Zur Sensorik von Wein:Lyrik in Flaschen

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Was ist eigentlich ein "guter Wein"? Und ist was gemeint, wenn von Terroir oder Mineralität die Rede ist? Das ist schwer zu definieren.

Von Sebastian Herrmann

Dieser Wein verfügt über einen violetten Schimmer, ein dunkles Granat. Wonach der Tropfen schmeckt? Dörrfrüchte stecken im Aromenprofil. Pflaumenkompott. Teernoten auch. Wie schmecken überhaupt Teernoten? Taugt als Referenz für dieses Aroma ein kräftiger Zug an einer starken Zigarette? Oder ist es nötig, an einer frisch asphaltierten Straße zu lecken, um diesen Geschmack zu begreifen? Und diese Lakritze-Spitzwegerich-Note, von der in der Beschreibung dieses Portweins bei einem Onlinehändler auch die Rede ist, wie unterscheidet sich diese vom Geschmack nach Schwarztee und Korinthen? Ach, diese Weinlyrik: Wortgeklingel mit floralen Noten, dazu ein üppiger Schuss Verwirrung und ein Schimmer Einschüchterung; nur im Abgang leider etwas inhaltsleer.

Handelt es sich bei dem beschriebenen Tropfen nun um einen guten Wein? "Das ist eine große Frage, was ein guter Wein ist", sagt der Sensoriker und Önologe Ulrich Fischer, der am Weincampus Neustadt lehrt und forscht. Ist ein Wein gut, der keine Fehler hat? Der also etwa nicht "mäuselt", wie in der Sensorik der Geruch nach Mäuseurin bezeichnet wird, den das Bakterium Pediococcus damnosus hervorruft? Dann wären die meisten Billigweine vom Discounter gute Weine. Das darf nicht sein, die Faszination des Weines lebt doch auch vom Snobismus, davon, sich als Experte zu stilisieren und ein teures Getränk im Ritual zu zelebrieren.

Was dann? In Weinkennerkreisen scheint Konsens zu sein, dass ein guter Wein seine Herkunft in die Flasche bannt. Terroir lautet der Begriff für diese Vorstellung. Was genau das bedeutet? "Es kommt stark darauf an, wie man das definiert", sagt der Önologe Ramón Mira de Orduña Heidinger von der Schweizer Hochschule Changins. Das Mikroklima eines Weinberges fließt in das Terroir ein - Sonneneinstrahlung, Temperatur, Windbedingungen üben sicher einen Einfluss aus. Die Zusammensetzung der mikrobiellen Bewohner auf den Reben unterscheidet sich ebenfalls je nach Herkunft. Das hat erst kürzlich eine Arbeitsgruppe aus Neuseeland im Fachjournal Scientific Reports berichtet. "Auch die Bodenbeschaffenheit spielt eine Rolle", sagt Fischer. Granit, Kalk, Buntsandstein - der Untergrund, auf dem Reben wachsen, lasse sich in einem Wein schmecken, wenn der Tester geübt ist. Es geht um Nuancen, mehr nicht. Manche fassten die Definition von Terroir wiederum sehr weit: "Da werden teils regionale Praktiken im Weinbau mit in die Vorstellung von Terroir einbezogen", sagt de Orduña Heidinger. Wäre man böse, könnte man sagen: Der Begriff "Terroir" dient vor allem dazu, sich von großen Erzeugern abzusetzen und sich als kleines gallisches Dorf im Kampf gegen den sogenannten Einheitsgeschmack zu profilieren.

Ein weiterer Modebegriff im Weinwesen lautet: Mineralität. Darüber verfügen plötzlich sehr viele Weine, vor allem solche aus weißen Rebsorten. "Es gibt nur überhaupt keine einheitliche Vorstellung davon, was das überhaupt sein soll", sagt de Orduña Heidinger. So ließen sich auch zwei aktuelle Studien im Fachblatt Food Quality and Preference zusammenfassen: Es herrschen unterschiedliche Auffassungen darüber, was Mineralität sein soll. Aber alle befragten Probanden finden, dass diese ein Qualitätsmerkmal eines guten Weines sei. Der Sensoriker Ulrich Fischer bemüht sich, die Frage anders zu lösen: indem er versucht, einen sensorischen Standard für das Konzept Mineralität zu definieren. "Wir haben Quarzitsteine mit einer Wasser-Wein-Mischung benetzt", sagt der Forscher. "Dann haben wir uns darauf geeinigt, dass der dabei entstandene Geruch Mineralität repräsentiert."

Dem interessierten Laien hilft das bei der Suche nach der Antwort darauf, was einen guten Wein ausmacht, auch nicht entscheidend weiter. Vielleicht ist aber auch die Frage schon unsinnig? Dem Weincampus Neustadt ist ein Staatsweingut angegliedert. Dort haben sie eine Riesling Spätlese zu 12,50 Euro die Flasche. Preislich also ungefähr das, was man für einen guten Wein hält. Der Wein aus dem Jahr 2014 schmeckt frisch, fruchtig und sehr lecker; der gleiche Wein aus dem Jahr 2010 fühlt sich etwas cremiger im Mund an, schmeckt etwas weniger fruchtig - und ist sehr lecker. Welcher ist der bessere Wein? Unmöglich zu sagen.

Was ein guter Wein ist, das muss jeder Weintrinker selbst herausfinden. Die fehlerfreien Discounter-Weine können eine Einstiegsdroge sein. Dann werden sie irgendwann langweilig. Dabei handelt es sich wohl um die sogenannte "sensorische Entwicklung", die ein Weintrinker durchlebt. Die Vorlieben entwickeln sich weiter, und man landet automatisch bei Weinen, die etwa als "komplex" beschrieben werden - ohne dass klar ist, was denn überhaupt diese Komplexität sein soll. Zu sagen, was einen guten Wein ausmacht, ist etwa so schwammig, wie Kriterien für gute Kunst zu definieren.

Eines jedoch ist sicher: Ein Wein schmeckt jedes Mal anders, und die Psyche spielt eine enorme Rolle. Teurere Weine werden in Verkostungen (und wissenschaftlichen Experimenten) zum Beispiel immer höher bewertet - aber nur, wenn der Preis vor dem Urteil genannt wird. Bei Blindverkostungen schneiden teure Weine hingegen kaum oder gar nicht besser ab als etwas preiswertere. In anderen Studien haben Wissenschaftler beobachtet, dass die Gestaltung des Etikettes einen enormen Einfluss darauf hatte, ob ein Wein gut ankam oder nicht. Weine von kleinen Winzern, die vermeintlich besonderen Wert auf ihr Handwerk legen, überzeugen Tester auch eher. Solchen Wein fanden sie besser als den einer Großkellerei. Oft bekommen die Teilnehmer solcher Versuche natürlich jeweils den gleichen Wein untergejubelt und nur unterschiedliche Geschichten dazu präsentiert. Das richtet die Erwartung entsprechend aus und dominiert das Geschmackserleben. Im Alltag leistet die Weinlyrik vielleicht den gleichen Dienst, auch wenn es sich dabei um gehobenen Unsinn mit Teernoten handelt. Was ein guter Wein ist, lässt sich nur sehr schwer definieren. Wenn er einem schmeckt, ist das schon mal ein Anfang.

© SZ vom 24.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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