Sharing-Plattform:Mitfahrzentrale für den Himmel

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Wingly Mitflugzentrale (Foto: Wingly)

Wingly bringt Hobbypiloten und Passagiere zusammen. So lassen sich Sprit und Gebühren teilen - vor allem aber die Leidenschaft am Fliegen.

Von Moritz Schnorpfeil

"Manchmal springt während des Fluges die Tür auf", sagt Bernd Sommer kurz vor dem Start noch. Das sei aber nicht weiter schlimm, man müsse sie einfach rasch wieder zuziehen. Die Warnung irritiert zwar - trotzdem bleibt man überraschend ruhig. Bevor man sich fragen kann, woran das liegt, dröhnt auch schon der Propeller, und die Cessna 172 Skyhawk rollt auf die Startbahn.

Pilot Bernd Sommer bietet an diesem Tag eine ungewöhnliche Mitfahrgelegenheit - in der Luft. Wingly heißt die Plattform, über die der Flug zustande gekommen ist. Unter demselben Namen firmiert das Start-up, das auf den ersten Blick wie ein Uber der Lüfte wirkt. Auf der Plattform bieten Hobbypiloten Rund- und Ausflüge an - eine Art Mitflugzentrale eben. Von der Idee sollen sowohl Piloten als auch Mitfliegende profitieren. Die Hobbyflieger, die oft kein eigenes Flugzeug besitzen und für Sprit und Flughafengebühren viel Geld zahlen müssen, teilen sich die Kosten mit den Passagieren. Für die Passagiere wiederum ist es noch immer deutlich günstiger als bei kommerziellen Anbietern von Privatflügen. Das Kostenteilungsmodell ist das Herzstück von Winglys Geschäftsmodell. Und es zeigt, wieso die Plattform zwar eine Mitflugzentrale, aber nur begrenzt mit dem Verkehrsgiganten Uber zu vergleichen ist.

"Fliegen, das ist etwas ganz anderes als Autofahren." Mit dieser Analyse überrascht Bernd Sommer auf 4000 Fuß Höhe niemanden. Doch der Unterschied ist weitreichender als vermutet. Das zeige sich schon bei der Flugvorbereitung, sagt Sommer. Schritt 1: Wettervorhersage überprüfen. Bei starkem Regen etwa sind Sichtflüge nicht möglich, auch eine zu tief hängende Wolkendecke bedeutet, dass der Mindestabstand zu Wolken und Boden nicht eingehalten werden kann. Schritt 2: Tankfüllung planen. Zu viel Sprit ist ineffizient, zu wenig Sprit ist gefährlich, falls es zu Verzögerungen kommt. Schritt 3: Flugroute planen. Bestimmte Kontrollräume, zum Beispiel über Flughäfen und manchen Innenstädten, meidet man in der Regel. Das alles mutet etwas ernsthafter an, als eine sorglose Ausfahrt im Sportwagen.

Ähnlich ambitioniert wie Uber, die jetzt bei Lufttaxis einsteigen, wirkt auch die Vision von Wingly: "Unser Ziel ist die Demokratisierung der Luftfahrt", sagt Lars Klein, Co-Gründer und Technikchef des Start-ups. Dahinter verbergen sich zwei Ideen. Zum einen sollen Vergnügungsflüge dank des Kostenteilungsmodells deutlich günstiger werden. Den einstündigen Rundflug über München gibt es auf Wingly für etwa 100 Euro pro Passagier. Kommerzielle Anbieter verlangen in der Regel mindestens das Doppelte. Dass die Piloten nicht zu viel Geld verlangen, kontrolliert ein Algorithmus, der bei zu starker Abweichung vom Durchschnittspreis Alarm schlägt. Zum anderen setzt Wingly auf Zugänglichkeit und persönlichere Atmosphäre. Im Umkreis von 50 Kilometern findet man eigentlich immer einen Flug - also auch in abgelegenen Gegenden, die ein kommerzieller Anbieter nie bedienen würde. Und das Mitfliegen bei einem Hobbypiloten, mit dem vorher Wetter, Route und persönliche Präferenzen besprochen wurden, wird vielleicht auch jene überzeugen, die bislang Überwindungsängste hatten.

Die persönliche Betreuung bekommt man spätestens dann mit, wenn Sommer detailliert erklärt, wie man mit Steuerhorn und Pedalen eine saubere Kurve fliegt. Das Steuerhorn sorge lediglich dafür, dass sich das Flugzeug neigt. Auch geneigt fliege es jedoch nahezu geradeaus weiter. Erst durch die Pedale werden die Seitenruder betätigt, das Flugzeug fliegt eine Kurve. "Nur durch die richtige Mischung aus Steuerhorn und Pedalen entsteht das, was wir im Fachjargon eine 'sauschöne Kurve' nennen", sagt Sommer. Seine Hauptmotivation auf Wingly sei, das Flugerlebnis mit jemandem zu teilen. Zwar sei auch die Kostenteilung interessant. "Aber die ermöglicht eher, dass man öfters abhebt als dass man wirklich Geld spart." Schließlich sei Fliegen eine Leidenschaft.

6000 Flüge hat Wingly in Europa 2017 vermittelt, ein Drittel davon in Deutschland. 2018 waren es bislang bereits 7100. Neben dem Leipziger Start-up Flyt.club ist Wingly mit Hauptsitz in Paris damit der größte Anbieter in Deutschland. Vom Rentnerpärchen, das sich sein Haus von oben anschauen möchte, bis zu abenteuerlustigen Jugendlichen ziehe Wingly fast alle Kundengruppen an, sagt Co-Gründer Klein. Geld verdient das Start-up mit der 15-prozentigen Buchungsprovision, die es verlangt. Dafür stellt es die Internetseite zur Verfügung, tätigt Rückerstattungen falls ein Flug nicht stattfinden konnte und versichert die Passagiere.

Nach ungefähr 50 Minuten Flug nähert sich Sommer dem Kontrollraum über dem Augsburger Flughafen und meldet sich beim Tower zur Landung. Die Lotsin sagt, er müsse sich noch gedulden, auf der Landebahn gebe es Probleme. Ihre Stimme ist ruhig, die Überraschung in Sommers Gesicht verrät jedoch, wie ungewöhnlich die Meldung ist. Etwa 30 Minuten kreist Sommer über dem Flughafen. Zwischenzeitlich gab es Entwarnung, das Problem auf der Landebahn ist lediglich ein Segelflieger mit Reifenpanne. Und dennoch: Die unfreiwillige Verlängerung macht einem bewusst, dass es bei der Fliegerei besondere Bedingungen und Umstände gibt. Fliegen scheint vielleicht wirklich etwas anderes zu sein als Autofahren.

© SZ vom 13.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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