Medizin:Risiken außer der Reihe

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Blutdrucksenker für die Wehenhemmung, ein Schlafmittel für Erwachsene zur Beruhigung von Kindern: Werden Medikamente nicht gemäß ihrer medizinischen Bestimmung verordnet, steigen die Risiken stark.

Von Werner Bartens

Blutdrucksenker zur Wehenhemmung, Krebsmittel gegen die Makuladegeneration im Auge, ein Schlafmittel für Erwachsene zur Beruhigung von Kindern. Längst nicht alle Medikamente werden zur Therapie jener Krankheiten verordnet, für die sie zugelassen sind. Dieser so genannte Off-Label-Use betrifft nach seriösen Schätzungen mehr als 20 Prozent aller Verschreibungen. Vielen Patienten kann auf diese Weise geholfen werden, doch offenbar werden die Schäden unterschätzt. Ärzte aus Kanada und den USA zeigen nun im Fachmagazin JAMA Internal Medicine (online), dass Nebenwirkungen erheblich öfter auftreten, wenn Arzneimittel nicht gemäß ihrer Bestimmung verwendet werden.

Die Forscher um Tewodros Eguale von der McGill University in Montreal haben Therapieverläufe von 46 000 Patienten untersucht, die insgesamt mehr als 150 000 Medikamente verschrieben bekommen haben. 3500 unerwünschte Nebenwirkungen traten dabei auf. Wurden Medikamente ordnungsgemäß verwendet, kam es zu umgerechnet 12,5 Nebenwirkungen in 10 000 Monaten, die Patienten die Mittel genommen haben. Während des Off-Label-Use wurden hingegen fast 20 unerwünschte Ereignisse pro 10 000 Patientenmonaten registriert. Gab es kaum wissenschaftliche Hinweise dafür, dass die außerplanmäßige Verwendung sinnvoll ist, häuften sich die Nebenwirkungen weitaus stärker. "Ärzte und Fachverbände sollten sich darüber klar sein, wie groß das Problem ist", sagt Eguale. "Besonders heikel ist der Off-Label-Use, wenn in der Fachliteratur wenig für die Verwendung spricht."

"In vielen Fällen ist der Off-Label-Gebrauch nicht angemessen und erhöht die Risiken der Behandlung unnötigerweise", schreiben Chester Good und Walid Gellad in einem begleitenden Kommentar. "Zulassungsbehörden und Gerichte müssen sorgfältig abwägen, wenn sie diese Verwendung weiterhin erlauben."

In Deutschland ist der Off-Label-Use ebenfalls zulässig - ein Arzt darf jedes Medikament verordnen, das verfügbar ist. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sieht ein "wesentliches Kriterium" für den Off-Label-Use darin, dass die Gabe "dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht" und daher "für Patienten von einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis ausgegangen werden kann". Offenbar ist das längst nicht immer gegeben, wie das erhöhte Risiko für Nebenwirkungen zeigt.

© SZ vom 03.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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