Psychologie:Warum Menschen sich so gern in die eigene Tasche lügen

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Menschen manipulieren sich und ihre Selbstwahrnehmung, um stets im gefühlten Recht zu bleiben und sich in ihren Haltungen zu bestätigen. (Foto: imago stock&people/imago/Westend61)
  • In einer Studie zeigen Psychologen, dass Menschen ihre alten Ansichten recht schnell vergessen, sobald sie diese ändern, nach dem Motto: "Das habe ich doch schon immer gesagt!"
  • Anhand eines Experiments kommen die Forscher zu dem Schluss: Es handelt sich selten um eine bewusste Lüge, wenn jemand rückwirkend seine Ansichten anpasst. Es entziehe sich schlicht dem menschlichen Geist, wenn sich eine Meinung verändert hat.

Von Sebastian Herrmann

Wie schön und erhebend es ist, stets recht zu behalten und von Anfang an die richtige Meinung zu vertreten. Um dieses süße Gefühl immer und immer wieder zu erleben, verhalten sich Menschen in Bezug auf ihre Ansichten wie Süchtige: Sie manipulieren sich und ihre Selbstwahrnehmung, um stets im gefühlten Recht zu bleiben und sich in ihren Haltungen zu bestätigen. Wenn zum Beispiel jemand - was selten genug passiert - seine Ansicht zu einem Thema verändert, dann sorgt seine Psyche dafür, diesen Prozess weitgehend zu ignorieren. Statt zu sagen, man habe diese oder jene Sache zuvor anders gesehen, trompetet der Rechthaber im Menschen heraus: "Das habe ich doch schon immer gesagt!"

Die beiden Psychologen Michael Wolfe und Todd Williams von der Grand Valley State University zeigen in einer aktuellen Arbeit im The Quarterly Journal of Experimental Psychology, dass sich Menschen tatsächlich ihrer alten Ansichten nicht bewusst sind, wenn sie diese verändert haben.

Die Forscher legten ihren Probanden Texte vor, die entweder für oder gegen die Effektivität körperlicher Züchtigung als Erziehungsinstrument argumentierten. Zuvor hatten Wolfe und Williams die Einstellungen der Teilnehmer dazu abgefragt. Die Aufsätze beeinflussten die Haltung der Probanden messbar: Wer zuvor etwa die Haltung geäußert hatte, körperliche Züchtigung verbessere die Disziplin eines Heranwachsenden, wich von dieser Haltung ab, wenn er mit Gegenargumenten konfrontiert worden war und andersherum. Die moralische Dimension der Frage, ob Kinder geschlagen werden dürfen, wurde nicht diskutiert. Anschließend fragten die Psychologen ihre Teilnehmer, welche Meinung sie vor der Lektüre ihres Textes vertreten hatten. Dabei zeigte sich ein Muster: Die meisten behaupteten, sie hätten zuvor die gleiche Haltung vertreten - egal wie sehr sie ihre Meinung durch Konfrontation mit Gegenargumenten verändert hatten.

Im Alltag verschwindet das Geschwätz von gestern aus dem Gedächtnis

Zur Verteidigung der Teilnehmer dieser Experimente und überhaupt aller chronischen Rechthaber dieser Welt sei gesagt: Es entzieht sich schlicht dem menschlichen Geist, wenn sich eine Meinung verändert hat. Es handelt sich selten um einer bewusste Lüge, wenn jemand rückwirkend seine Ansichten anpasst. Die Psychologen Wolfe und Williams erklären dies statt dessen mit der sogenannten Abruf-Flüssigkeit. Dahinter verbirgt sich die Leichtigkeit, mit der Dinge in den Sinn kommen. Je weniger Mühe ein Gedankenprozess in Anspruch nimmt, desto eher akzeptiert ihn derjenige auch als wahr, aus dessen Kopf er entspringt. Was ohne Mühe in den Sinn kommt, das fühlt sich gut und richtig an. Auf die Frage, welche Meinung man früher hatte, schnellt einem quasi automatisch die aktuelle Ansicht aus dem Gehirn - und das wirkt wie ein Beleg dafür, schon immer diese Meinung vertreten haben.

Das klingt seltsam und ist schwer zu akzeptieren, weil fast jeder glaubt, über so etwas wie eine wenigstens rudimentär objektive Selbsteinschätzung zu verfügen. Aber, Frage an alle Paare: Wie zufrieden wart ihr mit dem ersten Date, wie glücklich war die Beziehung vor fünf Jahren? Fragen wie diese haben die Psychologen Cathy McFarland und Michael Ross vor langer Zeit in einer Studie gestellt und bemerkt: Die Antworten hingen davon ab, wie glücklich die interviewten Paare jetzt im Moment mit ihrer Beziehung waren und nicht davon, wie gut es in der Vergangenheit gelaufen war. Wahrscheinlich kamen den Paaren viel rascher und leichter erst kürzlich erlebte Szenen und Gefühle aus ihrem Beziehungsleben in den Sinn, als vergleichbare Erinnerungen aus längst verschütteten Zeiten. Das aktuelle Erleben trennt von den vergangenen Empfindungen - das gilt für Beziehungsglück ebenso wie für Meinungen.

Das gleiche lässt sich im Übrigen auch auf die Zukunft anwenden, wie Daniel Gilbert und Jordi Quoidbach im Fachmagazin Science gezeigt haben. Menschen glauben demnach, dass sich ihre Vorlieben, ihre Einstellungen und auch die Facetten ihrer Persönlichkeit in Zukunft nicht mehr verändern werden. Das gelte, so die Psychologen, für junge Erwachsene ebenso wie für Senioren. Aber wer sein Geschwätz von gestern nicht mehr von dem von heute unterscheiden kann, gibt sicher auch keine vernünftigen Prognosen für seine eigene Zukunft ab. Aber das war sowieso klar, das haben wir ja schon immer gewusst.

© SZ vom 08.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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