100 Jahre Alfa Romeo:Von null auf hundert

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Am 24. Juni 1910 wurde Alfa Romeo gegründet - bis heute ist die Marke eine der stärksten der Welt. Ein Rückblick

Jörg Reichle

Wie viele Erinnerungen beginnt auch diese mit einem Bild. Das Foto, etwas mehr als handtellergroß, die Farben ein wenig verblasst, zeigt eine kleine Familie an einem Strand, fröhlich lachend, wie das so ist auf solchen Fotos. Dahinter, in kleiner Entfernung, eine Limousine, schneeweiß, von klarer Form, nicht allzu groß und trotz aller Schlichtheit doch sehr präsent, irgendwie.

100 Jahre Alfa Romeo
:Meilensteine aus Mailand

Alfa Romeo feiert 100. Geburtstag. Die Marke hat viele Höhen und Tiefen erlebt - ein Blick zurück auf ein Jahrhundert voller Design, Tempo und Emotion. In Bildern.

Mit diesem weißen Alfa Romeo, einer 1750 Berlina, war die Tiefgarage meines Herzens für immer belegt. Es war das Jahr 1969 und Vaters mechanische Leidenschaft hatte über den Besitz eines Ponton-Mercedes und eines 1800er aus der Neuen Klasse von BMW geradewegs in die Arme der Italiener geführt. Die Berlina, die 114 PS hatte und 175 km/h lief, was schnell war damals, hatte rein sprachlich gesehen wie alle frühen Alfa-Limousinen übrigens weibliches Geschlecht. Sie, die Berlina also, kam sechs Jahre nach Geburt der sagenhaften Giulia auf den Markt, der ersten Sportlimousine überhaupt, wie es heute heißt.

Die Giulia wurde 16 lange Jahre gebaut, angetrieben von diesem legendären, samtweich klingenden Vierzylinder mit zwei oben liegenden Nockenwellen, von dem Kenner heute noch schwärmen; sie wurde verändert und verbessert, es gab sie mit 1,3 und mit 1,6 Liter Hubraum und am Ende sogar mit Dieselmotor. Und doch blieb sie immer, was sie im Ursprung war - ein eigenwillig gestyltes, leidenschaftliches italienisches Auto.

Wie die Berlina. Unvergesslich bis heute ihr Klang, wenn sie fuhr und die Tage, die sie in der Werkstatt verbrachte. An sonnigen Nachmittagen traf man sich dort, trank Espresso, palaverte und schaute dem Meister über die Schulter, der diese wunderbaren Autos wieder zum Laufen brachte. Und die man leider noch nicht selbst besitzen konnte. Erst später. Dann kam ein Alfasud Ti in die Garage, danach ein kantiger 75. Aber da hatte die Marke das Beste schon einige Zeit hinter sich und schaute über die Kante in den Abgrund.

Genf 2010: Pininfarina 2uettottanta
:Arbeitsauftrag: Schönheit

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Von denen gab es übrigens manche in der 100-jährigen Geschichte. Es mag die italienische Volksseele schmerzen, dass ausgerechnet der Inbegriff der nationalen Autobaukunst auf französische Wurzeln zurückgehen soll. Und doch ist es so. Schon 1906 hatte der französische Autobauer Alexandre Darracq in Portello, im Westen Mailands, ein modernes Werk gebaut. Aber die patriotischen Italiener kauften lieber Fiat als beim Franzosen.

Das Ende als Anfang: Bald übernehmen Geschäftsleute aus der Lombardei das Werk, gründen die "Anonima Lombarda Fabrica Automobili (A.L.F.A.). Am 24. Juni 1910 wird das Unternehmen ins Handelsregister der Stadt Mailand eingetragen. Und noch im selben Jahr verlässt der erste Wagen das Werk. Der 24 HP hat 42 PS, 4,1 Liter Hubraum und erreicht um die 100 km/h. Und auf den Rennpisten fährt man erste Siege ein.

Doch die Zeiten sind schlecht, der Erste Weltkrieg nah. Im September 1915 meldet die Bank Alfa zum Konkurs an, Chef des Folgeunternehmens wird der Ingenieur Nicola Romeo. Man baut Rüstungsgüter, verdient wieder Geld. Und baut von 1919 an erneut Autos, die jetzt den Namen Alfa Romeo tragen. Sie sind edel, schnell und teuer. Und weil nichts dem Verkaufserfolg zuträglicher ist, als Rennsiege, wird das flammende Rot der von Vittorio Jano konstruierten Rennwagen bald zur Symbolfarbe des Triumphs. 1925 holt der P2 die erste Weltmeisterschaft.

In der Zeit zwischen den Kriegen entstehen bei Alfa Romeo Autos, die heute zu den Ikonen der Automobilgeschichte zählen, gezeichnet von den besten Karossiers, bildschön und unbezahlbar. Es kommen die 6C- und 8C-Varianten 1750, 2300, 2500 und 2900, letzterer gut und gerne für den Preis einer Villa am Comer See.

Und doch bleibt die Pleite ständige Bedrohung für Alfa Romeo. Der Börsenkrach von 1929 ruft den Staat als Retter auf den Plan - und der bleibt dann einfach, auch als nach dem Krieg die Trümmer längst beseitigt sind. Alfas wurden jetzt volkstümlich. Mit dem 1900 und der folgenden Giulietta wandelte man sich von der Manufaktur zum Serienhersteller.

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:Alfa-Tier

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Und mehr noch: Bald waren Alfas in ganz Europa und selbst in Übersee zu Symbolen des leichten italienischen Lebens geworden. Auch in den Filmstudios. Das elegante Giulietta Coupé - Michel Piccoli fuhr es in "Die Dinge des Lebens" und verunfallte am Ende in Super-Zeitlupe. Dustin Hoffman wiederum bestand im glutroten Spider seine "Reifeprüfung".

Wer heute den Zauber dieser Marke und dieser Zeit noch einmal erleben will, kann sich natürlich in einem der vielen Markenclubs umschauen, sich einen der zahlreichen angebotenen Spider oder Bertone Coupés zu recht zivilen Preisen gönnen. Oder er fährt sie einfach nur.

Ortstermin Kitzbühel, zum Geburtstagstreffen hat Walter Laimer geladen. Laimer veranstaltet unter dem Namen Nostalgic Tours Autoreisen mit einer ganzen Flotte von historischen Alfa Romeos - angefangen von der filigranen Giulietta, offen natürlich, über die großen 2000 und 2600 Spider bis hin zur raren Giulia GTC, von der einst gerade einmal 1000 Stück gebaut wurden.

Hier baden wir noch einmal für ein paar Stunden im Klang des Vierzylinders (nicht ohne zuvor die sieben Liter Öl behutsam angewärmt zu haben), versuchen mit dem großen Volant den sauberen Strich und sind verwundert über die harmlosen Trommelbremsen von einst und wie wenig uns seinerzeit die sehr italienische Verarbeitung gestört hatte.

Wann genau die Marke in Abwind geriet, ist auch heute noch mehr eine Frage des subjektiven Empfindens als exakt an Verkaufszahlen abzulesen. Irgendwann verschwand auch die Liebe, vielleicht zerschnitten vom immer kantigeren, skurrilen Design der siebziger und achtziger Jahre, von Modellen wie Alfa 75 und 90. Oder sie entwich durch die Rostlöcher des frühen Alfasud, die den Ruf für viele Jahre ruinierten.

Auch dass sie einem Kurzschluss erlag, wie die Zündung des 164 so oft, können wir nicht ausschließen. Immer gab es an neuen Alfas ja auch viel zu loben und zu bestaunen. Die Straßenlage sowieso, auch das eine und andere Triebwerk, oder das Transaxle-Prinzip - Motor vorn, Getriebe hinten, kombiniert mit innen liegenden Scheibenbremsen. Trotzdem haftete neuen Alfa-Modellen, seit Mitte der achtziger Jahre unter Fiat-Regie, oft etwas Klägliches an, und nicht nur dem Arna, der 1983 in Kooperation mit Nissan entstanden war. Später gab es auch Technik aus dem GM-Regal.

Mit dem rundlichen 156 und dem eleganten 166 begann 1997 der zunächst behutsame, dann immer entschlossenere Wiederaufstieg von Alfa Romeo. Der war und ist vor allem eine Form-Sache. Seit Walter de'Silva 1986 die Leitung des Centro Stile übernahm, dem später sein Ziehsohn Wolfgang Egger folgte - heute beide bei Volkswagen -, sind Alfas vor allem wieder eines: bildschön.

"Ich halte Alfa Romeo für eine der stärksten Marken der Welt." Ferdinand Piëch hat das gesagt, diabolisch grinsender Gottvater der deutschen Autoindustrie. Ein Ritterschlag. Fiat-Chef Marchionne sieht die Marke und ihre Zukunft nüchterner. "Alfa muss endlich Geld verdienen", forderte er. Was sonst passiert, ließ er offen.

© SZ vom 21.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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