Philosophisches Gespräch:"Nur mit einem Jungen ist man zufrieden"

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Der Philosoph Eckart Voland erklärt im SZ Wissen, warum selbst in modernsten Elternhäusern das Geschlecht der Kinder noch eine Rolle spielt.

Philip Wolff

SZ Wissen: Ich will einer schwangeren Kollegin Babysachen schenken, aber sie verrät mir nicht: rosa oder blau?

Mit einem Jungen ist man zufrieden. Wenn es ein Mädchen ist, wird noch mal nachgelegt. (Foto: N/A)

Eckart Voland: Mit welcher Begründung?

SZ Wissen: Sie will es spannend machen. Dabei ist mir die Fifty-fifty- Frage "Junge oder Mädchen" völlig egal.

Voland: Ihre Einstellung ist ungewöhnlicher als die Ihrer Kollegin, aber mittlerweile weit verbreitet. Die heutigen westlichen Eltern dürften die ersten in der Geschichte sein, die sagen, dass das Geschlecht ihrer Kinder für sie keine Rolle spiele.

Allen anderen war und ist es überhaupt nicht egal, weder im Hinblick auf die Erziehung noch auf Familienstrategien.

Meist werden Jungen bevorzugt, seltener Mädchen. Man sieht das daran, dass Eltern für manche Kinder im Krankheitsfall bereitwilliger einen Arzt holen als für andere, und dass sie mehr Zeit und Güter in manche Kinder investieren.

SZ Wissen: Ist das hierzulande nicht undenkbar?

Voland: Nein, gewisse Erscheinungsformen solcher Diskriminierung sind auch bei uns erhalten. Ein einfacher Befund: Familien mit nur einem Kind haben bei uns statistisch zu viele Jungen, Mehrkindfamilien hingegen haben zu viele Mädchen.

SZ Wissen: Das heißt: Mit einem Jungen ist man zufrieden, aber wenn es ein Mädchen ist, wird noch mal nachgelegt?

Voland: Genau. Wie kann man das anders interpretieren als eine tief verwurzelte, sicher oft unbewusste Präferenz für Söhne?

SZ Wissen: Keine Ahnung. Woher soll die denn kommen?

Voland: In der Geschichte hatte soziale Ungleichheit immer mit Ungleichheiten in sexueller Hinsicht zu tun. Wobei der Vorteil, männlich zu sein, mit dem Rang zunahm. Sozial gut aufgestellte Jungen fahren einen höheren Reproduktionserfolg ein als benachteiligte.

Männer können ja, theoretisch, unendlich viele Kinder zeugen, wenn sie genug Frauen haben. Dafür gehen viele andere Männer leer aus. Frauen aber können ihre Nachkommenschaft nicht beliebig vergrößern, sie sind das knappe Gut der Reproduktion, um das konkurriert wird.

SZ Wissen: Weshalb Männer Porsche fahren müssen?

Voland: Richtig. Das ist eine moderne Ausdrucksform dieses uralten Prinzips. Dazu gehört auch, dass Männer mehr Risiken eingehen müssen, um zu den Gewinnern zu zählen. Wenn Sie Ihr Kind also sozial gut platzieren können durch Erbanteile, Ausbildung, Status, rät die innere Stimme, auf einen Jungen zu setzen. Sind Sie aber benachteiligt: Setzen Sie auf Mädchen!

SZ Wissen: Weil sich mein Mädchen einen Porschefahrer angeln kann?

Voland: Jedenfalls eher, als dass Ihr sozial schwacher Sohn einer wird. Umfragen unter Ghettobewohnerinnen in amerikanischen Großstädten zeigen das: Sie bevorzugen Mädchen.

SZ Wissen: Wieso wissen diese Frauen so gut über Evolution Bescheid?

Voland: Tun sie gar nicht. Sie sehen nur, dass die risikofreudigen Söhne in ihrem Milieu viel häufiger Opfer von Kriminalität, Drogen und Gewalt werden als die Töchter. Ist die Not aber weniger groß, sind Geschlechterpräferenzen subtiler und in unserer Selbstwahrnehmung meist gar nicht mehr präsent - gleichwohl jedoch durch sorgfältige Untersuchungen darstellbar.

SZ Wissen: Will heißen, unbewusst ist weder der Kollegin noch mir die Frage "Junge oder Mädchen" wirklich egal?

Voland: Sehr wahrscheinlich. Es kommt auf Ihre soziale Stellung an. Und vielleicht setzt Ihre politisch korrekte Gleichgültigkeit die Kollegin auch unter ideologischen Druck: Sie möchte durchs Schweigen übers Geschlecht den unzeitgemäßen Eindruck vermeiden, dass sie einen Jungen oder ein Mädchen bevorzugt.

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© SZ Wissen, Ausgabe 11/2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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