Alterserscheinungen:Die leisen Stimmen des Zweifels

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Auch wenn man es kaum glauben mag, aber Reaktion und Sehtüchtigkeit lassen auch beim besten Fahrer nach.

Christina Berndt

Wenn etwas schief ging, war die Technik schuld. Auf ihren Führerschein wollte die Zeit-Herausgeberin Marion Dönhoff ihr Leben lang nicht verzichten. "Ich fahre genauso gut wie vor 20 Jahren", versicherte sie mit gräflicher Überzeugungskraft, als sie 83-jährig einen schweren Unfall baute. Viele Senioren leugnen hartnäckig, dass ihre Fahrtüchtigkeit nachgelassen hat. Die Sehkraft wird schließlich schleichend schlechter, und die Reaktionsfähigkeit beginnt schon Jahrzehnte vorher abzunehmen. Da bemerkt den Verlust nur, wer ohnehin zu Selbstkritik neigt.

Umso drastischer ist der Alterungsprozess, den junge Ingenieure beim Autohersteller Ford zu spüren bekommen. Schließlich sollen sie Autos konstruieren, mit denen auch die immer größer und kaufkräftiger werdende Gruppe der Senioren noch gerne fährt.

Senioren-Simulations-Anzug

Seit einigen Jahren steckt Ford seine Mitarbeiter deshalb in einen speziellen Senioren-Simulations-Anzug, der in Zusammenarbeit mit der britischen University of Loughborough entwickelt wurde. "Er soll unseren jungen Leuten die Beschwerden der dritten Generation vergegenwärtigen", sagt Ford-Sprecher Hartwig Petersen.

Wer diesen Anzug anzieht, will von einer Minute auf die andere noch weniger gern alt werden: Dicke Verstärkungen an den Gelenken lassen keinen Zweifel daran, dass ältere Menschen nun einmal weniger beweglich sind. Da macht es mitunter schon Mühe, die weit offen stehende Tür zu schließen oder beim Fahren durch eine große Pfütze schnell mal zum Scheibenwischer zu greifen.

Diesen fein zu regulieren, fällt ohnehin schwer, weil dicke Latexhandschuhe die Finger unsensibel machen. Eine Art Nierengurt versteift die Hüfte, und eine Halskrause verdeutlicht, weshalb Ältere besonders häufig beim Abbiegen und Rückwärtsfahren Unfälle verursachen. Die Bandagen mindern auch die Kraft, die der Fahrer mit Armen und Beinen ausüben kann.

Empfindlich bei Blendungen

Am schlimmsten aber ist die Brille: Sie taucht die Umwelt in ein leichtes Gelb, verringert die Sehschärfe und macht die Augen für Blendungen empfindlicher. "Die meisten jungen Leute sagen, dass sie überhaupt nicht mehr Auto fahren würden, wenn sie so sehen würden", sagt Ford-Sprecher Petersen.

"Auch wenn Alter an sich keine Krankheit ist, so kommt es doch zu natürlichen Leistungseinbußen", betonte die Ärztin Martina Albrecht von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) Ende vergangenen Jahres auf einem Seminar des Deutschen Verkehrssicherheitsrates. Ältere Menschen sehen und hören nicht nur schlechter, zweifellos lassen auch Gedächtnis, Reaktionsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Beweglichkeit nach - wenn auch individuell in sehr unterschiedlichem Maße.

Weil sie länger brauchen, um Informationen zu verarbeiten, können Senioren nicht so schnell auf eine rote Ampel oder ein bremsendes Auto reagieren. Darüber hinaus leiden sie häufig unter chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck, Rheuma, Diabetes oder Parkinson, welche die Alterserscheinungen noch verstärken können - vom Risiko für einen Schlaganfall oder Herzinfarkt am Steuer ganz zu schweigen. Dabei können die Medikamente, die viele ältere Autofahrer einnehmen müssen, die Verkehrstüchtigkeit mitunter zusätzlich gefährden, betonte die Ärztin Albrecht.

Aber auch wenn sich all diese Veränderungen schleichend einstellen und viele Senioren ihre Fahrdefizite vehement leugnen, so nehmen sie doch oft Rücksicht auf ihre besondere Situation: Viele meiden Fahrten bei Dunkelheit oder Regen - auch wenn sie zur Begründung meist sagen, dass sie bei solchem Wetter einfach lieber in der guten Stube sitzen.

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