Sozialwissenschaften:Raten im Maya-Dorf

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Existiert so etwas wie ein universelles Gefühl für Wahrscheinlichkeiten? Oder ist es abhängig von der Art der Bildung? Eine Antwort fanden Forscher bei Angehörigen der Maya in Guatemala.

Von Sebastian Herrmann

Die Sozialwissenschaften nehmen Studenten viel zu ernst. Das ist ein Vorwurf, der beispielsweise der Psychologie gemacht wird, wo für Studien oft westliche Studenten als Probanden herhalten. Die typische Testperson ist an einer Hochschule eingeschrieben, gerade mal Anfang 20 und stammt aus der eher gebildeten Mittelschicht. Da drängt sich die Frage auf, inwiefern das erforschte Verhalten und Denken dieser Stichprobe auf die gesamte Menschheit übertragbar ist.

Ticken ein 50 Jahre alter Fischer aus Samoa oder eine 35 Jahre alte Hotelbesitzerin aus Peru genauso wie ein Erstsemester aus Boston oder München? Wissenschaftler um Laura Fontanari von der IAUV Universität Venedig haben versucht, einen Teilaspekt dieser grundsätzlichen Frage zu klären. Was den Umgang mit simplen Wahrscheinlichkeiten angeht, so lautet die knappe Zusammenfassung ihrer Ergebnisse, verfügen indigene Mayas aus Guatemala über die gleichen Fähigkeiten wie italienische Probanden ( PNAS, online).

Braucht es Schulbildung, um ein Gefühl für Wahrscheinlichkeiten zu entwickeln? Werden Kleinkindern zum Beispiel vier Bälle in einem Behälter präsentiert, von denen drei gelb und einer blau ist, geben sie rein zufällige Antworten auf die Frage: "Welche Farbe hat der Ball, der gleich aus dem Behälter fällt?" Erst wenn sie fünf, sechs Jahre oder älter sind, erkennen sie, dass ein gelber Ball wohl eine höhere Wahrscheinlichkeit hat - und neigen dann eher dieser Antwort zu. Ob solches intuitives Wissen aber eine Nebenprodukt der Schulbildung ist oder anderswo herrührt, darüber diskutieren Forscher sei langer Zeit.

Fontanari und ihre Kollegen stellten nun Angehörigen der Maya-Volksgruppen der Kaqchikel und K'iche' in abgelegenen Dörfern Guatemalas ähnliche, wenngleich etwas komplexere Aufgaben. Einige Probandengruppen hatten keinerlei Schulbildung und konnten kaum lesen oder rechnen. Dennoch unterschieden sich ihre Ergebnisse kaum von denen der Dorfbewohner mit Schulbildung. Auch die Schätzungen einer italienischen Kontrollgruppe fielen ähnlich aus. Das Gefühl für Wahrscheinlichkeiten scheint sich somit weltweit ähnlich zu entwickeln.

© SZ vom 04.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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