"Man müsste einmal eine Abhandlung über den sittlichen, physischen und ästhetischen Einfluß des Ford Modell T auf das amerikanische Volk schreiben. Zwei US-Generationen wußten mehr über Fords Zündstift als über die Klitoris, mehr über die Gangschaltung als über den Lauf der Planeten. Mit dem Auftauchen des Modell T verschwand etwas vom Begriff des Privateigentums. Zangen hörten auf, Privateigentum zu sein und eine Luftpumpe gehörte demjenigen, der sie zuletzt benutzte. Die meisten Babys jener dahingegangenen Epoche wurden im Ford Modell T gezeugt und nicht wenige in ihm geboren."
Gewiss hat John Steinbeck das T-Modell nicht berühmt gemacht, das besorgten im Laufe der Jahre schon Millionen Amerikaner, die mit ihm den Alltag meisterten oder die unfassbaren Weiten des Landes überwanden. Aber der Schriftsteller, Nobelpreisträger mit einem Herz für die kleinen Leute, schrieb dem ersten Massenmobil der Welt eine der schönsten Liebeserklärungen, die je einem Auto zuteil wurden. In seinem Roman "Die Straße der Ölsardinen", in dem ein paar liebenswerte Taugenichtse um ihren Anführer Mack immer nur das Beste wollen, dabei aber immer glorreich scheitern, erlebt man mit, wie die Handvoll Jungs eines Tages mit dem maroden Ford des Händlers Lee Chong zum Fröschefangen fahren.
"Wie ein seniler Klepper stand der Ford Modell T hinter dem Krämerhaus zwischen Unkraut, und wilde Malven ringelten sich um seine Speichen... Das Gaspedal funktionierte noch; die Fußbremse dagegen war völlig hin. Aber der Rückwärtsgang war in Ordnung. Der Rückwärtsgang ist beim Ford Modell T der letzte Rettungsanker. Wenn alle Bremsen hin sind - mittels Rückwärtsgang kann man immer noch bremsen, und wenn der erste Gang so kaputt ist, daß man nicht mehr bergan fahren kann, wendet man und fährt rückwärts."
Als der Roman erschien, 1945, war das T-Modell längst Geschichte. 1927 hatte das letzte Exemplar das Band in Detroit verlassen. Genau 15.456.868 Mal war es bis dahin auf der ganzen Welt verkauft worden, doch zuletzt hatte sich das Land abgewandt von seinem liebsten Automobil. Die Zeit hatte es überholt.
100 Jahre Ford T-Modell:Schwarze Magie
Vor 100 Jahren erfand Henry Ford mit dem T-Modell das erste Massenauto der Welt.
Aber von vorn: Schon 1896 hatte Henry Ford, Jahrgang 1863, Ingenieur und Sohn eines Farmers, mithin mehr praktisch denkender Mensch als Intellektueller, die Idee zu einem Auto für jedermann. Erschwinglich sollte es sein und den Menschen das Leben erleichtern. Schwer genug war es ohnehin. Nur jeder fünfte Amerikaner lebte damals in der Stadt und Amerika von der Landwirtschaft. Und gut 25 Millionen Pferde beherrschten das Transportwesen.
Dem ersten Versuch Henry Fords diese Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen - ein noch etwas dürftig wirkendes Mobil namens Quadricycle - folgten dann in rascher Folge immer weiter verbesserte. Zwischendurch, 1903, hatte Ford mit elf Partnern die Ford Motor Company in Detroit gegründet und die ersten Modelle folgten strikt der strengen Logik des Alphabets. 1908 war T an der Reihe, am 1.Oktober kam es auf den Markt.
Es wurde der Durchbruch: ein einfaches Auto für einfache Menschen. Es war klein und es war leicht. 700 Kilo wog das T-Modell nur und mit seiner üppigen Bodenfreiheit war kein Weg zu holprig und kein Sand zu tief. Es watete durch Flüsschen und spurte durch den Schnee. Dazu war es stark und einfach zu reparieren. Nichts konnte kaputtgehen, was nicht mit einem Schraubenzieher, einem Satz Schraubenschlüssel oder einer Zange wieder zu beheben war - manche behaupteten, dass es auch mit Kaugummi, Wäscheklammern und Bindfäden klappte. So treu und zuverlässig war der amerikanische Volkswagen damals, dass der Volksmund schnell einen passenden Kosenamen fand: Tin Lizzy, das eiserne Dienstmädchen.
Trotzdem erfordert T-Modell fahren eine gewisse Kunstfertigkeit. Jedenfalls heute. Schon das Anlassen ist eine Prozedur für sich. Für den nötigen Zündstrom aktiviert der unerschrockene Fahrer per Kippschalter eine Sechs-Volt-Batterie, stellt sodann den Zündungshebel am Lenkrad auf neun Uhr, den Gashebel gegenüber auf halb drei und zieht die Handbremse an. Danach klettert er auf der Beifahrerseite (die Fahrertür ist eine Imitation) aus der Fuhre herab, geht nach vorn, packt die Kurbel unterhalb des Kühlers und dreht zwei-, dreimal beherzt im Uhrzeigersinn.
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Kaum dass der Motor dann puffend und zischend läuft und das ganze Gefährt in unternehmungslustige Schwingung versetzt, heißt es schnell wieder hinters Lenkrad zu kommen, die Batterie ausschalten, den Zündhebel ein wenig nach unten drücken und Handbremse lösen. Die beiden Vorwärtsgänge werden mit dem linken von drei Fußpedalen eingelegt: erster Gang, Pedal durchdrücken; zweiter Gang, Pedal loslassen, dazwischen, ziemlich genau in der Mitte, liegt der Leerlauf. Das mittlere Pedal dagegen aktiviert den Rückwärtsgang und mit dem rechten wird gebremst. Gas geben geht, siehe oben, per Hand und Hebel am Volant. Und dann muss bloß noch alles in der richtigen Reihenfolge erfolgen.
Passt alles, schnurrt der 2,9-Liter mit seinen 20 PS und dem bärigen Drehmoment mit 1800 bis 2800 Touren gut gelaunt dahin, die beiden quer eingebauten Blattfedern über den starren Achsen vorn und hinten lassen auch größere Schlaglöcher vergessen und der Fahrtwind pfeift hinter der umlegbaren Frontscheibe fröhlich um die Nase. Mehr als 70 km/h machte das T-Modell, aber so genau wussten das wohl die wenigsten seiner Besitzer, denn ein Tacho war nur gegen einen saftigen Aufpreis zu haben und wer brauchte den schon wirklich.
Überhaupt gab es damals so gut wie niemand, der für ein Auto mehr Geld als unbedingt nötig ausgegeben hätte. Dabei war ein T-Modell schon ausgesprochen günstig. Als der Preis von anfänglich 825 Dollar auf den Tiefststand von 259 Dollar fiel, kauften Millionen Amerikaner ihr erstes Automobil. Wie dieser Preissturz möglich war? Als erstes Auto der Welt wurde das T-Modell auf einem Fließband produziert, was ihm und seinem Schöpfer auf ewig einen Platz in der Industriegeschichte garantiert.
Fords Idee: Statt den Mann zur Arbeit zu bringen wie in der herkömmlichen Autoproduktion, sollte die Arbeit jetzt zum Mann kommen. Im Oktober 1913 war es so weit, im Werk Highland Park nahm ein einfaches Fließband seine Arbeit auf. Dabei wurde ein Fahrgestell mit Seil und Winde langsam über den Fabrikboden gezogen, 140 Männer montierten nun auf drei Ebenen entlang der 46-Meter-Strecke die Einzelteile. Ergebnis: Statt wie bislang in 12,5 Stunden war ein T-Modell jetzt in kaum 6 Stunden fertig, am Ende waren es nur 93 Minuten. Dafür war jedoch ein motorgetriebenes Endlos-Fördersystem Voraussetzung und alle T-Modelle mussten in Schwarz lackiert sein, denn diese Emaillefarbe trocknete besonders schnell.
Limousinen entstanden so, kleine Laster mit Pritsche, auch ein schicker Zweisitzer mit festem oder klappbarem Dach. In den besten Zeiten liefen mehr als 9000 Tin Lizzys vom Band. Ein Auto für alle eben. Die Frau eines Farmers schrieb 1918 einen Brief an Henry Ford. "Ihr Auto", hieß es darin, "hat Freude in unser Leben gebracht. Wir haben jedes Rütteln seiner alten Knochen geliebt." Hätte Tin Lizzy je lesen gekonnt, sie würde sicher heute noch lächeln.