Die Stucks, eine Rennfahrer-Dynastie:Familie Vollgas

Lesezeit: 4 min

Eine Familie schrieb und schreibt immer noch Rennsportgeschichte - kein Wunder, dass den Namen Stuck jeder kennt. Jetzt erscheint ein Buch über die Rennfahrer-Dynastie.

Jörg Reichle

Es war ein böses Erwachen. Als Rudi Walch in einem New Yorker Hotel die Augen aufschlug, fand er sich im Bett liegend vor der Rezeption wieder, umringt von einer aufgeregt schwatzenden Gästeschar. Was war geschehen? Ein Scherzbold hatte den Jetlag-geschädigten Rennmechaniker, tief schlafend, samt Bett in den Hotelaufzug geschoben und ihn ins Erdgeschoss geschickt.

Der Scherzbold hieß Hans-Joachim Stuck, genannt Strietzel, damals, Mitte der Achtziger, Deutschlands bester Rennfahrer und Sohn eines nicht weniger berühmten Vaters. Der saß schon in den dreißiger Jahren am Steuer der Auto-Union-Silberpfeile, galt noch bis in die frühen Sechziger dank unzähliger Siege als "Bergkönig" und er war obendrein Begründer einer Dynastie von Rennfahrern, deren Name zumindest hierzulande jeder kennt - selbst Menschen, die diese Art von Tätigkeit für weitgehend sinnfrei halten.

So gesehen ist es erstaunlich, dass erst in dieser Woche ein Buch über die Stucks erscheint. Zumal deren Lebensläufe genügend Stoff für beste Unterhaltung bieten. Denn die Karrieren von Vater und Sohn verliefen alles andere als geradlinig, auf himmelhohe Triumphe folgten oft genug die tiefen Täler der Enttäuschung, auch spektakuläre Unfälle waren darunter.

Doch beide galten in ihren besten Zeiten als geniale Könner und waren obendrein immer gut für abendfüllende Anekdoten. Für ein Porträt dieser Art ist Eckhard Schimpf der passende Autor. Der (frühere) Rennfahrer und Journalist kannte den Vater, Jahrgang 1900, noch persönlich und fuhr später bisweilen gegen den Junior im Wettbewerb, "aber der spielte in einer anderen Liga", wie Schimpf einräumt.

Es ist deshalb auch ein persönliches Buch geworden, Ergebnis langer Gespräche mit Hans-Joachim Stuck in dessen Haus in Ellmau nahe Kitzbühel und dem gemeinsamen Wühlen im familieneigenen Fotoarchiv. Dennoch ist distanzlose Heldenverehrung Schimpfs Sache nicht, der Autor geht durchaus kritisch mit seinen Hauptdarstellern um. Und die bieten so manche Angriffsfläche.

Da ist zum einen die Sache mit den Nazis. Hans Stuck, gelernter Landwirt und Gutsbesitzer in Bayern, begann seine Karriere 1924, also in der "heroischen, extrem gefahrvollen Zeit des Motorsports", wie es im Buch heißt. Aus dieser Anfangszeit, die Stuck mit der Marke Austro Daimler zusammenbrachte, entstand eine tiefe, langjährige Freundschaft mit deren Konstrukteur, Professor Ferdinand Porsche, wenig später auch Vater des ersten Grand-Prix-Wagens der Auto Union.

Möglich gemacht wurde der bald folgende Siegeszug der deutschen Silberpfeile aus Untertürkheim (Mercedes) und Zwickau (Auto Union) ja erst dank der Finanzierung durch Hitler und die Nationalsozialisten. Und Stuck als einer ihrer erfolgreichsten Fahrer wusste sich seiner Beziehungen zu den Machthabern durchaus zu bedienen, trotz seiner "Distanz zur Nazi-Ideologie", wie Schimpf schreibt. Hätte es dieses Championat 1934 schon gegeben, wäre Stuck in diesem Jahr Weltmeister geworden, dazu kamen unzählige Siege in anderen Meisterschaften.

Und der groß gewachsene, gut aussehende Stuck taugte nicht nur sportlich als nationales Aushängeschild. Er hatte beste Verbindungen zu höchsten Kreisen, verkehrte in den eleganten Salons der Reichshauptstadt Berlin mit Künstlern, Politikern und anderen Sportheroen wie Max Schmeling oder Gottfried von Cramm. Und als später die Rennkarriere ins Stocken geriet, auch weil der neue Star Bernd Rosemeyer im eigenen Team erfolgreicher war, scheute sich Stuck nicht, über Hitler und einige SS-Größen Druck auf die Auto Union auszuüben, ihm weiterhin konkurrenzfähige Autos zu bieten.

Doch Stuck war auch der ewige Publikumsliebling. Querfahren, das konnte der wie kein Zweiter, immer das Heck nach außen, erst auf den Schotterpisten am Berg, später mit dem Heckmotor-Silberpfeil auch auf den Grand-Prix-Pisten, rasiermesserscharf vorbei an Gräben, Hausmauern oder Bäumen.

Und weil er auch noch stets voller sprühendem Optimismus war, eloquent und jederzeit für Späße gut, hatte Vater Stuck einen Schlag bei den Frauen, Schimpf berichtet über Affären und drei Ehen. Gattin Christa, heute 89, lebt noch immer am Familienstammsitz in Grainau am Fuß der Zugspitze.

Dennoch beschreibt Schimpf die frühen Jahre von Hans-Joachim Stuck, im Januar 1951 geboren, als "liebevoll-enge Vater-Sohn-Beziehung, gegen die es Mutter Christa schwer hatte". Kein Wunder, denn die Stuck-Männer verband neben dem Rennsport nicht nur ihre Körpergröße und physiognomische Ähnlichkeit bis hin zu zwei etwas anarchisch unregelmäßigen Zahnreihen.

Wie schon der Vater riss auch der Sohn das Publikum mit seinem spektakulären Fahrstil hin und die liebten ihn dafür. Dafür, und für sein fröhliches Naturell, samt "bayerisch-folkloristischer Untermalung". Auch die Frauen übrigens, es liegt wohl in der Familie.

Vielleicht ist es deswegen mit der ganz großen Formel-1-Karriere nichts geworden, weil die Stucks immer das Leben so sehr liebten. Großartig war der Junior im Tourenwagen von 1969 an, egal ob im BMW, Ford Capri oder noch später in den Allrad-Audis der DTM oder in Amerika. Auch in der Formel 2 fuhr er unvergessliche Siege ein und wurde 1985 im 700 PS starken Porsche-Sportwagen 956 zusammen mit Derek Bell Weltmeister. Dennoch blieben von den Jahren in der damals lebensgefährlichen Formel1 - 1974 bis 1979 bei March, ATS und Brabham - nur zwei Plätze auf dem Podium. Der Rest waren Ausfälle, Unfälle und sicher auch Pech.

Andererseits fehlte dem Lebenskünstler Stuck, genialer Hallodri, oft die letzte Ernsthaftigkeit. Fremd blieb ihm die analytische Arbeitswut eines Niki Lauda, den er schon mal verächtlich "Körnerfresser" nannte, wie Schimpf schreibt. Und während die Kollegen Testkilometer schrubbten, verschwand Stuck lieber zum Skifahren.

Heute, der Vater starb 1978, geht der Junior auch schon auf die 60 zu. Rennen fährt er immer noch dann und wann, auf der Nürburgring-Nordschleife ist er nach wie vor schwer zu schlagen. Ansonsten testet er Autos, ist Motorsportberater des Volkswagen-Konzerns und umtriebig wie eh und je, berichtet Schimpf. Nur, dass die Bühne kleiner geworden ist.

Dafür sind die beiden Söhne Johannes Emanuel, 23, und Ferdinand Alexander, 18, ebenfalls schnell unterwegs - Johannes auch schon mal gemeinsam mit dem Papa beim 24-Stunden-Rennen am Ring, Ferdinand 2010 als offizieller Porsche-Junior. Womöglich schreibt Familie Vollgas also noch länger Rennsportgeschichte.

© SZ vom 06.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: