Physik:Exakt im Takt

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Über eine 1400 km lange Leitung können supergenaue Atomuhren in Paris und Braunschweig supergenau verglichen werden. Damit ist nun ein Netz der Superuhren denkbar - und eine neue Vermessung der Erde.

Von Marlene Weiss

Genauigkeit ist eine Frage des Standpunkts. Für die Deutsche Bahn mögen vier Minuten noch keine Verspätung sein. An der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig (PTB) gilt eine Uhr, die in einer Million Jahren eine Sekunde nachgeht, als schlampig. Die besten Atomuhren verlieren nicht einmal eine Sekunde in einer Milliarde Jahren. Nur: Wie kann man supergenaue Uhren supergenau miteinander vergleichen? Erst wenn das geht, kann man Zeitmessungen zum Beispiel benutzen, um die Geologie der Erde zu erkunden - Uhren gehen langsamer, wenn die Schwerkraft größer ist. So ließe sich zum Beispiel zentimetergenau feststellen, wie sich Regionen heben, wenn die auf ihnen lastenden Gletscher klimabedingt tauen.

Von einer Atomuhr zur anderen blicken wie auf zwei Armbanduhren, das funktioniert nicht; nicht einmal per Satellit ist der Abgleich genau genug. Stattdessen haben Physiker der PTB um Gesine Grosche eine Standleitung von Braunschweig über Straßburg nach Paris gelegt (Nature Communications). Sie verbindet zwei der weltweit genauesten Uhren; die auf Strontium-Atomen basierende Uhr der PTB und ihr Pendant am Pariser Forschungsinstitut Referenzsysteme Zeit-Raum (SYRTE).

"Wenn ich nur bei mir im Labor eine genaue Uhr habe, nützt das nichts", sagt Fritz Riehle, Leiter der Abteilung Optik an der PTB. Darum haben die Forscher Glasfaserkabel gemietet, jeweils eine Faser herausgenommen und mit Spezial-Verstärkern ausgerüstet, so dass Lichtsignale genau so herauskommen, wie sie hineingeschickt wurden. So konnten sie den Takt der Uhren exakt übertragen. In Straßburg wurden die Signale aus Braunschweig und Paris zusammengeführt: Wenn man den Schwerkraftunterschied (25 Meter Höhendifferenz) einrechnet, wichen die beiden Uhren nur um 0,000000000000005 Prozent voneinander ab. Demnach würden sie in drei Milliarden Jahren nur etwa fünf Sekunden auseinanderliegen.

Die Forscher träumen schon vom internationalen Superuhren-Netz

Das Pendel der beiden Taktgeber in Paris und Braunschweig sind Strontium-Atome, deren Elektronenhülle beim Übergang zwischen zwei Quantenzuständen elektromagnetische Strahlung aussendet. Mit deren Schwingungen messen die Uhren die Zeit. Weil sie im Bereich des sichtbaren Lichts liegt, spricht man von "optischen" Atomuhren. Bisherige Atomuhren arbeiten dagegen üblicherweise mit Cäsium-Atomen, die im Infrarotbereich strahlen und weniger genau sind. Mit der neuen Leitung ist laut den Forschern ein Schritt hin zu einem internationalen Netz optischer Uhren getan. Künftig müsste man auch die Definition der Sekunde nicht wie bislang den Cäsium-Uhren überlassen. "Ich bin sehr dafür, bald auf optische Atomuhren umzusteigen", sagt Riehle. Wann? "Vielleicht in zehn Jahren." Bald - das bleibt auch unter Zeitmessern ein dehnbarer Begriff.

© SZ vom 10.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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