Raumfahrt:Riesenkanone ins All

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Der Physiker John Hunter will mit einer im Meer stationierten und mehr als 1000 Meter langen Kanone Treibstoff ins All schießen. Davon träumten vor ihm schon andere.

Hubertus Breuer

Der Physiker John Hunter ist ein vielseitiger Mann. Er entwickelt Kinderspielzeug - oder ein Raketen-Bastelset. An der Grenze zwischen Mexiko und den USA stellt er zudem ehrenamtlich Wasserfässer auf, damit illegale Immigranten in der Wüste nicht verdursten.

In jüngster Zeit führte er Tests für ein ehrgeiziges Projekt durch. Er will eine Kanone bauen. 1,1 Kilometer lang soll das Geschütz werden, im Meer stationiert, gerichtet ins All, um damit Nutzlasten günstig in den Orbit zu schießen. "Wir wollen die Kosten auf fünf Prozent des aktuellen Preises senken - auf 500 bis 1000 Dollar pro Kilo", sagt Hunter.

Das Vorhaben, den Gütertransport ins All zu verbilligen, teilt Hunter mit anderen Pionieren der privaten Raumfahrt. Das US-Unternehmen SpaceX, das dank eines Nasa-Auftrags von 2010 an mit der Falcon-9-Rakete die Internationale Raumstation ISS versorgen soll, plant, die Kosten auf 3000 Dollar pro Kilogramm zu reduzieren.

SpaceX will eines Tages auch Passagiere ins All transportieren. Ein Kanonenschuss mit Andruckkräften, welche die Erdbeschleunigung (Maßeinheit g) um das 5000-Fache übersteigen, ist für Menschen allerdings nicht empfehlenswert. Beim Start eines Shuttle ertragen Astronauten nur drei g.

"Das Projekt ist prinzipiell durchaus denkbar", sagt Stefan Schlechtriem, Direktor des Instituts für Raumfahrtantriebe des deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Hardthausen bei Heilbronn.

Zudem kennt sich Hunter in der Materie aus. Anfang der neunziger Jahre leitete der Physiker am Lawrence Livermore National Laboratory in Nordkalifornien das "Super High Altitude Research Project" (Sharp) zur Konstruktion einer 130 Meter langen Gaskanone.

In diesem überdimensionierten Luftgewehr befand sich ein tonnenschwerer Kolben, der, angetrieben von verdichtetem Wasserstoffgas, ein Projektil mit einer Geschwindigkeit von Mach 9 abschoss - 11000 Kilometer pro Stunde. Auf dem Teststand in Livermore krachte das Geschoss aber nur horizontal in einen Hügel.

Mit zwei früheren Sharp-Kollegen hat Hunter 2009 die Firma Quicklaunch in San Diego gegründet. Sie hat Zugriff auf die einstige Sharp-Kanone, die sich heute zerlegt in einem Lagerhaus unweit der Firmenzentrale befindet.

Hunter will sie innerhalb eines Jahres auf dem Testgelände White Sands in Neumexiko senkrecht aufrichten und dann mit 200 Kilometern einen neuen Höhenrekord für einen Kanonenschuss erreichen.

In einem weiteren Schritt will das Start-up-Unternehmen erstmals einige Kilo Fracht in die Erdumlaufbahn schießen. Erst danach will Quicklaunch das Kilometergeschütz in Angriff nehmen. Dafür braucht die Firma allerdings viel Geld - eine halbe Milliarde Dollar. Das ist kaum mehr als die Summe, die ein Shuttle-Start kostet.

Die Kanone soll im Meer in Äquatornähe installiert werden. Dort helfe Hunter zufolge die schnellere Erdumdrehung, Projektile in den Orbit zu katapultieren. Das Geschütz lässt sich zudem in unterschiedlichem Winkel ausrichten, um Objekte in verschiedene Umlaufbahnen zu bringen.

In Quicklaunchs Design ragt nur die Geschützmündung, versehen mit einem Schalldämpfer, über die Wellen, der Rest reicht in bis zu 500 Meter Wassertiefe. Die Beweglichkeit der Kanone hat Hunter mit einem drei Meter langen Testmodell Ende März in einem Swimmingpool in San Diego geprüft - mit positiven Ergebnissen, wie er sagt.

Die Technik ähnelt der Sharp-Kanone, nur erhitzt hier eine Brennkammer über einen Wärmeaustauscher das Wasserstoffgas auf 1400 Grad. Der Gasdruck versechsfacht sich. Wird ein Ventil geöffnet, jagt es explosionsartig in den Geschützlauf und schießt eine halbe Tonne Nutzlast mit 21.000 Kilometern pro Stunde ab - genug, um den Orbit zu erreichen.

Dabei soll die Fracht in ein einstufiges Raketengeschoss integriert werden, dessen Hülle gegen atmosphärische Reibungshitze schützt. In der Erdumlaufbahn angekommen, würde das Triebwerk die Ladung zum Ziel lenken. Bedarf gibt es.

Der von Obama beauftragte Bericht des Augustine-Komitees zur Zukunft der Nasa hob hervor, dass private Raumfahrtfirmen künftig nicht nur die ISS versorgen, sondern auch Treibstoff in den Orbit bringen sollten.

Ob das so reibungslos gelingt, ist ungewiss. Schlechtriem hat Zweifel, ob das Steuerungssystem einer Rakete den Ritt in den Orbit unbeschädigt übersteht. "Aber auch das wäre kein grundsätzliches Problem", sagt er.

"Die Treibstoffbehälter ließen sich von einem Raumfahrzeug wie dem europäischen Automated Transfer Vehicle (ATV) einsammeln."

Hunters scheinbar verrückte Idee ist nicht mal neu. Die erste Riesenkanone baute Mitte des 19. Jahrhunderts ein Kanonenklub in Baltimore - in Jules Vernes Romanen "Von der Erde zum Mond" (1865) und "Reise um den Mond" (1870). In den Büchern jagte ein Geschütz namens Columbiad eine Flugkapsel inklusive Passagieren zum Erdtrabanten.

Seit den 1950er-Jahren arbeitete der kanadische Ingenieur Gerald Bull an gigantischen Kanonen, deren Projektile eines Tages ebenfalls die Erdumlaufbahn erreichen sollten.

Bull fiel 1990 in Belgien einem Attentat zum Opfer, nachdem er begonnen hatte, für Saddam Hussein Kanonen zu entwickeln. "Für kriegerische Zwecke ist unser Projekt nicht geeignet", sagt Hunter. "Wir arbeiten ohnehin nur mit seriösen Auftraggebern zusammen."

© SZ vom 05.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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