Medizin:Sterbende Nervenzellen

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Eine weitverbreitete Wirkstoffgruppe kann bei älteren Patienten die geistige Leistung mindern. Hirnscans weisen jetzt auf einen möglichen biologischen Mechanismus hinter dieser gefährlichen Nebenwirkung hin.

Von Hanno Charisius

Manche Medikamente verändern möglicherweise die Hirnstruktur von älteren Menschen. Darauf deuten Hirnscans von 451 Teilnehmern einer Untersuchung an der Indiana University School of Medicine hin. Wissenschaftler um die Radiologin Shannon Risacher wollten herausfinden, warum Arzneimittel, die die Wirkung des Nerven-Botenstoffs Acetylcholin unterbinden, unter Umständen die geistigen Fähigkeiten von älteren Menschen mindern können. Solche Substanzen sind unter anderem in Beruhigungsmitteln enthalten, aber auch in Antiallergika und in Medikamenten gegen Inkontinenz. Dass die Gehirne älterer Menschen anfälliger sind für solche anticholinergen Nebenwirkungen als die von jüngeren, ist bereits länger bekannt und wird von guten Ärzten auch bei der Verordnung dieser Medikamente bedacht. Bei manchen Erkrankungen fehlt es aber an Alternativen. Jetzt weisen die Bilddaten von Risacher im Fachjournal JAMA Neurology erstmals auf einen möglichen biologischen Mechanismus hin.

Studienteilnehmer, denen Wirkstoffe mit stark anticholinergem Effekt verordnet worden waren, schnitten in Kognitionstests schlechter ab als die Vergleichsgruppe, die keine Substanzen aus dieser Medikamentenklasse genommen hatte. Bildgebende Verfahren zeigten eine geringere Hirnaktivität und ein verringertes Hirnvolumen, vermutlich, weil Nervenzellen abgestorben waren. Katharina Bürger, Oberärztin am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung der Universität München betont, dass damit kein ursächlicher Zusammenhang aufgeklärt wurde. "Die Beobachtung könnte auch mit einem schlechteren Gesundheitszustand der Betroffenen zusammenhängen, es muss nicht an den Medikamenten liegen." Das räumen Risacher und ihre Kollegen auch selbst ein. Eine weitere Schwachstelle sei die mit 60 recht kleine Zahl von Personen, die anticholinerge Substanzen verordnet bekommen hatten, und die Tatsache, dass die Forscher die Verschreibungen nicht aus Krankenakten rekonstruieren konnten, sondern sich auf Aussagen der Patienten stützen mussten. Auf Grundlage älterer Studien steht für Risacher dennoch fest, dass Ärzte - wenn möglich - bei älteren Patient unbedingt auf Alternativen zu anticholinergen Substanzen zurückgreifen sollten. "Das ist eigentlich Konsens", sagt auch Anja Schneider, Oberärztin der Gedächtnisambulanz in der Uniklinik Göttingen. Es werde nur leider oft ignoriert.

© SZ vom 20.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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