Legendärer russischer Geländewagen:Graf Lada und die Freiheit

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Der Lada Niva heißt inzwischen Taiga - und gilt als günstigster Geländewagen. (Foto: dpa / Lada)

Seit 1976 gibt es den Lada Niva. Inzwischen heißt er Taiga, doch Aussehen und Technik haben sich kaum verändert. Die Allrad-Legende muss auch heute noch kein Gelände fürchten. Sogar ein literarisches Denkmal wurde ihr errichtet.

Von Jörg Reichle

Das Ding sieht aus wie ein Schuhkarton, kurz und kantig. Vorn hat es einen Kuhfänger, hochbeinig steht es auf grobstolligen Reifen, hinter denen wüste Spritzlappen baumeln. Nein, eine Schönheit ist der Lada Niva nicht, eher sieht er so aus, als sei er vor langem aus der Zeit gefallen. Und das ist er auch, denn es gibt ihn seit 1976 und seitdem hat er sich so gut wie nicht verändert. Man muss sich das einmal vorstellen, heute, im Zeitalter der Modellwechsel-Hysterie, wo das Moderne morgen schon wieder von gestern ist. Aber vielleicht ist es das: diese trotzige Interpretation von Ewigkeit, die den kürzlich verstorbenen Wolfgang Herrndorf bewogen hat, dem Lada in seinem hochgelobten Jugendroman "Tschick" ein Denkmal zu setzen, wie es das für ein Auto kein zweites Mal gibt in der neueren Literatur in Deutschland.

Tschick, so viel in Kürze, ist ein halbwüchsiger Exilrusse, den das Leben in die Klasse des 14-jährigen Ich-Erzählers verschlägt. Und weil bald die Ferien winken, der Sommer groß ist, der Vater des Erzählers bei der Freundin und die Mutter auf Entzug, klaut Tschick kurzerhand einen Wagen: "Ein klappriges Auto kam die Straße heruntergefahren, ein hellblauer Lada Niva. Und Tschick grinste sein breitestes Russengrinsen: Steig ein, Mann", heißt es im Roman. Also rollen die beiden die Einfahrt hinunter, biegen in die Allee der Kosmonauten ein - und von da an geht's Richtung Horizont. Wohin sie fahren? "Mein Großvater wohnt irgendwo am Arsch der Welt, in einem Land, das Walachei heißt", sagt Tschick. Und: "Mika Häkkinen ist ein Scheiß gegen mich."

Lada Niva 1.7
:Er bleibt, wie er war

Es gibt ihn, noch immer: den Lada Niva. Und mehr denn je mutet die Fahrt im günstigen Allradler wie eine Zeitreise an. Komfort: Fehlanzeige, noch immer.

Wenn die große Freiheit winkt, spielt Motorleistung keine Rolle. In einem geklauten Lada schon gar nicht. Im richtigen Leben hat ein Niva heute 83 PS, das war früher mal viel, heute ist es nichts. In diesem Auto reicht es trotzdem aus. Damit kann man immerhin recht flott im Verkehr mitschwimmen. 137 km/h gibt der Hersteller Avtovaz im fernen Togliatti, Russland, als Höchstgeschwindigkeit an, aber schon bei 110 dröhnt der ganze Korpus rhythmisch wie eine Turboprop. Dafür gönnt sich der robuste 1,7-Liter-Vierzylinder dann auch gut zwölf Liter Super auf rumpeligen hundert Starrachs-Kilometern.

Unser Test-Lada im richtigen Leben ist nicht hellblau. Und er heißt auch nicht Niva, obwohl er genauso aussieht. Denn Niva heißt jetzt Taiga - ein kleiner Trick des Importeurs, der mit dem Pseudo-Sondermodell die Privilegien einer Kleinserie ausnützt. Ansonsten hätte der Würgegriff der EU-Bürokratie vor lauter Fußgängerschutz und anderen Nickeligkeiten dem armen Niva demnächst das Lebenslicht ausgeblasen. Und weil auch Airbags nur was für Feiglinge sind, braucht sie der Taiga alias Niva nicht. Genausowenig übrigens wie Fensterheber oder ESP und solche Sachen.

Tschick und seinem Freund ist das sowieso herzlich wurscht. Auch, wenn die beiden schon mal lästern: "Von innen sah der Lada noch kaputter aus, als von außen. Hinterm Lenkrad hingen Kabel raus, ein Schraubenzieher steckte im Armaturenbrett." Das ist bei einem neuen Niva natürlich anders. Zumindest ein bisschen. Schwarzes Plastik dominiert, Fußmatten aus Gummi und die Innenverkleidung ist mit gut sichtbaren Kreuzschlitzschrauben fixiert. Ach ja, die Kippschalter am Armaturenbrett haben wir so ähnlich schon mal gesehen - im VW Käfer 1303. Den gab es noch, als der Niva damals auf den Markt kam - bald ein Exportschlager der damaligen UdSSR. Seitdem fährt das Ding aufrecht durch die Weltgeschichte und wer drin sitzt, kauert auf den Vordersitzen wie der Affe auf dem Schleifstein. Die schwere Last der Tradition kriegt man übrigens auch zu spüren, wenn man versucht, die Kofferraumklappe zu entriegeln. Kein Griff, nirgendwo. Suchen hilft auch nicht, so aberwitzig ist der Mechanismus: ein Türgriff unterhalb der Rücksitzbank. Da muss man erst mal draufkommen. Auch das Losfahren ist eine Kunst, vorausgesetzt man klaut ihn nicht einfach wie der Russe Tschick. Drei putzige Schlüssel und ein Chip für die Alarmanlage entriegeln Tür und Tankdeckel, schalten die Alarmanlage aus und starten den Motor. So hat man das früher gemacht, so ist es noch heute.

Reparatur mit Hammer und Sichel

Driving over Leopold (3): Lada Niva
:Der Russe in mir

"Der Lada 4x4 ist Kult." So heißt es zumindest im Prospekt. Wir schämten uns zunächst ein wenig, mit dem drolligen Zeitgenossen gesehen zu werden. Doch der Typ aus Russland überzeugte uns. Endstand Ost gegen West: 1:0.

Lars Langenau

Irgendwie sieht sowieso alles an diesem Niva aus, als könne es der nächstbeste russische Dorfschmied mit Hammer und Sichel problemlos reparieren, Tschick und sein Freund werden auf ihrer Fahrt durch den Sommer der Jugend bald ein Lied davon singen. Vorerst noch verbringen sie ihre Nächte auf dem Rücken liegend, schauen in die Sterne, öffnen Flaschen mit dem Feuerzeug und reden über Mädchen. Oder andere Abenteuer. "Ich schlug vor, wenn wir uns mal mit Decknamen anreden müssten, dann wäre er Graf Lada und ich Graf Koks." Und tagsüber geht es leicht dahin: "Wir fuhren Tempo 30 zwischen Wiesen und Feldern hindurch, über denen langsam die Sonne aufging", schreibt Herrndorf. Und: "Es war, als ob der Lada von alleine durch die Felder fuhr, es war ein ganz anderes Fahren, eine andere Welt." Auch mal mitten durch ein Weizenfeld. "Obwohl der Lada seltsame Geräusche machte, schaffte er den Acker mühelos."

Überhaupt scheint das auch im richtigen Leben sein zeitloses Talent zu sein - unverwüstlich über Stock und Stein zu galoppieren, mit permanentem Allradantrieb, 58 Prozent Steigfähigkeit und einem Kippwinkel von 48 Grad. Und auf die Wattiefe von 65 Zentimetern würde sich sogar ein Land Rover Defender etwas einbilden. Alles zusammen ist das sogar mehr, als man für die maroden Straßen des Ostens unbedingt benötigt. Und wer weiß, wenn Tschick und sein Freund gewusst hätten, wie gut sich das Gusseisen im Gelände schlägt, vielleicht wäre ihnen das Missgeschick gar nicht passiert, das sie beide am Ende fast umgebracht hätte. Ein Steilhang aus Stein und Geröll, vor ihnen der Abgrund, hinter ihnen die Polizei. Also los. Sechsmal überschlägt sich der Lada. Unten bleibt er auf dem Dach liegen. Aber weil die beiden so unverwüstlich sind wie das Auto setzen sie sich in das Wrack und fahren damit nach Hause. Nur: "Als der erste fette Audi mit fünfhundert Stundenkilometer an uns vorbeiraste", gibt Tschick am Ende zu, "da erschrak ich mich doch."

© SZ vom 07.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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