Elektrotechnik:Vom Nervenreiz zum Rückgrat des Internets

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Die kleinen großen Dinge: Unterschätzte Innovationen der Menschheitsgeschichte. SZ-Serie · Folge 14 (Foto: N/A)

Die Grundlage der vernetzten Gesellschaft ist ein ganz einfacher Gegenstand: das Kabel. Das Prinzip haben Wissenschaftler von der Natur abgeschaut.

Von Hubert Filser

Wenn ein Historiker in ferner Zukunft die wichtigste Revolution des 21. Jahrhunderts benennen soll, wird er vermutlich etwas über die komplett vernetzte Gesellschaft und das Hochgeschwindigkeits-Internet erzählen, das Echtzeit-Informationen bis in die entlegensten Ecken der Welt liefert. Man könnte diese Vernetzung nun vor allem Menschen wie dem britischen Informatiker und Physiker Tim Berners-Lee zuschreiben, der 1985 mit seiner Erfindung der Hypertext-Sprache die Grundlage für das World Wide Web geschaffen hat. Doch letztlich ist die Idee, möglichst schnell Informationen über weite Strecken zu transportieren, deutlich älter. Die Basis ist ein ganz einfacher Gegenstand: das Kabel.

Auf die Idee dazu kamen die Menschen über ein Naturphänomen, das Physiologen und Ärzte im 18. Jahrhundert entdeckt hatten: die Weiterleitung von Reizen in den Nerven von Lebewesen. Forscher hantierten mit umwickelten Drähten, um elektrische Signale zu verschicken. Schon um 1750, also lange, bevor Kabel tatsächlich verlegt wurden, hatte der Leipziger Physiker Johann Heinrich Winkler die Vision, dass der elektrische Strom einmal jede Nachricht überallhin tragen könne.

Die ersten, einigermaßen erfolgreichen Versuche, mit einem Kabel Informationen zu übertragen, fanden Anfang des 19. Jahrhunderts in München statt. Der Anatom und Erfinder Samuel Thomas Soemmerring experimentierte mit Kupferdrähten, die er mit Seide umwickelte und mit Kautschuk isolierte. Solch ein Kabel verlegte er 1811 durch die Münchner Isar, um damit zu telegrafieren. Worte ließen sich damit nicht übertragen.

Das Triumphgefühl verflog schnell wieder

Doch die Idee, Signale über Kabel zwischen weit entfernten Orten auszutauschen, trieb Generationen von Forschern an. 1850 verlegten Ingenieure eine elektrische Telegrafenleitung durch den Ärmelkanal zwischen Dover und Calais und schließlich am 16. August 1858 das erste Transatlantikkabel zwischen Irland und Neufundland. Amerika und Europa waren sozusagen online. Königin Viktoria und der amerikanische Präsident James Buchanan beglückwünschten sich gegenseitig durch das Kabel zur Leistung der Ingenieure.

Das Triumphgefühl verflog allerdings schnell wieder. Ein Fischerboot durchtrennte das Ärmelkanalkabel schon einen Tag nach Inbetriebnahme. Noch heute stammen 63 Prozent aller Schäden an unterseeischen Kabeln von Bootsankern und Schleppnetzen. Auch das erste Atlantikkabel versagte nach wenigen Wochen. Wilde Spekulationen kamen auf: War der Meeresboden zu scharfkantig? Lebten dort unten gefährliche Wesen, die den Kabeln Schaden zufügten?

Der Impuls, die Kontinente zu verbinden, blieb ungebrochen. Man versprach sich gute Geschäfte und begann, den bis dahin unerforschten Meeresgrund zu vermessen. Man wollte wissen, warum die aufwendig und teuer verlegten Kabel immer ausfielen. Bis zur Verlegung der ersten Seekabel war die Tiefsee völlig unbekanntes Gebiet. Niemand wusste von den gewaltigen Gräben und Gebirgen in den Tiefen, niemand von den Tieren dort.

Das Microsoft-Facebook-Kabel "Marea" wird die USA mit Europa verbinden

Die Seekabel markieren also in vielerlei Hinsicht einen Aufbruch in unbekannte Welten. Die Idee der Vernetzung fasziniert die Menschheit bis heute, mit unglaublicher Anstrengung werden Kontinente durch Kommunikationskabel miteinander verbunden. Das Rückgrat des Internet sind Tausende von Kilometern lange Glasfaserkabel durch die Weltmeere.

Weltkonzerne wie Google und Microsoft treiben die Entwicklung voran. Google will ein eigenes Seekabel zwischen Japan und den USA verlegen. Das vor Kurzem gestartete Microsoft-Facebook-Kabel "Marea" wird vom kommenden Jahr an die USA mit Europa verbinden, mit einer Übertragungsrate von 160 Terabit pro Sekunde. Kabel sind die technischen Adern der Menschheit geworden.

© SZ vom 22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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