Nach Amoklauf von Winnenden:Versteckte Hinweise

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Der Amokläufer von Winnenden war 2008 wegen einer Depression in Behandlung. Hätten seine Ärzte erkennen können, wie gefährlich er war?

Werner Bartens

Der 17-jährige Tim war offenbar von April bis September 2008 wegen einer Depression in Behandlung in einer Klinik. Die geplante Fortsetzung der Therapie trat er nicht an.

Trauer um die Opfer von Winnenden. "Es gibt Risikofaktoren, aber voraussagen lässt sich ein Amoklauf nicht." (Foto: Foto: ddp)

Ob eine Weiterbehandlung den Amoklauf in Winnenden hätte verhindern können, ist Spekulation. Ärzte kennen jedoch Risikofaktoren für solche Gewaltausbrüche - eine Depression steht nicht an erster Stelle.

Zwischen zwei und vier Millionen Menschen gelten in Deutschland als von krankhaftem Empfindungsverlust und Schwermut betroffen. "Depression ist bei Männern zwar häufig mit Aggression und Gereiztheit verbunden", sagt Wolfgang Maier, Chefarzt der Psychiatrie an der Uniklinik Bonn. Das allein mache aber noch keinen Menschen zum Gewalttäter.

"Es gibt Risikofaktoren, aber voraussagen lässt sich ein Amoklauf nicht", sagt Maier. Wer leicht kränkbar ist - Mediziner sprechen von hohem narzisstischen Potential - und zudem langfristig gedemütigt oder psychisch verletzt wurde, ist anfällig für Gewaltausbrüche.

"Der dritte Risikofaktor besteht darin, wenn jemand Einzelgänger ist", sagt Maier. "Die machen Probleme mit sich selbst aus, bis es platzt." Auch wenn sich kein Amoklauf mit Sicherheit voraussehen lasse, "hätte man die Gefährdungslage dieses Amokläufers wohl erkennen können - wenn er denn in ärztlicher Behandlung gewesen wäre", vermutet Wolfgang Maier.

"Das Wichtigste für die Früherkennung und Verhinderung solcher Taten ist es, auch versteckte Hinweise auf einen geplanten Selbstmord oder die Tötung Anderer wahrzunehmen", sagt Peter Henningsen, Chefarzt der Psychosomatik an der Technischen Universität München.

Ärztliche Schweigepflicht problematisch

Vergleicht sich jemand beispielsweise mit Gewalttätern oder äußert Suizid-Phantasien, sollte man ihn unbedingt darauf ansprechen. "Die entscheidende Frage ist, wer Kontakt zu demjenigen hält und emotionalen Zugang zu seinem Befinden und Erleben hat", sagt Henningsen.

Dabei gilt: Je konkreter die Phantasien, desto bedrohlicher sind sie. "Sagt jemand: Morgen hänge ich mich an einen Baum oder lasse es da mal ordentlich knallen, ist das viel gefährlicher als wenn er sagt: Manchmal möchte ich am liebsten tot sein."

"Bei einer Depression ist zunächst die größte Gefahr, dass sich die Kranken selbst gefährden", sagt Carl Eduard Scheidt, Chefarzt der Thure-von-Uexküll-Klinik für Psychosomatik in Freiburg. "Depressionen sind aber auch bei vielen anderen psychischen Störungen im Spiel."

So kommt es auch bei Persönlichkeitsstörungen, dem Borderline-Syndrom oder Psychosen häufig zu Depressionen. "Wenn mir jemand mit 17 Jahren erzählt, dass er eine Waffensammlung oder Zugang dazu hat, würde ich hellhörig werden", sagt Scheidt. "Kommen Gewaltphantasien und Berichte über konkrete Vorbereitungen hinzu, ist erst recht Vorsicht angezeigt."

Es ist allerdings sogar bei deutlichen Hinweisen auf Fremd- oder Selbstgefährdung manchmal schwierig, jemanden gegen seinen Willen in der Psychiatrie unterzubringen. Das Rechtsgut der ärztlichen Schweigepflicht wird hoch bewertet.

"Dann kommt es darauf an, dem Richter zu schildern, wie konkret das Risiko und die Gewaltvorstellungen tatsächlich sind", sagt Peter Henningsen, der betont, wie bedeutsam die Früherkennung ist. "Im Vorfeld ist es ein wichtiges Alarmsignal, wenn der emotionale Kontakt zu Ärzten, Therapeuten oder Angehörigen plötzlich abreißt."

© SZ vom 13.03.2009/cpah - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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