Künftige Mobilität (4):Der letzte Tanz ums Goldene Kalb

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Jenseits der Krise: Das Auto als Kultobjekt und klassisches Statussymbol hat ausgedient.

Peter Kruse

Peter Kruse, Neurophysiologe, ist geschäftsführender Gesellschafter des Beratungs- und Methodenunternehmens nextpractice und Honorarprofessor für Allgemeine und Organisationspsychologie an der Universität Bremen.

Vom Sockel gestürzt: Weitgehend unbemerkt hat das Auto seinen Spitzenplatz in der Hitparade der Begehrlichkeiten verloren. (Foto: Illustration: S. Dimitrov/SZ)

Wer das Epizentrum des Erdbebens, das gegenwärtig den Konsumbereich Automobil durcheinanderwirbelt, irgendwo zwischen Ölpreis und Finanzkrise verortet, hat nicht verstanden, was eigentlich vor sich geht. Es spricht viel dafür, dass selbst neue, umweltfreundliche und sparsame Antriebssysteme kaum in der Lage sein werden, einen Umschwung in der dramatischen Marktentwicklung herbeizuführen. Weitgehend unbemerkt von Herstellern und Medien hat das Auto bei den Konsumenten seinen Spitzenplatz in der Hitparade der Begehrlichkeiten verloren. An die Stelle der Begeisterung für das Produkt Auto tritt zunehmend der Wunsch nach persönlich sinnvollen Mobilitätskonzepten.

Nachdem die Zahl der Autoverkäufe drastisch eingebrochen ist und einstige Weltkonzerne kurz vor der Pleite stehen, wird von der Industrie verschämt eingestanden, dass die Ursache nicht nur in Klimadebatte, Ölpreis und der Finanzkrise, sondern vor allem auch in einer verfehlten, vorwiegend auf Motorstärke und Technologie setzenden Produktpolitik zu suchen ist. Angesichts des späten, überraschenden Erfolgs des Smart Fortwo beeilte sich der Daimler-Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche im Juli 2008 zu verkünden: "Der Smart Fortwo ist sinnvoll und macht Spaß - und wenn wir ihn nicht vor zehn Jahren erfunden hätten, müssten wir ihn heute erfinden."

Ist die Botschaft also endlich angekommen? Offenbar nicht wirklich. Denn auf der Website des Konzerns stößt man als Aushängeschild nicht etwa auf den Smart Fortwo, sondern auf die repräsentative E-Klasse. Ein Blick in die Zukunft ist das sicher nicht, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Billigmarke Dacia von Renault im ADAC-Praxistest zur Kundenzufriedenheit 2008 aus dem Stand den fünften Platz belegte.

Dabei ist Mercedes kein Einzelfall. Vor allem die zahlreichen Remakes einstiger Kultautos belegen die kollektive Weigerung der Automobilindustrie, eine grundlegende Neuorientierung zu wagen. Wie so oft sind es die tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannten Wertepräferenzen, die es besonders den stolzen Vertretern vergangener Stärke erschweren, sich auf den nicht mehr aufzuhaltenden Änderungsprozess einzulassen.

Vergleichbar dem Flugzeug ist auch die Entwicklung des Automobils eine Geschichte der Erfüllung des Menschheitstraumes von persönlicher Unabhängigkeit, grenzenloser Bewegungsfreiheit und müheloser Kraftentfaltung. Aber im Gegensatz zum Flugzeug ist das Automobil Teil des Alltagslebens geworden und ein Symbol der Segnungen technischen Fortschritts für alle. Die Aufwertung des eigenen Ich durch das Auto ist eine Erlebnisqualität, die zu Beginn der Moderne ohne Einschränkung begeisterte. Entstanden in einer Zeit, in der Reisen noch mühselig, langsam und mit vielen persönlichen Einschränkungen verbunden war, bot nur das Auto die Möglichkeit, sich auf beliebigen Strecken und zu jeder gewünschten Zeit mit einer bisher unerreichten Geschwindigkeit fortzubewegen.

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Die drastische Verteuerung des Kraftstoffs in jüngster Zeit wirft die Frage auf, wie sich die Menschen in Zukunft bewegen - und die weltweite Autoindustrie fragt sich noch, wie der Antrieb der Zukunft aussieht.

Zu der neuen Dimension der Bewegungsfreiheit kam die Prestigefunktion des anfangs noch handgefertigten und entsprechend teuren Automobils. Das Auto avancierte zum aufwendig gestalteten Kultobjekt, zur fahrbaren Skulptur, der in Autorennen gehuldigt wurde. Es wurde zum konkurrenzlosen Objekt der Begierde und einen Führerschein zu machen, entwickelte sich zum selbstverständlichen Initiationsritus vieler Generationen.

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Sicher, Krisen gab es schon immer, auch in der Automobilindustrie. Aber das kurzsichtige Frohlocken angesichts staatlicher Milliardenkredite und einer den Absatz fördernden Verschrottungsprämie könnte sich als schwerer Irrtum erweisen. Denn manchmal verschwinden mit den Krisen eben auch bislang erfolgreiche Geschäftsmodelle vom Markt. Die derzeit schon wieder keimende Hoffnung der Automobilindustrie gleicht denn auch weniger einem dauerhaften Abebben der Pegelstände als vielmehr dem trügerischen Zurückweichen des Wassers vor einem herannahenden Tsunami.

Dass die Begriffe Krise und Chance im alltäglichen Sprachgebrauch so selbstverständlich verknüpft sind, weist auf einen Wirkzusammenhang hin, der kraftvoll genug ist, um sprichwörtlich zu werden: In der Instabilität krisenhafter Entwicklungen erreicht die emotionale Beteiligung der Betroffenen eine Intensität, die eine Neuorientierung grundlegender Werthaltungen wahrscheinlich macht.

Wie die moderne Hirnforschung zeigt, werden die Handlung leitenden Wertepräferenzen der Menschen bereits in den ersten zwei Lebensjahrzehnten ausgebildet. Diese Präferenzen sind die Grundlage von Charaktereigenschaften und bleiben im Laufe der persönlichen Biographie weitgehend stabil. Nur in einer Krise oder in anderen Situationen, die "einen nicht kalt lassen", entsteht die Chance auf Änderung. Die gelernten Präferenzen sind in einem Teil des Gehirns verankert, den man als limbisches System bezeichnet und dessen Wirken zumeist unbewusst bleibt. Erlebt werden diese Wertepräferenzen nur als begleitendes Gefühl wie beispielsweise Sympathie oder Abneigung. Die Ergebnisse des Neuromarketings belegen eindrücklich, wie weitgehend die im limbischen System verankerten Wertepräferenzen gerade auch das Kaufverhalten bestimmen.

Vor dem Hintergrund dieses Wirkzusammenhanges wird deutlich, dass die gegenwärtige globale Wirtschaftskrise, deren Ausmaß selbst die Experten immer wieder überrascht, durchaus das Potential besitzt, zu dramatischen Veränderungen in den unbewussten Wertepräferenzen der Konsumenten zu führen. Wenn die Wertepräferenzen großer Menschengruppen in die Veränderung gehen, führt das zu einer generell gesteigerten Sensibilität gegenüber medialen und anderen kommunikativen Beeinflussungen.

In der Instabilität gilt das Prinzip "kleine Ursache, große Wirkung". Das Phänomen, das gerne verharmlosend als "Nervosität der Märkte" abgetan wird, ist nur ein Symptom für einen zugrundeliegenden Prozess der Neuorientierung der kollektiven Wertewelten in entwickelten Märkten. Tatsächlich findet seit längerer Zeit ein Wertewandel statt, der bereits für viele Konsumbereiche gültig ist und in seiner Dynamik stetig zunimmt.

Aufgeschreckt durch zwei Werbespots, in denen der emotionale Wert des Autos sowie die Statusfunktion von Luxuskarossen massiv in Frage gestellt wurde, führten wir im Sommer 2007 eine erste Erhebung zur Wertewelt Mobilität durch, die im Herbst 2008 durch eine Folgestudie ergänzt wurde. Im ersten Werbespot von VW fällt in einer typischen samstäglichen Nachbarschaftssituation der liebevollen Pflege des eigenen Autos ein Neuwagen vom Himmel auf das Vorgängermodell mit dem ökologisch interpretierten Hinweis, "weil neu sauberer ist". Im zweiten Werbespot von Renault positionieren Berühmtheiten von Beverly Hills ihre automobilen Kostbarkeiten nur so lange vor ihrem Haus, bis die Touristenbusse weitergefahren sind und holen dann ihre eigentlich bevorzugten Kleinwagen aus der Garage. Die Botschaft dieses Spots lautet: "Mehr Sein als Schein". Die Ergebnisse der Studien überraschten in ihrer Eindeutigkeit und lassen Interpretationen zu, die durchaus wie ein Abgesang auf die besondere emotionale Bedeutung des Autos in den entwickelten Märkten wirken.

Tatsächlich zeigt sich in den Daten, dass das Auto in den intuitiven Präferenzen der Menschen seit den neunziger Jahren dramatisch an Wertigkeit verloren hat. Die lange unangefochten gehaltene Pole-Position im Wettbewerb um den Titel des Konsumgegenstands mit der höchsten emotionalen Aufladung ist offenkundig nachhaltig verlorengegangen. Die Konsumenten entzaubern das Auto gegenwärtig mit gnadenloser Konsequenz. Aus dem Objekt der Begierde und dem Symbol persönlicher Unabhängigkeit wird mehr und mehr ein nüchternes Werkzeug mobiler Funktionalität. Das Auto ist in der unbewussten Einschätzung der Konsumenten nur noch eine unter vielen möglichen Formen moderner Fortbewegung.

Dabei unterliegt in der Wertewelt Mobilität die Definition des Statussymbols den größten Veränderungen. In den unbewussten Wertepräferenzen der Befragten zeigte sich schon 2007, dass ein an Motorleistung, technischer Ausstattung oder exklusiver Verarbeitungsqualität orientierter Statusbegriff nicht mehr zeitgemäß ist. Wenn Status für die Befragten überhaupt noch eine Rolle spielt, dann im Zusammenhang mit ökologischer Unbedenklichkeit, sozialer Gerechtigkeit und funktionaler Zweckmäßigkeit. In der Erhebung 2008 zeigte sich diese Entwicklungstendenz noch einmal deutlich klarer. In Zukunft ist Status in erster Linie gebunden an Nachhaltigkeit und nicht mehr an exklusive Qualität.

Entsprechend geraten besonders die Premium-Marken unter Druck. Ober- und Mittelklassewagen haben so stark an Attraktivität eingebüßt, dass eine hinreichende Wiederaufwertung selbst bei Verwendung umweltfreundlicher Antriebssysteme wenig wahrscheinlich ist. Die Volumenanbieter und das Kleinwagensegment sind verständlicherweise die relativen Gewinner dieser Entwicklung. Aber auch für sie ist die Prognose angesichts des zu beobachtenden generellen Kollapses des emotionalen Mehrwertes der Automarken keineswegs positiv. Die Abwrackprämie dürfte diese Abwärtsspirale zusätzlich anheizen. Dem kurzfristigen Effekt einer Steigerung des Absatzes bei Kleinwagen steht dann eine weitere Abwertung des Konsumgutes Auto gegenüber. Es ist nur konsequent, dass Aldi sich als Discounter entschieden hat, neben verbilligten Bahnkarten jetzt auch preisgünstige Gutscheine für Mietwagen anzubieten.

Eine Dimension in der Wertewelt Mobilität, deren emotionales Potential zumindest im deutschen Markt dem Aspekt der Nachhaltigkeit durchaus gleichkommt, ist die Dimension der persönlichen Sinnstiftung. Die Menschen empfinden es in der Komplexität und Dynamik der globalen Netzwerke als ein echtes Privileg, selbstbestimmt persönliche Wertvorstellungen realisieren zu können. Wenn es dem Auto oder einer über das Auto zur Verfügung gestellten Mobilitätsdienstleistung gelingt, die Menschen bei der Gestaltung eines für sie sinnvollen Lebens zu unterstützen, entsteht wahrscheinlich ein tragfähiges Gefühl neuer Wertigkeit. Die Konsumenten suchen anscheinend in Zukunft eher Premium-Mobilität als Premium-Fahrzeuge.

Vergleichbar mit der Neudefinition des Statusbegriffs und der Veränderung des Premium-Gedankens wird auch die Erlebniskategorie Fahrspaß zunehmend mit grundlegend geänderten Assoziationen belegt. Neben die bislang dominierenden Aspekte von Dynamik, Geschwindigkeit, Freiheit, Sicherheit und Komfort tritt ein zweites, davon deutlich unterscheidbares Resonanzfeld, in dem die Konsumenten Fahrspaß mit Vernunft, Sparsamkeit, sozialer Verantwortung, menschlicher Nähe und Schönheit in Verbindung bringen.

Vielleicht kann man in Design und Werbung noch eine Weile versuchen, die Emotionen der Vergangenheit wieder aufleben zu lassen; und sicher wird die Freude am Automobil im Reservat der Oldtimer und Edelmarken noch lange unverdrossen zelebriert werden. Aber die Automobilindustrie tut gut daran, sich selbstkritisch mit dem stattfindenden Wertewandel und dem dahinter stehenden Thema des öko-sozialen Gleichgewichts auseinander zu setzen.

© SZ vom 2.6.2009/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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