Umweltpolitik:"Wir brauchen einen neuen Ansatz im Klimaschutz"

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Der UN-Experte Yvo de Boer will den Schwellenländern entgegenkommen - und die Kyoto-Ziele auch an der Wirtschaftskraft ausrichten.

Michael Bauchmüller und Nicolas Richter

Zwei Wochen vor dem Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York hat Yvo de Boer, Chef des UN-Klimasekretariats in Bonn, ein neues Modell im internationalen Klimaschutz gefordert.

"Wir müssen wegkommen vom bisherigen Schwarz-Weiß-Modell": Yvo de Boer (Foto: Foto: Reuters)

Er will damit den USA und vor allem den großen Schwellenländern entgegenkommen. "Wir brauchen für die Zukunft ein stärker differenziertes Konzept", sagte de Boer der Süddeutschen Zeitung.

"Wir könnten künftig einige Staaten haben, die sich ein absolutes Ziel geben, während sich andere relative Ziele auferlegen." Neben die verbindlichen Zusagen der Industrieländer könnten so auch Vorgaben treten, die sich an der wirtschaftlichen Entwicklung etwa in Schwellenländern orientieren. Denkbar sei etwa, Zusagen für eine höhere Energieeffizienz verbindlich in ein neues Regelwerk für den Klimaschutz aufzunehmen. "Wir müssen wegkommen vom bisherigen Schwarz-Weiß-Modell", sagte de Boer in Bonn.

Der Zeitdruck für ein neues Abkommen ist hoch. Soll eine neue Konvention nach 2012 nahtlos das bisherige Kyoto-Protokoll ersetzen, müssten die Staaten noch bei der Klimakonferenz im Dezember auf Bali den Weg für Verhandlungen frei machen. "Wir brauchen ein Mandat, das formale Verhandlungen vorsieht und eine Ziellinie enthält, bis zu der diese Verhandlungen abgeschlossen sind", sagte de Boer.

"Gäbe es kein solches Mandat, wäre Bali ein Misserfolg." Sollten sich die Staaten auf neue Verhandlungen verständigen, könnten sie theoretisch Ende 2009 in Kopenhagen den Weg frei machen für ein neues Abkommen. Bislang haben sich im Kyoto-Abkommen 36 Staaten feste Klimaschutzziele auferlegt. Damit muss nur ein Bruchteil der Unterzeichnerstaaten tatsächlich etwas für den Klimaschutz tun.

Werben um Indien und China

De Boers Vorstoß dürfte vor allem Schwellenländer wie China und Indien interessieren. Sie wollen zwar grundsätzlich Beiträge zum Klimaschutz leisten, scheuen aber jede Vorgabe, die ihr wirtschaftliches Wachstum begrenzen könnte.

Sähe ein neues Abkommen für sie aber zunächst nur eine Steigerung der Energieeffizienz vor, ließen sie sich einerseits leichter für ein Folgeabkommen gewinnen; andererseits würde ihr enormes Wachstum klimaverträglicher.

Auch könnte es dafür finanzielle Unterstützung geben. Verpflichtete sich Indien zum Beispiel auf den Ausbau erneuerbarer Energien, könnten Unternehmen aus Industrieländern sich daran beteiligen, warb de Boer. "Im Gegenzug erhielten sie Emissionsgutschriften." Die Wachstumsökonomien China und Indien gelten als Schlüsselländer im Kampf gegen den Klimawandel. Zuletzt hatte auch Angela Merkel die beiden Länder umworben.

Sie hatte vorgeschlagen, künftig die Pro-Kopf-Emissionen zur Grundlage nationaler Klimaziele zu machen. So könnten sich die Industrieländer auf einen Pfad einigen, ihre Pro-Kopf-Emissionen auf lange Sicht bis zu einem bestimmten Niveau zu senken. Dieses Level würde dann zur Obergrenze für alle Nationen - auch für die aufstrebenden Schwellenländer.

Dieser Vorstoß könnte allerdings an den USA scheitern, warnte de Boer. "Die USA sind am weitesten von dem gemeinsamen Niveau entfernt. Also wird es dort auch die größten Widerstände geben." Sowohl Washington als auch Peking hätten klargemacht, dass sie einem neuen Klima-Abkommen nur dann beitreten würden, wenn das jeweils andere Land mitmache. Die UN müssen nun versuchen, beide Staaten zu gewinnen.

"Bushs Haltung zum Klimaschutz hat sich ganz klar verändert"

Washington sucht derzeit einen neuen Weg im Klimaschutz, unter anderem bei einem Treffen der größten Treibhausgas-Emittenten Ende des Monats in Washington. Umweltschützer hatten zuletzt gerätselt, was Washington mit seiner Initiative bezweckt. Kritiker sprachen von einem Versuch, die UN- Klimakonferenz von Bali zu unterminieren. De Boer sieht das anders. "Bushs Haltung zum Klimaschutz hat sich ganz klar verändert", so de Boer.

Dies hänge mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammen, aber auch mit dem Druck aus dem In- und Ausland. So gesehen könne das Treffen in Washington helfen, eine gemeinsame Linie zwischen jenen Ländern zu finden, denen die größte Verantwortung im Klimaschutz zukommt. "Die USA haben in Heiligendamm zugesagt, die Ergebnisse einer solchen Runde in den Verhandlungsprozess der Vereinten Nationen zurückzubringen", sagte de Boer. "Dahinter können sie nicht zurückfallen."

Damit stehen die Bedingungen für einen Erfolg in Bali offenbar gut. Kurz vor dem Washington-Treffen kommen in New York mehr als hundert Staats- und Regierungschefs auf Einladung von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zusammen. "Das kann das entscheidende Signal für neue Verhandlungen sein", hofft de Boer. Dazu allerdings müssten die Staats- und Regierungschefs akzeptieren, dass die Bekämpfung des Klimawandels Geld kostet.

Allerdings gebe es auch immer noch eine Unbekannte: Russland. De Boer macht sich Sorgen, dass er Moskau auf dem Weg zu einem neuem Abkommen verlieren könnte. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht neue Staaten ins Boot holen, während hinten welche aussteigen'', warnte er. "Als das Kyoto-Abkommen unterzeichnet wurde, lag die russische Wirtschaft am Boden. Wie sehr aber wird Russland heute an Emissionsminderungen interessiert sein?"

Der Klimawandel werde die globale Agenda noch lange prägen, glaubt de Boer. "Es mag zynisch klingen, aber wenn die Menschen sich in Ruanda oder im Sudan niedermetzeln, dann können die Leute hier zumindest ihren Fernseher ausschalten und es ignorieren. Aber Sie können nicht den Fernseher ausschalten und den Klimawandel ignorieren."

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