Physik vor 100 Jahren:Flecken, die Geschichte machten

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Im April 1912 gelang Max von Laue ein bahnbrechendes Experiment. Er gelang ihm zu beweisen, dass Röntgenstrahlen sich wie Wellen verhalten.

Patrick Illinger

Sie erforschen Supraleitung und Supersymmetrie, aber mit Superlativen gehen Physiker generell zurückhaltend um. Eine Ausnahme machte am vergangenen Freitag die Physik-Fakultät der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.

Sie lud zu einem hochkarätig besetzten Symposium in die Große Aula der Hochschule, um zu feiern, was der amtierende Physik-Dekan Axel Schenzle "das bedeutendste physikalische Experiment, das je in München durchgeführt wurde" nannte.

Anlass für die Jubiläumsfeier war ein Versuch, der vor 100 Jahren dort unternommen wurde, wo noch heute die Physiker der LMU angesiedelt sind. Mit Röntgenstrahlen wurden seinerzeit Erkenntnisse gewonnen, die Albert Einstein gar mit den Worten "die größte Veröffentlichung des Jahrhunderts" adelte.

Auf Drängen des Privatdozenten Max von Laue schossen im April 1912 experimentell arbeitende Assistenten des Lehrstuhl-Inhabers Arnold Sommerfeld Röntgenstrahlen auf einen Kristall und positionierten Fotoplatten rund um die bestrahlte Probe. Eines Nachts fanden die Experimentatoren diffuse, kreisförmig angeordnete Flecken auf einer der Platten.

Das Muster war der Beweis für eine von Laue zuvor aufgestellte, umstrittene Theorie. Ihr zufolge verhalten sich Röntgenstrahlen wie Wellen, die sich an den atomaren Schichten eines Kristalls beugen lassen müssten, ähnlich wie Lichtstrahlen an einem schmalen Strichgitter.

Bis heute ist diese Erkenntnis von enormer wissenschaftlicher Bedeutung. Aus den Beugungsmustern, die ein mit Röntgenstrahlen beschossenes Material erzeugt, lässt sich auf den atomare Aufbau des untersuchten Stoffs schließen. Diese sogenannte Röntgenstrukturanalyse ist heute die wichtigste Methode in der Biochemie, um die molekulare Gestalt hochkomplexer Proteine zu entschlüsseln. Auch waren es Röntgen-Beugungsmuster, die am Anfang der 1950er Jahre Francis Crick und James Watson auf die Doppelhelix-Struktur des menschlichen Erbgutmoleküls DNA brachten.

Die experimentelle Bestätigung von Laues Theorie wurde indes vor 100 Jahren nicht von allen Fachkollegen goutiert. Welche diplomatischen Winkelzüge Max von Laue anwenden musste, um das Experiment überhaupt durchführen zu können, berichtete beim Münchner Symposium der am Deutschen Museum forschende Physikhistoriker Michael Eckert.

Laue selbst erinnerte sich einige Jahre nach seinem Experiment, das Vorhaben habe zunächst "gewisse Zweifel" bei den "anerkannten Meistern unserer Wissenschaft" gefunden. Gemeint waren sein damaliger Vorgesetzter Arnold Sommerfeld und der ebenfalls in München tätige Konrad Röntgen.

Tatsächlich hat Sommerfeld wohl untersagt, den damals an seinem Lehrstuhl tätigen Experimentator Walter Friedrich überhaupt mit dem von Laue vorgeschlagenen Experiment zu beauftragen. Nachdem Laue in Sommerfelds Abwesenheit einen anderen Experimentator ins Spiel brachte, fühlte sich Friedrich jedoch bei seiner Ehre gepackt und baute die Versuchsanordnung nach Laues Vorstellungen auf.

Das Fleckenmuster der gebeugten und interferierenden Röntgenstrahlen vor Augen, brauchten die besten Physiker jener Zeit noch mehrere Monate, um befriedigend zu deuten, was Laues Experiment enthüllt hatte. Doch bereits 1914 wurde Max von Laue mit dem Nobelpreis geehrt.

Während der Zeit des Nationalsozialismus blieb er, anders als die Anhänger der "deutschen Physik", eng mit Albert Einstein verbunden. Auch war ihm Antisemitismus zuwider, obgleich er dem Ausschluss jüdischer Mitglieder aus der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in einem Schreiben zustimmte. Nach dem Zweiten Weltkrieg lehrte Max von Laue mit Werner Heisenberg in Göttingen, von wo aus er die Neuanfänge der Deutschen Physikalischen Gesellschaft sowie die Gründung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt organisierte.

© SZ vom 24.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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