Physik des Alltags:Was hilft, wenn der Rollkoffer kippelt?

Was tun wenn Rollkoffer Kippeln

Versuchsaufbau: Wenn der Koffer kippelt, sollte man eher Gas geben als abbremsen.

(Foto: Sylvain Courrech du Pont/dpa)
  • Französische Wissenschaftler haben untersucht, was gegen einen kippelnden Rollkoffer zu tun ist.
  • Ergebnis: Beschleunigen ist besser als abbremsen.
  • Denn wenn ein Rad stark genug vom Boden abgelenkt wird, kann sich die Störung hochschaukeln - und der Koffer kippt um.

Von Marlene Weiß

Es ist ungefähr das Letzte, was man gebrauchen kann, wenn man mit dem Rollkoffer im Schlepptau zwanzig Sekunden vor Abfahrt in Richtung Bahnsteig rast: Ein Rad des Koffers trifft auf eine kleine Schwelle im Boden, hebt ab, fällt rumpelnd wieder zurück, das andere hebt sich, der Koffer schlingert immer stärker und droht umzukippen. Ehe man riskiert, selbst der Länge nach hinzufallen, bleibt manchmal nur noch eine Vollbremsung.

Oder? Französische Wissenschaftler um Sylvain Courrech du Pont von der Université Paris-Diderot haben das Phänomen jetzt genauer untersucht, und eine andere Strategie gefunden: Wenn es die persönliche Fitness hergibt, könnte man es auch mit Beschleunigen versuchen, das sollte den Koffer stabilisieren. Leichtes Verlangsamen mag zwar dem unerfahrenen Kofferzieher naheliegend erscheinen, ist aber die schlechteste Strategie.

"Normalerweise versuchen wir Projekte vorzuschlagen, zu denen es bereits Studien gibt"

Courrech du Pont stieß auf die Kofferfrage, als er nach unkomplizierten Projekt-Themen für seine Studenten im Fach Experimentalphysik suchte. "Normalerweise versuchen wir Projekte vorzuschlagen, zu denen es bereits Studien gibt", sagt er. Über die schlingernden Rollkoffer dagegen war keine Literatur zu finden, also beschlossen seine Kollegen und er, das Thema selbst zu verfolgen.

Die Forscher bauten ein einfaches Koffermodell nach, indem sie ein verschiebbares Gewicht an eine Stange montierten, die in einer Querstrebe mit zwei Rollen endete. Diese Konstruktion hängten sie an einen Griff und zogen sie über ein Laufband, ähnlich einem Koffer, der über den Boden gerollt wird. Aus dem Experiment, kombiniert mit theoretischen Analysen, schlossen sie, dass es sich um ein instabiles System handelt, sobald der Koffer mit mindestens drei Stundenkilometern gezogen wird: Wird ein Rad stark genug vom Boden abgelenkt, kann sich die Störung hochschaukeln.

Entweder erreicht sie dann - unter Laborbedingungen - eine feste Amplitude, so dass der Koffer immer weiter schaukelt. Sie kann sich aber auch - je nach Geschwindigkeit, Koffer-Zugwinkel und Startauslenkung - immer weiter steigern, bis der Koffer schließlich umkippt. Dieser Fall droht besonders dann, wenn der Koffer sehr flach gezogen wird, in einem Winkel von weniger als 42 Grad. Ist dann die Auslenkung stark genug, kippt der Koffer immer um, wenn der Ziehende nicht gegensteuert - daher dürften Kinder besonders benachteiligt sein. Bei steilen Zugwinkeln von mehr als 62 Grad hingegen kann nicht viel passieren, jede Störung schwächt sich von selber ab - zumindest im Experiment.

Grund für unerfreuliches Verhalten ist laut den Forschern die Kopplung der Koffer-Freiheitsgrade: Das Rad, das am Boden verbleibt, während das andere abhebt, neigt dazu, weiterzurollen, statt zu rutschen. Dafür aber muss der Koffer zur Seite schlingern, weil sonst Rollachse und Zugrichtung nicht mehr zusammenpassen. Dieser Mechanismus führe zur Instabilität.

Die gute Nachricht: Je höher die Zuggeschwindigkeit, desto schwächer die Kofferschwingung. Deshalb empfehlen die Forscher, im Zweifel einfach schneller zu ziehen. Das erhöht im Übrigen auch die Chance, den Zug noch zu erwischen. Allerdings gibt Courrech du Pont selbst zu, dass das Modell stark vereinfacht ist, zudem sind die Kofferrollen ziemlich nah beieinander montiert - ganz so zwingend schaukelt sich ein realer, moderner Rollkoffer vielleicht doch nicht ins Verderben. Das gelte aber nicht für alle rollenden Konstrukte, sagt der Forscher: "Youtube ist voll von Videos von instabilen Wohnwagen."

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