Medizin:Der blinde Fleck

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Die meisten Ärzte glauben, durch das Marketing von Pharmafirmen nicht beeinflussbar zu sein. Eine Untersuchung hat jetzt aber gezeigt, dass Mediziner andere Medikamente verschreiben, wenn sie wirklich unabhängig sind.

Von Werner Bartens

Natürlich haben Marketing und PR Folgen. Damit lässt sich das Kaufverhalten von Konsumenten ebenso beeinflussen wie das Verordnungsverhalten von Ärzten. Mediziner behaupten zwar immer wieder von sich, der Besuch eines Pharmavertreters oder ein geschenkter Kugelschreiber würden sich nicht darauf auswirken, wie viele und welche Medikamente sie verschreiben. In mehreren Beiträgen im Fachmagazin JAMA zeigen Wissenschaftler jedoch, wie leicht Ärzte sich lenken lassen.

Autoren um Ian Larkin von der University of California in Los Angeles hatten an 19 akademischen Lehrkrankenhäusern mit mehr als 2000 Ärzten untersucht, was geschieht, wenn ärztliche Interessenkonflikte vermieden werden. In kurzer Zeit veränderte sich das Verschreibungsverhalten in den wichtigsten Medikamentenklassen. So ging der Anteil der stark beworbenen Arzneimittel um 1,67 Prozentpunkte zurück, jener der weniger von PR-Aktionen begleiteten Produkte stieg um 0,84 Prozentpunkte. In einer weiteren Studie zeigten Forscher aus Kalifornien, dass 48 Prozent aller US-Ärzte Einnahmen von der pharmazeutischen oder biomedizinischen Industrie beziehen - und zwar insgesamt in einer Höhe von 2,4 Milliarden Dollar.

Die meisten Mediziner sind überzeugt, selbst objektiv bleiben zu können

Zumeist wird das Geld für Beratung, Forschung und Vorträge im Dienste der Unternehmen gezahlt. Aus zahlreichen Untersuchungen ist bekannt, dass jede Art von Zuwendung den Empfänger positiver stimmt und die Produkte einer Firma in der Folge wohlwollender bewertet und eher empfohlen werden. Die große Mehrzahl der Ärzte will diesen blinden Fleck aber nicht anerkennen und wähnt sich erhaben über diesen Einfluss. "Inzwischen haben viele Medizinfakultäten Regeln erlassen, um den Einfluss und das Marketing der Pharmafirmen auf Ärzte zu begrenzen", sagt Michael Schoenbaum von den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA, einer der Ko-Autoren der Studien. "Unsere Analyse ist eine der ersten, die zeigt, was diese Richtlinien verändern können. Im nächsten Schritt muss untersucht werden, welche wirtschaftlichen Folgen das hat und wie es sich auf das Befinden und die Behandlung der Patienten auswirkt."

In Deutschland ist der Einfluss der Industrie auf die Ärzte ebenfalls groß. Ungefähr 16 000 Pharmavertreter besuchen regelmäßig Mediziner in Praxen und Kliniken, nur wenige verbitten sich diese Form der Heimsuchung. Genaue Zahlen über die überwiesenen Summen und andere Versuche der Beeinflussung gibt es allerdings nicht. "Es gibt für Ärzte immer mehr zu lernen, als Zeit zum Lesen da ist. Natürlich ist es einfacher, wenn einem die Weiterbildung mundgerecht serviert wird, am besten noch verbunden mit einem feinen Essen", schreiben Colette DeJong und Adams Dudley in einem Kommentar. "Aber die Hilfe von Firmen geht mit Nebenwirkungen einher, und das ist nicht immer zum Nutzen der Patienten."

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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