Virtuelle Realität:Israels Armee setzt auf Cyberbrillen

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Die Holo-Lens soll es ermöglichen, "immer zwei, drei oder zehn Schritte" vor den Feinden zu sein.

Von Peter Münch

Wer die Holo-Lens trägt, kann seine virtuelle Umgebung mit Handbewegungen steuern. (Foto: David Paul Morris/Bloomberg)

Brüchige Baracken, holprige Wege - mitten im Wohngebiet eines Tel Aviver Vororts liegt eine reichlich heruntergekommene Kaserne der israelischen Armee. Hinter den hohen Zäunen wird an einer neuen Welt gewerkelt, die wohl nicht besser ist, aber jedenfalls moderner. Es geht um die Zukunft der Kriegsführung: "Wir versuchen, immer zwei, drei oder zehn Schritte vor unseren Feinden zu sein", sagt Major Rotem Bashi. Und bei diesem Versuch geht Israels Armee auch ungewöhnliche Wege.

Denn bislang galten Brillenträger beim Kampf um militärische Überlegenheit nicht unbedingt als Geheimwaffe. Das aber soll sich nun ändern mit einer von Microsoft entwickelten Cyberbrille namens Holo-Lens, die gerade im militärischen Testbetrieb steht. "Das ist eine absolute Revolution", sagt Major Bashi, "ein Game Changer." Der 29-jährige Offizier kommandiert eine Einheit, deren Aufgabe es ist, zivile Technik militärisch nutzbar zu machen. Normalerweise funktioniert es in Israel ja andersherum: Die Armee entwickelt Know-how und neue Technologien; so wurde Israel zur weltweit geachteten Start-up-Nation. Bashi aber ist nun der Mann, der den guten Ideen draußen nachspürt - und mit der Holo-Lens, so glaubt er, ist ihm ein besonders guter Fang gelungen.

Die kabellose Brille ist ein kompletter Computer. Leicht ist sie daher nicht, aber das Gewicht von 580 Gramm wird über zwei Kopfbänder verteilt. Der Nutzer schaut durch transparente Gläser, die gleichzeitig Bildschirme sind. Bilder werden ins Blickfeld projiziert, es vermischt sich damit die virtuelle mit der wirklichen Welt. "Augmented Reality" nennt sich das, erweiterte Realität. "Du denkst wirklich, die Hologramme leben", sagt Major Bashi. Für jeweils 3000 Dollar hat er vor etwa zwei Monaten zwei Brillen aus den USA bezogen. "Wir waren die ersten in Israel, die Holo-Lens bekommen haben", sagt er. "Ich denke, dass wir auch zu den ersten Armeen gehören, die das testen."

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Im Feld könnte der Kommandeur vom Befehlsraum aus miterleben, was draußen passiert

Als Microsoft die Brillen Anfang 2015 erstmals vorstellte, dachte man eher an eine Nutzung im Unterhaltungsbereich, zum Beispiel für ein Spiel wie Minecraft, in das der Konzern gerade erst eine Milliardensumme investiert hatte. "Es macht Spaß, damit zu spielen", gibt auch Bashi zu. "Aber am Ende haben wir ein anderes Ziel, ein militärisches." Gleich auf mehrere Arten ließen sich die Brillen für Armeezwecke nutzen, erklärt er. Zunächst im militärischen Training - die mit den Brillen ausgerüsteten Soldaten müssten gar nicht mehr heraus zu Übungsmanövern, sondern könnten verschiedene Szenarien auch in der "erweiterten Realität" durchspielen. Dies muss allerdings in geschlossenen Räumen passieren, da die bisherige Brillengeneration nicht funktioniert bei starker Einstrahlung von Sonnenlicht. Auch militärische Operationen könnten mithilfe der Holo-Lens realitätsnah geplant werden.

In einer Schlacht selber schließlich könnte der Kommandeur laut Bashi in seinem Befehlsraum mit Hilfe der Brille sehen und nachempfinden, was wirklich draußen im Feld passiert - und entsprechend schnell reagieren. Zur Präsentation lädt der Major in einen Nebenraum. Wer die Brille trägt, kann dort zum Beispiel einen Kampfpanzer vom Typ Merkava sehen, der plötzlich durch den Raum rollt. Eine öffnende Bewegung der Hand lässt das Menü aufscheinen, die gesamte Umgebung wird vom Brillenträger mit einem Schnippen des Zeigefingerns verändert und gestaltet.

Entwickelt haben die Programmierer der Armee inzwischen auch eine sogenannte Holomap, eine dreidimensionale virtuelle Landkarte, in die sich im Übungs- oder Ernstfall ständig neue Geheimdienstinformationen einspeisen lassen. So kann man sehen und nachverfolgen, wo der Feind vorrückt und wo die eigenen Truppen stehen. "Die Cyberbrillen werden alles verändern in den nächsten zehn bis 15 Jahren, die ganze Technikwelt, und auch die militärische Welt", glaubt Bashi. Einem Generalmajor hat er die Holo-Lens bereits vorgeführt, offenbar mit Erfolg. "Der war begeistert", sagt Bashi, "er wollte die Brille gar nicht mehr abnehmen."

© SZ vom 16.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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