Knöllchen aus dem Ausland:Unliebsame Urlaubserinnerung

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Die ruhigen Zeiten für Raser und Falschparker sind vorbei: Wer im Ausland Strafzettel sammelt, bekommt sie künftig vom Bonner Bundesamt für Justiz nachgeschickt.

Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die EU-Staaten sind durchlässig geworden, für Händler ebenso wie für Urlauber - nur für Knöllchen ist an der Grenze Schluss. Haben die Flics oder Carabinieri es versäumt, einen etwas zu rasanten EU-Nachbarn gleich an der Autobahn zu stellen, wird es mit dem Eintreiben des Bußgelds schwierig - wenn nicht ein bilateraler Vertrag dies ermöglicht, wie zwischen Deutschland und Österreich.

Wer im Ausland geblitzt wird, der kann sich in Zukunft nicht mehr drücken. (Foto: Foto: ddp)

Das wird bald anders werden: Nach langem Anlauf und mit einigen Jahren Verspätung soll in Deutschland ein EU-Rahmenbeschluss "zur gegenseitigen Vollstreckung von Geldsanktionen" umgesetzt werden. Dann schickt das zuständige Gericht aus Andalusien oder vom Plattensee den rechtskräftigen Bußgeldbescheid gegen einen Raser oder Rotlichtsünder einfach ans Bonner Bundesamt für Justiz, das ihn dann vollstreckt.

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Mitte Januar hat der Entwurf das Kabinett passiert, größere Hürden in Bundestag und Bundesrat sind bisher nicht in Sicht. Zum 1. Oktober könnte das Gesetz in Kraft treten. Anwendbar wäre es für Bußgeldbescheide von 70 Euro an, vorerst aber nur im Verhältnis zu den - etwa zwei Drittel - EU-Staaten, die den Beschluss bis dahin ebenfalls umgesetzt haben. Darunter sind, bis auf Luxemburg, alle Nachbarstaaten Deutschlands.

So weit die Theorie. In der Praxis werden die EU-internen Grenzen manchen Straßenrowdy vor den Konsequenzen seines Tuns bewahren. Das liegt daran, dass die EU-Länder sich im Rahmenbeschluss zwar gegenseitig versprochen haben, Bußgeldbescheide möglichst unbesehen zu akzeptieren - was sie aber mit Rücksicht auf die eigene Rechtsordnung gar nicht dürfen.

Ein Schlupfloch wird beispielsweise die sogenannte Halterhaftung eröffnen. Frankreich und Niederlande haben ihre Schwierigkeiten bei der Verfolgung von Verkehrssündern dadurch minimiert, dass sie kurzerhand den "Halter" des Wagens für den Verkehrsverstoß haftbar machen, ob er nun am Steuer saß oder nicht. Das gibt es in Deutschland nicht: Das Prinzip, dass derjenige haftet, der im Fahrzeugbrief steht, lässt man hierzulande gerade noch für Parkverstöße gelten.

Ausreden könnten weiter gelten

Für den "fließenden Verkehr" könnte der Gesetzgeber die Halterhaftung selbst dann nicht einführen, wenn er wollte - weil eine Strafe eben nur bei persönlicher Schuld verhängt werden darf. Ein eherner Grundsatz der deutschen Verfassung, den nicht einmal die EU umstoßen könnte, meint der Jenaer Rechtsprofessor Michael Brenner.

Der beliebte Autofahrerspruch "Keine Ahnung, wer gefahren ist, ich jedenfalls nicht" könnte also doch noch stechen. Denn wenn der Fahrer damit beim zuständigen Gericht in Lyon oder Rotterdam von vornherein kein Gehör findet, weil sein Einwand - ob Wahrheit oder Ausrede - nach französischem oder holländischem Recht ohnedies irrelevant ist, dann darf das deutsche Bundesamt für Justiz das Knöllchen in Deutschland nicht vollstrecken. So hat man das schon bisher mit Österreich gehalten, das ebenfalls eine Art Halterhaftung kennt - ein Verstoß gegen den "ordre public", also einen Grundpfeiler der deutschen Rechtsordnung. Dasselbe kann künftig auch im Verhältnis zu Frankreich oder den Niederlanden gelten: "Es ist nach wie vor das Verschuldensprinzip maßgeblich", versichert Ulrich Staudigl vom Bundesjustizministerium.

Die Umsetzung ist fraglich

Selbst wenn die französische Justiz auf die deutschen Bedenken Rücksicht nehmen und den wirklichen Fahrer ermitteln wollte, könnte sie an der eigenen Infrastruktur scheitern: Weil die Autonummer ja ausreicht, "wird in Frankreich nur von hinten geblitzt", sagt ADAC-Jurist Michael Nissen. Und Brenner weiß, dass mancher ausländische "Starenkasten" die deutschen Bindestriche durcheinanderbringt - aus BN-L könnte unversehens ein B-NL-Kennzeichen werden.

Fraglich bleibt zudem, wie die Justizbürokratie minimale Verfahrensstandards umsetzen wird. Denn der Verkehrssünder muss seinen Bußgeldbescheid in einer Sprache erhalten, die er versteht. Das steht im Europäischen Rechtshilfeübereinkommen. Italien und Niederlande beispielsweise bemühten sich um Übersetzungen, - "doch Franzosen und Spanier schicken das in ihren Sprachen", berichtet Nissen. Wer also auf Finnisch aufgefordert wird, sich zur Missachtung einer Ampel in Jyväskyla zu äußern, wird den Fortgang des Geschehens eher gelassen abwarten können.

Was die Justiz an ausländischem Bußgeld hierzulande bei deutschen Rasern eintreibt, bleibt übrigens im Land. Im Rahmenbeschluss ist - auf Gegenseitigkeit - vereinbart, dass der "Vollstreckungsstaat" von den ausländischen Knöllchen profitiert. Eigentlich kein schlechtes Geschäft für die Deutschen, weil das Bußgeld im Ausland meist deutlich höher sind. Nur: Der Eifer der Gerichte zwischen Malta und Lappland, Bußgeldbescheide auch noch zum Wohle des ausländischen Fiskus zu verschicken, dürfte dadurch eher gebremst sein.

© SZ vom 2.2.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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