Segelschiff ohne Barrieren:Jetzt sticht der Rolli in See

Lesezeit: 3 min

Im Ostseehafen Ueckermünde liegt der erste Großsegler, der speziell auf die Bedürfnisse von Rollstuhlfahrern zugeschnitten ist.

Sabina Griffith

Bares Geld ist, will man Gutes tun, im Allgemeinen hilfreich - dass sich aber auch dann alles zum Guten wenden kann, wenn kein Cent mehr zur Verfügung steht, zeigt die Geschichte der 22,5 Meter langen Segelyacht

Wappen von Ueckermünde. Denn eigentlich war der 53 Tonnen schwere Stahlrumpf von einem Berliner Reeder bei einer Werft in Stettin in Auftrag gegeben worden, um eines Tages mit Tauchtouristen durch die Karibik zu schippern.

Als dann dem Reeder während des Baus das Geld ausging, schlug die Stunde des Berliner Bootsbauers Michael Freitag und des eigens gegründeten Vereins zur Förderung des ersten behinderten- und rollstuhlfahrergerechten Großsegelschiffes in Deutschland e.V. - seit langem hatten Freitag und der in Ueckermünde angesiedelte Verein ein Schiff gesucht, das groß, stabil und geräumig genug für Rollstuhlfahrer ist.

"Für Rolli-Fahrer ist an der Pier meist Endstation", erklärt Michael Freitag den schon lange gehegten Plan, "unser Wunsch war es, ein behindertengerechtes, also barrierefreies Schiff zu realisieren."

Der Kauf des rohen Rumpfes im polnischen Stettin markierte dann 2003 den Beginn von vier langen Jahren, in denen es neben praktischer Arbeit vor allem um die Finanzierung des ehrgeizigen Projektes ging - insgesamt wurden 500.000 Euro gebraucht.

Viele Spenden

So stellte die Stadt Ueckermünde 70.000 Euro Startkapital zur Verfügung, zusätzliches Geld floss aus dem Topf des europäischen Arbeitsmarkt- und Strukturentwicklungsprogramms Leader +.

Der größte Teil der notwendigen Mittel aber kam durch Spenden zusammen - und noch immer freut sich Bootsbauer Freitag über die massive Unterstützung durch den neubrandenburgischen IHK-Präsidenten Manfred Ruprecht, der "jeden Stehempfang und jedes Bankett als Werbung für das Projekt verstand".

Auf der nächsten Seite erfahren Sie, was das Deck so behindertengerecht macht.

Neben barem Geld ging es dabei vor allem um technische und nautische Ausrüstung - so spendete beispielsweise der Motorenhersteller Deutz den 85 kW (116 PS) starken Schiffsdiesel.

Zunächst werkelten Bootsbauer Freitag und die freiwilligen Helfer in einer Halle der Wohnungsbaugesellschaft Ueckermünde in jeder freien Minute am Aufbau dieses besonderen Segelschiffes.

2006 dann kam der mittlerweile schneeweiße Rumpf ins Wasser und bekam im Februar 2007 seine Takelage - einen 27 Meter hohen Großmast und den 19 Meter hohen Besanmast. Am 5. Mai schließlich taufte Eva Luise Köhler, die Frau des Bundespräsidenten, das Schiff auf den Namen Wappen von Ueckermünde.

Spreizgaffelketsch und Charterschiff

Nun soll der Kielkreuzer als Charterschiff Rollstuhlfahrern Urlaub unter Segel möglich machen - und ist bis ins kleinste Detail konsequent auf die besonderen Bedürfnisse der Passagiere ausgerichtet.

An Deck schützt eine umlaufende, ein Meter hohe Reling, überall finden sich fest eingelassene Laschungspunkte, durch die die Rollstühle auch bei Seegang sicher verzurrt werden können.

Da die Wappen von Ueckermünde als Spreizgaffelketsch ausgelegt ist, gibt es am Hauptmast keinen Großbaum, der bei Wendemanövern die Rollstuhlfahrer an Deck gefährden könnte. Vorteil dieser Segelführung ist auch, dass die Segel auf das Deck herabgelassen werden und von den gehandicapten Passagieren selbst geborgen werden können.

An Steuerbord und Backbord stehen zwei sogenannte Davids (Kräne) mit Winden zur Verfügung, mit deren Hilfe die in ihrer Mobilität eingeschränkten Passagiere an und von Bord kommen können. Und ein am Heck platziertes Beiboot hat Platz für drei Rollstühle, die - wie auf dem Mutterschiff - mit Laschungspunkten im Boden gesichert werden können.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie auch unter Deck das barrierefreie Prinzip umgesetzt wird.

Unter Deck setzt sich die konsequente Umsetzung des barrierefreien Prinzips fort. Der Innenfahrstand ist behindertengerecht ausgelegt, alle Tisch können unterfahren und alle nautischen Geräte wie Radar, Kartenplotter, GPS, Kompass oder das Kombigerät aus Log, Lot und Windmesser bedient werden.

Selbst an sehbehinderte oder blinde Passagiere ist gedacht - der Kompass hat eine elektronische Sprachausgabe. Ins Unterdeck führen zwei Treppenlifte, alle Türen und Durchgänge sind extra breit angelegt; die gesamte Infrastruktur - Küche, sanitäre Anlagen und Bäder, die Kammern - sind umfassend auf die besonderen (Sicherheits-)Bedürfnisse ausgelegt.

Maximal zwölf Gäste

Apropos Sicherheit: An Bord der Wappen von Ueckermünde kommen nur spezielle Rollstühle zum Einsatz - jeder Rollifahrer ist so mit einem Rettungstragetuchsitz ausgestattet, der zur Bergung, zum Transport ohne Rollstuhl und im Notfall zum Einsatz kommen soll.

Maximal zwölf Gäste finden auf der Wappen von Ueckermünde Platz, davon fünf Rollstuhlfahrer; dazu kommen zwei Mann Stammbesatzung. Bei voller Belegung kostet der Aufenthalt pro Person und Tag während eines siebentägigen Törns unterm Strich rund 62 Euro - 50 Euro gehen an den das Schiff tragenden Verein, zwölf Euro fließen in die Bordkasse für Verpflegung, Treibstoffkosten und Hafengebühren.

Zur Philosophie an Bord gehört auch, dass die jeweilige Crew sich und die Stammbesatzung selbst bekocht - zur Vorbereitung des Küchendienstes findet sich im Internet eine ausführliche Einkaufsliste.

Dass das Schiff auf Dauer gut gebucht werden wird, davon sind Michael Freitag und seine Mitstreiter vom Verein zur Förderung des ersten behinderten- und rollstuhlfahrergerechten Großsegelschiffes in Deutschland e.V. überzeugt: "Ähnliche Angebote in Holland und England haben gezeigt, dass die Nachfrage da ist."

Die ersten Chartertermine sind bereits vergeben; das Fahrtgebiet der Wappen von Ueckermünde sind die Häfen im Peenestrom, dem Greifswalder Bodden und rund um die gesamte Ostsee. Und im August steht ein ganz besonderer Termin bereits fest: Dann nimmt Deutschlands erster Rollisegler Kurs auf Rostock - zur Hanse Sail.

© SZ vom 26.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: