Porträt:Die Motor-Frau

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Rita Forst entwickelt seit drei Jahrzehnten Kraftpakete für Autos - und ist damit weltweit eine Ausnahmeerscheinung.

Marc Beise

Es ist dieser eine einzige Moment, auf den es ankommt. Eine Sekunde nur, auf die womöglich ein Berufsleben zusteuert. Wahrscheinlich kann man in Worte nicht fassen, was in dieser Sekunde in Rita Forst vorgegangen ist. Sie selbst jedenfalls, diese unkomplizierte, bodenständige 51-jährige Wiesbadenerin, kann es nicht.

Die Motorenversteherin: Rita Forst, die Motorenversteherin aus Wiesbaden, hört, was andere nicht hören. (Foto: Foto: Opel)

Ja schon, sagt sie nüchtern, das sei schon ein wichtiger Moment, wenn so ein Motor, den Hunderte Menschen über Jahre entwickelt haben, das erste Mal gestartet wird. Klar, dass da eine Zeremonie sein muss, fürs Team wird es ein bisschen feierlich.

Aber ehrfürchtig wird Rita Forst bei der Schilderung dieser Szene nicht. Kein bisschen Zittern kommt in der Stimme bei der Erinnerung an einen Moment, den ein Automensch nur alle paar Jahre erlebt und bestenfalls ein Mal als Ergebnis eigener Erfinderkraft. Rita Forst war das vergönnt, nein: Sie hat es sich selbst gegönnt. Hat ihr Leben, ohne das zuvor wissen zu können, auf diesen einen Augenblick ausgerichtet.

Ein schmuckloses Besprechungszimmer mitten im Wald. Drinnen summen Computer, draußen röhren Motoren. Wir sind in der Gemarkung Dudenhofen südöstlich von Frankfurt am Main, Opel-Testgelände. 260 Hektar Verkehrsgelände, Straßen, Kurven, Brücken, in den Forst geschlagen. Eingezäunt und abgesichert, denn hier werden auch die Erlkönige getestet, die Autos von morgen.

Vor allem aber peitschen hier Testfahrer Personenwagen der laufenden Produktion über Geraden und durch die Steilwand, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Es geht über Holperwege und Rüttelschikanen, den Berg hoch und runter, durchs Wasserbecken und über Eis: Was hält ein Opel aus, wann lockern sich die Schrauben, wann bricht die Karosserie?

Rita Forst hat hier eine Konferenz zu leiten, eine von vielen, die ihr Leben prägen. Täglich muss sie irgendwo in der Welt reden und präsidieren. Ob in Dudenhofen, in einem ihrer beiden Büros in Rüsselsheim oder in der Zentrale in Turin, oder drüben in Detroit im Kernwerk. Immer geht es um Motoren.

Suche nach Harmonie

"Ihre Leidenschaft sind Motoren." Das wäre der klassische Anfang dieser Geschichte. Aber Leidenschaft vermittelt Rita Forst nicht, wenn sie über ihre Arbeit berichtet in diesem kargen Raum. So wenig, wie sie ein Aufheben machen würde über sich selbst und ihren Job. Eine Frau in einer Männerdomäne?

Klar, dass die Frage kommen muss, klar wie die Antwort ausfällt: "Das ist ein ganz normaler Job. Ich habe als Frau keinen Sonderstatus. Ich muss mich Tag für Tag beweisen, ich muss Leistung bringen wie ein männlicher Kollege. Nicht mehr und nicht weniger."

Aber natürlich, normal ist ihr Lebensweg nicht. Damals in der Maschinenbau-Vorlesung im Hörsaal der Fachhochschule Darmstadt, waren sie zwei junge Frauen unter hundert männlichen Studenten. Für Autos hatte sie der Vater interessiert, der nicht der Meinung war, dass Technik nur was für Jungs sei.

Das erste Rumbasteln an Motoren, mit ölverschmierten Händen. Fachabitur, Lehre als technische Zeichnerin und dann das Maschinenbaustudium. Und mit 22 Jahren das Einstellungsgespräch bei Opel in Rüsselsheim, bei dem die Bewerberin klar ihr Berufsziel artikulierte. Angeboten wurde ihr ein Job in der Getriebeentwicklung. Sie sagte nein, wollte Motoren entwickeln, sonst nichts. Und bekam den Job - auch, weil sie wusste (und sagte), was sie wollte.

Mit 29 Jahren erkämpfte sie sich einen Platz in einer einjährigen Spezial-Fortbildung in den USA; als erste weibliche Teilnehmerin aus Europa. Diese Zielstrebigkeit vermisst sie bis heute bei mancher Frau, die sie nun als Vorgesetzte gerne fördern würde und die doch häufig Skrupel haben, die Männer nicht kennen: Kann ich das? Will ich das? Was ist mit der Familie? ¸¸Männer dagegen haben häufig einen genauen Karriereplan", sagt Forst und erinnert sich an manchen Ellbogen, der dann ausgefahren wird.

Nach der Geburt ihres ersten Kindes bekam sie von Opel das Angebot, fünf Jahre Familienpause zu machen. Es hätte das Ende ihrer Karriere bedeutet, sie lehnte ab und kam nach einem halben Jahr zurück. ¸¸Ich habe das Glück, einen Mann zu haben, der mich unterstützt", sagt sie. Und Eltern, die in der Nähe wohnen und sich unter der Woche mit um die später zwei Buben kümmern konnten.

Das erste Starten

Die Kinder sind jetzt groß, und ein anderes ¸¸Baby" steht heute in ihrem Büro: groß wie ein Überseekoffer, ganz in Aluminium gegossen. Vier Zylinder, zwei Nockenwellen, die über eine Kette angetrieben werden. Der Opel-Leichtmetallmotor, erster Vertreter einer neuen Motorengeneration, bei der sowohl der Zylinderkopf als auch das Kurbelgehäuse aus Leichtmetall gefertigt sind. Ganz nüchtern der Name: L 850; der wohl einzige Großserienmotor, der je maßgeblich von einer Frau entwickelt worden ist.

Eine solche Entwicklung dauert Jahre vom Reißbrett über die komplette Computerbearbeitung am Bildschirm (auch dies eine Premiere) über Modellbauten bis zum fertigen Motor. 230 Ingenieure und Techniker waren daran in Werken rund um den Globus beteiligt.

Und dann, 1996 in England, dieser größtmögliche Moment: das erste Starten des neuen Motors. Rita Forst war dabei, und der L 850 war, sie selbst würde das nie so sagen, vor allem ihr Werk. Und war Dreh- und Angelpunkt ihrer Karriere. Davor war Innovation. Seitdem ist sie im Spitzenmanagement.

Dann kamen die Leitungsfunktionen

Früher war sie an den Konstruktionstischen und in der Werkhalle zu Hause. Dann kamen die Leitungsfunktionen. Sie managte die Integration des Leichtmetallmotors in die Opel-Modelle Astra, Zafira und Vectra. Übernahm als Chef-Ingenieurin die Verantwortung für die Fertigungsplanung aller Powertrain-Werke in Europa, darunter die neue Motorenfertigung in Kaiserslautern. Wurde Vorsitzende der Geschäftsführung von Opel Powertrain. Und ist seit einem Jahr Mitglied der Geschäftsführung der Muttergesellschaft, GM Powertrain Europe.

Opel baut, sagt Rita Forst, die besten Autos. Sie weiß, dass das die Kunden nicht so sehen, dass Opel ein Imageproblem hat - aus vielerlei Gründen. An ihren Motoren, da ist sie sicher, liegt das nicht. ¸¸Wir liegen im Konkurrenzvergleich ganz vorne. Setzen Sie sich in einen Opel und hören sie auf den Klang des Motors. Und dann lassen Sie die Kupplung kommen..."

Rita Forst sucht den ultimativen Motor. Einen Universalmotor, der ohne großen Aufwand für unterschiedliche Zwecke umgerüstet und eingesetzt werden kann, in unterschiedlichen Marken, auf unterschiedlichen Märkten.

Ihr geht es auch nicht nur um Kraft, sondern um eine vernünftige Balance zwischen Leistung, Spritverbrauch und Abgasbelastung. Die perfekte technische Harmonie. Womöglich ist das wieder ein typisch weiblicher Ansatz.

© SZ vom 14. 08. 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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