Fiat Punto:Aufbruch in eine neue Ära

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Mit schnörkellosem Design, sechs Motor- und fünf Ausstattungsvarianten

(SZ vom 25.09.1993) Daß das Schicksal des Fiat-Konzerns am neuen Modell Punto hänge, möchte Paolo Cantarella, Chef der Fiat-Automobil-Sektion, nicht so kraß formuliert wissen - schließlich sei das italienische Unternehmen ein multinationales und diversifiziertes Großunternehmen, und nicht nur im Autogeschäft tätig. Andererseits könne er nicht leugnen, daß mit dem neuen Kleinwagen eine neue Fiat-Ära beginne.

Der Nachfolger des schon in den siebziger Jahren als preiswerter Kleinwagen konzipierten und nunmehr zehn Jahre lang gebauten Fiat Uno rollt am 6. November 1993 zu Vertragshändlern in Italien, Frankreich und Deutschland. Und ungeachtet seines Größenwachstums um sieben Zentimeter in der Länge, 6,5 Zentimeter in der Breite und 3,5 Zentimeter in der Höhe, sowie seines neun Zentimeter längeren Radstandes und der drei, bzw. fünf Zentimeter breiteren Spur bleibt der Punto wie sein Vorgänger im hart umkämpften B-Segment angesiedelt. Mit dem Punto startet Fiat eine Offensive, die insgesamt 18 neue Modelle umfaßt.

Eine Offensive, die mit schlankeren Unternehmensstrukturen, kürzeren Entwicklungszeiten neuer Modelle und kooperativen Fertigungsprinzipien im modernen Punto-Werk im süditalienischen Melfi Premiere feiert. Doch auch das Produkt zeugt vom neuen Fiat-Geist, der schon allzu lange auf sich warten ließ.

Stardesigner Giorgio Giugiaro hat sich mächtig ins Zeug gelegt, dem Punto jene Eigenständigkeit anzupassen, die einen Fiat früher als eigenständiges Fahrzeug auswies. Seine strömungsgünstige Gesamterscheinung (Cw-Wert 0.31) mit verhältnismäßig langem Radstand und extrem kurzem Hecküberhang, mit steil stehender Heckklappe und hochgesetzter Leuchteneinheit, mit nahezu in gleichem Winkel wie die Frontscheibe abfallender Motorhaube und mächtigem Stoßfänger wirkt indes nicht so neu. Kein Styling- Element ist erkennbar, das Giugiaro neu erfand. Es sind eher dezente Merkmale und ihre Verdichtung zu einem schnörkellosen Ganzen, die darauf hinweisen, daß der neue Punto ein moderner Fiat sein will: die bauchigen Radkästen, kräftigen A-Säulen, breite und weit öffnende Seitentüren . . .

Dafür spricht insbesondere auch die im Fall eines Crashs gezielt verformbare, ansonsten aber äußerst feste Rahmen- Grundstruktur. Verstärkte Längsträger, Flanken und Türen ergänzen sich zu einer steifen Fahrgastzelle. Schon die Basisversion kommt mit Gurtstrammern für die Vordersitze daher, von der SX-Ausstattungsvariante an wird serienmäßig ein Fahrer-Airbag eingebaut - für die vier Versionen 90 SC, HDS, ELX und GT gibt's sogar ein Bosch-Vier-Sensoren-ABS ohne Aufpreis dazu. Alle anderen Modelle lassen sich für 800 Mark mit Fahrer-Airbag aufrüsten. Die gesamte Modellpalette umfaßt sechs Motor- und fünf Ausstattungsvarianten, wobei die Zahlenkombination am Heck teilweise Auskunft über die PS-Stärken gibt: Punto 55 (40 kW/55 PS), 60 (44 kW/60 PS), 75 (55 kW/75 PS), 90 (66 kW/90 PS), GT (100 kW/136 PS) und TD (51 kW/70 PS, Turbodiesel). Die Ausstattungsvielfalt reicht vom Standardmodell S über den ED, SX, ELX bis zum GT und kann wahlweise auch Viertürer umfassen. Darüber hinaus bietet Fiat ein Sicherheitspaket HDS an, das sich mit der S- und SX- Ausstattung kombinieren läßt und Servolenkung, Zentralverriegelung, ABS, Kopfstützen hinten und Fahrer-Airbag umfaßt und eine elektronische Diebstahlsicherung. Die Preisskala aller Modelle erstreckt sich von 17 390 Mark (55 S) bis 29 900 Mark (GT). Damit liegt der günstigste Punto knapp unter dem preiswertesten Seat Ibiza und sogar 500 Mark unter dem Opel Corsa.

Daß bereits der Punto 50 als sparsamer und agiler Wagen gelten darf, der darüber hinaus sogar mit kultivierten Fahreigenschaften aufwartet, liegt u. a. an der Überarbeitung des kleinen 1,1-Liter-Fire- Motors. Ein Schwingungsdämpfer sowie acht statt bisher vier Gegengewichte für die Kurbelwelle zeichnen dafür ebenso verantwortlich wie solide eingepaßte Tür- und Fensterdichtungen. Sie alle reduzieren lästige Fahrgeräusche auf ein in dieser Fahrzeugklasse äußerst niedriges Niveau. Hinzu kommt auf Wunsch ein Sechsganggetriebe - eine absolute Novität dieses Segments und als Nebeneffekt der italienischen Gesetzgebung zu verstehen. Die verlangt von Führerscheinneulingen ein erstes Auto mit weniger als 50 kW pro tausend Kilo Automobil. Außerdem muß es unter 150 km/h Höchstgeschwindigkeit bleiben. Durch die enge Abstufung der sechs Gänge in Verbindung mit einer kürzeren Achsübersetzung bietet dieser Punto 50 (nur er kann mit sechs Gängen bestellt werden) deutlich mehr Zugkraft.

Sechs Gänge für 150 km/h

Noch sparsamer, aber nicht ganz so spritzig gibt sich der Punto 55 ED mit besonders langer Hinterachse. Er verbraucht im Drittelmix nur 5,9 l/100 km. Damit liegt er auf gleichem Niveau wie der sparsame Punto TD mit Turbodieselmotor. Indes bietet der TD deutlich mehr Durchzugskraft schon ab 1700 Touren.

Von der Tradition kleiner, aber wieselflinker Italo-Sportler erzählt der Punto GT mit Turbo-Benzinaggregat. Seine tausend Kilo Leergewicht stürzen aus dem Stand in nur acht Sekunden auf 100 km/h, und der Vortrieb findet erst bei 205 km/h seine physikalische Grenze. Der GT mit dem sogar bis weit über 4000 Touren erstaunlich ruhig drehenden 100 kW-Motor bietet wahrlich südländisches Temperament: gelassen reagiert er aufs Gasgeben im unteren Drehzahlniveau, um nach nahezu drei Gedenksekunden mit Einsetzen des Laders impulsiv davonzustürmen. Ein Turbomotor alter Schule!

Auch das Fahrwerk zeugt vom Innovationswillen der Turiner: gegenüber dem Uno stützt sich der Punto mit Fahrschemeln an beiden Achsen ab, die Federbeine mit unteren Dreiecksquerlenkern vorn und die Längslenkerachse hinten ähneln der Tipo-Ausführung. Das Ergebnis ist spürbar: guter Geradeauslauf im flotten GT und gute Führungseigenschaften.

Mit der Gestaltung des Punto-Innenraums verläßt Fiat so markante wie lästige italienische Gewohnheiten, die uns steil stehende Lenkräder, verwirrende Multifunktionsschalter, impulsiv und scheinbar willkürlich verstreute Schalter und Knöpfe, sowie Beinfreiheiten bescherte, die so manchem Teutonen die Gelassenheit raubte, ehe er überhaupt Fahrt aufnahm.

Daß Fiat mit dem neuen Punto ein unübersehbares Zeichen setzt, sich den veränderten Marktbedingungen gerade in diesem Segment zu stellen, ist unübersehbar. Der Punto wirkt durchdacht, reif und scheint auch einen Schlußstrich unter die viel gescholtene italienische Verarbeitungsqualität ziehen zu wollen. Da auch die Preisgestaltung in vernünftigen Bahnen läuft, ist zu wünschen, daß Fiat mit diesem Kleinwagen wieder zur alten Stärke zurückfindet.

Von Jürgen Zöllter

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