky-Fahne und blutunterlaufenen Augen; eine Mischung aus Brad Pitt in ¸¸Fight Club" und Mickey Rourke in ¸¸9 1/2 Wochen". Allein wie das Geschütz fuhr: gierig leicht auf der Vorderachse, enormer Muskelbedarf beim Lenken, im Grenzbereich alle Mittelmotor-Tücken und obendrein ekstatische Fahrleistungen.

385 PS spie der Miura SV von 1972 aus seinem Vierliter-V12, rannte mit entsprechend kaltblütigem Fahrer bis zu 290 km/h schnell und prügelte ihn in 5,7 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100. Wahrlich kein Boulevard-Cruiser.

Die alten Wilden

Der Fahrer wurde dabei in klassischer Heldenpose - mit lässig-langen Armen und versammelt-angezogenen Beinen hinter dem spindeldürren Lenkrad kauernd - in ein kerniges Cockpit eingepasst, das nach heutigen Maßstäben einerseits sehr rustikal wirkt, andererseits durch seine unverstellte mechanische Schönheit besticht: H-Schaltung mit klackender Metall-Kulisse und kleinem Rückwärtsgang-Sperr-Riegel. Dazu der Vinyl-Überzug auf dem kapitalen Mitteltunnel, Jaeger-Uhren in linearer Null-Styling-Anordnung und tiefe Schalensitze. Ergonomisch war das nie wirklich, aber man konnte sich eingewöhnen und dann doch nach der Ideallinie schielen - gehüllt in das Odeur von heißem Gummi, Motoröl, Sprit und Straßenstaub.

1965 zeigt Lamborghini auf der Turiner Automesse das erste blanke Rolling-Chassis mit dem Arbeitstitel P400 - der Abkürzung für ¸¸Vier-Liter-Hubraum/Posteriore", also Mittelmotor. Noch heute unglaublich ist dabei die Einbauposition des V12-Triebwerks, das der Konstrukteur Gianpaulo Dallara nicht etwa klassisch längs, sondern quer einsetzte. Diese Philosophie ist bis dato nur vom genialen Ettore Bugatti und den Ingenieuren der Formel-1-Rennabteilung des Hauses Honda benutzt worden.

Als Kontrapunkt zu dieser bulligen Mechanik und dem hemdsärmeligen Benimm eines Alphatiers schneiderte der Bertone-Jungdesigner Marcello Gandini, dessen Karriere mit Entwürfen für Nachtclubs ins Rollen kam - eine ungemein schlanke Keil-Karosserie. Mit geschwungenen Kotflügeln, leidenschaftlicher Front, filigranem Glashaus und bullig-fließendem Heck. Runden Klappscheinwerfern in mattschwarzen Tränenrändern. Und spinnerten Details wie den versteckten Türgriffen sowie dem krakeligen Miura-Schriftzug. Alleine dieser Name rollt über die Zunge wie ein Schluck Amarone.

"Überhaupt nicht Retro!"

Und jetzt - 40 Jahre, nachdem der Miura auf dem Genfer Autosalon 1966 einer erschütterten Öffentlichkeit weiche Knie besorgte - zeigt Lamborghini den Miura Concept. Und bringt damit eine Diskussion ins Rollen, die am besten mit einem weisen Satz moderiert werden kann: ¸¸Lamborghini ist vor allem eines: Überhaupt nicht Retro!"

Bildstrecke
:Lamborghini Miura

Flache, schnelle Flunder: Der Miura gilt als der Lamborghini-Klassiker schlechthin.

Das sieht man den kühnen bis enorm extrovertierten Autos ja definitiv an; die martialische Kraft-Kante Gallardo und die radikale Testosteron-Pumpe Murciélago würden sich in jedem Science-Fiction-Thriller hervorragend als Beförderungsmittel des Bösewichts machen. In diese brachiale Gesellschaft ein so zierliches Auto wie den Miura zu befördern, würde der Legende keinen Gefallen tun. Und selbst als Traditionspflege betrachtet, hat eine Neuauflage des Miura wenig Sinn. Schließlich wurde mit dem Miura die eindringliche Reihe von Lamborghini-Supersportwagen überhaupt erst begonnen, in diesem Kontext ist er nichts anderes als der legitime Vorgänger des Murciélago.

Studie vom Stier: Miura Concept (Foto: Foto: lamborghini.de)

Eine Miura-Neuauflage müsste also den Murciélago ersetzen oder sich über ihm platzieren. Lamborghini heute - das heißt kompromisslose Gewalt in jeder Fuge. Ein neuer Miura könnte also höchstens als schlanke und kostengünstige Fahrmaschine auf dem Niveau eines Porsche 911 oder gar Cayman den Einstiegs-Lamborghini geben - und genau das war der Miura nie. Bleibt also wohl nur die superteure Kleinstserien-Variante: 40 Stück, für jedes Jahr eines und diese Autos wären vermutlich teurer als ein klassischer Miura.

Verlust von kindlicher Begeisterung

Verlegen wir uns also auf das stille Gedenken. Und den ganz akademischen Vergleich von 40 Jahren Design-Geschichte, 40 Jahren in Materie gegossene Autoleidenschaft. Wie gut die Designmannschaft unter Walter de'Silva das Prinzip Miura in die Moderne transportiert hat, ist bemerkenswert. Hier liegt ein Vergleich mit dem ebenfalls äußerst gelungenen Ford GT nahe, der Retro-Design keineswegs als einfältiges Kopieren interpretiert, sondern als ehrfurchtsvolle Verbeugung vor der Legende. Auf den zweiten Blick aber wird bei diesem Vergleich spürbar, welche unkomplizierten Stilistiken, welch kindlich-begeisterten Umgang mit Materialien, Proportionen und Details die Design-Evolution über die Jahre verloren hat.

Die Reifen des Miura 1966 mussten nicht Niederquerschnitt zeigen, um cool zu sein. Sein Uni-Gelb verströmte eine bodenständige Rauheit, die das ätherische Metallic-Grüngelb der Studie beinahe gekünstelt wirken lässt. Details wie die verspielten Gitter auf der Schnauze und an den Türen, die Flügelmuttern der Radzentralverschlüsse oder die Klappscheinwerfer sind bei einem modernen Auto selbstverständlich verpönt.

Und das, obwohl gerade all das einen nicht unerheblichen Anteil an der Faszination des alten Miura ausmacht. Und das wohl stärkste Argument dafür, den Miura seiner Epoche zu lassen: Die Seele eines Autos wohnt in seiner Authentizität. So manisch-brandheiß wie ein aktueller Gallardo, so animalisch-direkt wie ein alter Miura wäre eine Retro-Ausgabe sicherlich niemals.

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