20 Jahre Umweltsiegel FSC:Gorillas im Forst

Lesezeit: 8 min

Ein Urwaldriese im afrikanischen Kongobecken in einem forstwirtschaftlich genutzten Wald. Wenn nur einzelne Bäume gefällt werden, nehmen Ökosysteme im tropischen Regenwald weniger Schaden. (Foto: Michael Kern/Thomas Weidenbach/Längengrad Filmproduktion)

Der "Forest Stewardship Council" (FSC) gilt als Symbol für eine verantwortungsbewusste Forstwirtschaft. Der "Rat zur Pflege der Wälder" wurde 1993 gegründet - und laviert seither bei der Zertifizierung von Holzprodukten und Firmen durch ein Spannungsfeld gegensätzlicher Interessen. Eine kritische Würdigung zum 20. Geburtstag.

Von Thomas Weidenbach

Das dichte Kronendach der Urwaldriesen lässt kaum Licht auf den Boden, mit der Machete durchschlagen die Fährtensucher undurchdringliches Unterholz. Fingerlange Dornen ragen aus den Ästen vieler Bäume, die schwüle Luft lässt sich fast mit Händen greifen.

Doch die Wanderer durch den zentralafrikanischen Dschungel lassen alle Strapazen über sich ergehen. Denn sie erwartet etwas Einzigartiges: Gorillas. Nach stundenlangem Fußmarsch befinden wir uns mitten in einer Gruppe der bedrohten Menschenaffen. Mehr als 200 Kilo bringt der Silberrücken auf die Waage, der über einen Harem von Gorilladamen und Jungtieren herrscht. Seelenruhig frisst der mächtige Affe kiloweise Blätter von den Zweigen.

Mondika heißt der Ort im Norden der Republik Kongo, der unter Kennern als einer der wenigen Orte gilt, wo man Wildnis noch so hautnah erleben kann. Doch nicht nur die Begegnung mit Gorillas macht diesen Wald zu etwas Besonderem. Es ist auch die Tatsache, dass er einer Holzfirma gehört. Nur wenige Kilometer entfernt stürzen Baumriesen mit ungeheuerlichem Krach zu Boden, bringen Holzfäller im Akkord einen Stamm nach dem anderen zu Fall. Den Gorilla-Touristen ist das nicht bewusst. Die meisten glauben, Gorillas und Holzfäller seien ein Widerspruch in sich. Was im Kongobecken, dem zweitgrößten Regenwaldgebiet der Erde, passiert, passt nicht ins Weltbild mancher Regenwaldschützer.

Die zum Olam-Konzern mit Sitz in Singapur gehörende CIB und die benachbarte Firma IFO, eine Tochter des deutsch-schweizerischen Holzunternehmens Danzer, gelten in der waldreichen Region im Norden der Republik Kongo als vorbildhaft. Weil sie Tropenholz nutzen, ohne den Wald zu zerstören und dabei die strengen Richtlinien des FSC einhalten, dürfen sie ihre Hölzer mit dem FSC-Logo auszeichnen. Und deshalb einen Preisaufschlag verlangen.

Mehr Gorillas als in den Nationalparks

Tatsächlich leben mehr Gorillas in forstwirtschaftlich genutzten Wäldern als in Nationalparks. Etwa 36.000 Westliche Flachlandgorillas, das ergaben Untersuchungen der Naturschutzorganisation Wildlife Conservation Society (WCS), existieren allein im Wald der IFO. Das ist etwa ein Drittel der Gesamtpopulation der Art und mehr als an jedem anderen Ort. Und sie leben nicht schlecht, wie Paul Telfer weiß. Der Veterinärmediziner ist bei der WCS, die unter anderem den weltberühmten New Yorker Zoo betreibt, für die Republik Kongo zuständig und steht nicht gerade im Verdacht, mit der Holzindustrie zu sympathisieren.

"Die Zahl der Gorillas kann auch in Gebieten, in denen Bäume gefällt werden, stabil bleiben", sagt er. Am liebsten wäre es ihm, wenn der Wald unangetastet bliebe. "Doch seien wir ehrlich: Wir alle nutzen Holz", sagt er und klopft lächelnd auf seinen hölzernen Schreibtisch. "Daher muss man bei den Holzfirmen die strengsten Standards einfordern, die es gibt. Und dafür steht der FSC."

Ein Westlicher Flachlandgorilla im FSC-zertifizierten Wald des Holzunternehmens CIB im Norden der Republik Kongo (Foto: Michael Kern/Thomas Weidenbach/Längengrad Filmproduktion)

Auch Antoine Couturier hört sich eher wie ein Naturschützer als wie der Angestellte eines Holzunternehmens an. Er hat in Paris Tropenökologie studiert und ist für die Ausarbeitung und Überwachung des Managementplans der IFO verantwortlich. Er führt uns zu einem Waldstück, in dem vor vier Jahren Holzfäller ihren Job erledigt haben - mit Kettensägen und Planierraupen, aber auch mit System. Nach dem Einschlag wird der Wald für 30 Jahre in Ruhe gelassen, bevor die Holzfäller wieder anrücken. Das Ziel: Es soll nicht mehr Holz entnommen werden als nachwachsen kann. So also kann Forstwirtschaft in den Tropen auch aussehen: Man steht vor einer grünen Wand - und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Eine halbe Stunde sucht Antoine nach einem Beweis für die Arbeit der Holzfäller, dann endlich hat er einen riesigen Baumstumpf gefunden, längst überwuchert mit Büschen, rundum nichts als Wald. "Wir schlagen nur einen Baum auf einer Fläche von zwei Fußballfeldern", sagt er. Selektive Holzernte nennt er das. Die gut ausgebildeten Fällerteams bringen die Bäume zudem "zielgerichtet" zu Fall, um die umstehende Vegetation nicht mehr als nötig zu schädigen. Von Kahlschlag ist weit und breit nichts zu sehen.

Forstwirtschaft bedeutet in diesem Fall Planwirtschaft: Nichts wird dem Zufall überlassen. Der gesamte Wald - mehr als eine Million Hektar, das entspricht etwa einem Zehntel der gesamten Waldfläche Deutschlands - wird in 30 Zonen aufgeteilt. Jedes Jahr darf nur in einer davon eingeschlagen werden.

Lange bevor die Holzfäller anrücken, wird eine umfassende Inventur des Urwalds durchgeführt. Von den Bäumen, die dort wachsen, werden Informationen über Art, Durchmesser und Standort in Computern erfasst und als Karten ausgedruckt. Dort sind nicht nur die Bäume verzeichnet, die gefällt werden sollen, sondern auch solche, die verschont werden - sei es, weil sie zu klein oder zu groß sind, weil man sie erst in ferner Zukunft fällen will, weil sie als Samenbäume für die Regeneration des Waldes wichtig sind oder weil sie für die nomadisierenden Pygmäen als Nahrungslieferanten oder als heilige Bäume von Bedeutung sind.

Urwaldriesen, die näher als 30 Meter an einem Bach oder See stehen, dürfen nicht angetastet werden, da sie beim Sturz das Wasser stauen könnten. Die Liste der Bäume, die nicht gefällt werden, ist erstaunlich lang.

Doch damit nicht genug: Gebiete, in denen besonders viele Gorillas und andere gefährdete Arten leben, bleiben völlig unberührt. Mehr als ein Viertel der IFO-Konzession ist für Holzfäller tabu. Selbst die Wilderei und den Handel mit Buschfleisch - die größte Gefahr für die Tierwelt in der Region - versucht man durch schwer bewaffnete Ranger und durch den Import von günstigem Rindfleisch einzudämmen. Zu schön, um wahr zu sein?

Antoine Couturier bemerkt die Skepsis. "Sicher, unsere Arbeit verändert den Wald", räumt er ein, "das ist kein unberührter Urwald mehr. Aber auch nach der Holzernte bleibt ein artenreiches Ökosystem." Die Holzfirma weiß davon zu profitieren. Denn alle Maßnahmen machen nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch Sinn, wenn man den Wald langfristig nutzen will. Die Planungen ermöglichen effizientes Arbeiten. Kurze Wege für die Planierraupen, die die Stämme abtransportieren, minimieren nicht nur die Schäden an der Natur, sondern sparen auch teuren Diesel.

Doch Unternehmen wie die CIB oder die IFO, die sich deutlich von der Mehrzahl der anderen Holzfirmen in den Tropen unterscheiden, haben ein Riesenproblem: Viele Kunden in den lukrativen Märkten Europas und Nordamerikas glauben ihnen nicht. Oder sie erfahren erst gar nichts von ihrer Existenz. Die Lösung bietet der FSC. Gegründet vor 20 Jahren, als eine direkte Folge der berühmten UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro. Nicht nur reden, sondern etwas tun, um die Wälder, vor allem die tropischen Regenwälder, zu schützen — das war und ist das Ziel.

"Wir glauben, dass eine gute Forstwirtschaft die Wälder davor bewahren kann, zerstört zu werden. Denn der eigentliche Feind des Waldes ist die Landwirtschaft", meint Kim Carstensen, Generalsekretär des FSC. Es sei eine Illusion zu glauben, arme Länder könnten ihre Wälder schützen, wenn sie wirtschaftlich nicht davon profitieren.

Weil mit dem Holz aus dem Norden Kongos gutes Geld verdient wird, stehen die Wälder dort unter Druck (Foto: Michael Kern/Thomas Weidenbach/Längengrad Filmproduktion)

Wenn genügend Verbraucher Wert darauf legen würden, Holz aus FSC-Wäldern zu kaufen, würde das Holzfirmen dazu animieren, naturschonend zu arbeiten. Wer Holz mit dem FSC-Logo kauft, soll ein gutes Gewissen haben können. Deshalb haben sich Firmen wie die IFO und der CIB dazu verpflichtet, den Prinzipien des FSC zu folgen.

Das FSC-Zertifikat bekommt nur, wer unter anderem nachweisen kann, dass er die Rechte indigener Völker respektiert, Arbeiterrechte achtet, die Artenvielfalt schützt, alle ökologischen Funktionen des Waldes berücksichtigt, einen langfristigen Waldbewirtschaftungsplan aufstellt und dessen Einhaltung überwacht. Die Begutachtung der Wälder geschieht durch Zertifizierungsfirmen, die die Arbeit der Holzunternehmen mindestens einmal jährlich unter die Lupe nehmen.

180 Millionen Hektar Wald wurden seit Gründung des FSC in 80 Ländern zertifiziert. Eine stolze Zahl: eine Fläche zehnmal größer als der gesamte Wald Deutschlands - aber noch nicht mal fünf Prozent der weltweiten Waldfläche. Und es gibt noch einen entscheidenden Schönheitsfehler: Die meisten FSC-Wälder befinden sich nicht etwa in den Tropen, die bei der Gründung im Fokus standen, sondern in gemäßigten Breiten — mehr als die Hälfte allein in Kanada, Russland und Schweden. Auch in Deutschland wurden immerhin 579.000 Hektar Wald mit dem FSC-Siegel ausgezeichnet.

Keine Frage: Auch in diesen Ländern hat der FSC zu Verbesserungen geführt. Artenreiche Zonen werden besser geschützt, Kahlschläge verringert, ein Teil des Totholzes darf stehenbleiben. Doch angesichts der Waldvernichtung in den Tropen entwickelt sich der FSC in den Ländern des Südens nach Meinung vieler Fachleute viel zu zaghaft. Auch in Zentralafrika, wo mehr als 40 Millionen Hektar Wald zur Holznutzung freigegeben wurden, sind erst zehn Prozent nach FSC-Kriterien zertifiziert.

Doch das muss nicht so bleiben. "In zehn Jahren könnten es 60 Prozent sein", da ist Ralph Ridder Optimist. Er ist Leiter der ATIBT, eines Zusammenschlusses von Regierungen, Wissenschaftlern, Umweltorganisationen und Holzfirmen, die sich die Förderung einer verantwortungsbewussten Forstwirtschaft in den Tropen auf die Fahne geschrieben haben. Der Wille, etwas zu verändern, sei bei einer ganzen Reihe von Firmen, Regierungen und Institutionen vorhanden. "Der FSC hat eine Debatte ausgelöst, die nicht mehr zurückgedreht werden kann."

Weil eine Tochterfirma in Verdacht geriet, verlor der ganze Konzern das FSC-Siegel

Viele Forstminister in Zentralafrika haben sich für eine FSC-Zertifizierung ihrer Wälder ausgesprochen. Nicht nur aus Einsicht, sondern auch, um der Kritik an den oft korrupten Verhältnissen zu begegnen und weil sie sich einen besseren Absatz ihrer Holzprodukte auf den internationalen Märkten versprechen. Doch diese Hoffnung könnte sich als trügerisch erweisen.

"Gerade zwei Prozent der in der EU gehandelten Hölzer kommen aus den Tropen," erläutert Ralph Ridder. Die Preise für Holz mit FSC-Gütesiegel seien in den letzten Monaten sogar gefallen. Nicht zuletzt aufgrund einer EU-Richtlinie, die dem Handel mit illegal geschlagenem Holz den Kampf ansagt. Seit März dieses Jahres dürfen in die EU nur noch Hölzer importiert werden, die nachweislich aus legalen Quellen stammen. Wie das kontrolliert werden kann, ist unklar.

"In Kamerun und der Demokratischen Republik Kongo verkaufen korrupte Beamte bereits Legalitätsnachweise", warnt Ridder. Bei vielen Einkäufern in der EU heißt es jetzt: Warum teures Geld für FSC-Ware ausgeben, wenn man "legal" eingeführtes Holz auch billiger haben kann? Doch wenn der Holzhandel keine angemessenen Preise mehr für zertifiziertes Holz zahlt, gerät das gesamte System des FSC in Gefahr.

Auf der Konferenz "Wälder für zukünftige Generationen", die die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit Anfang Juni in Berlin organisiert hat, waren sich die meisten Teilnehmer einig: Wer die Regenwälder langfristig erhalten will, muss den Handel mit zertifiziertem Tropenholz aus nachhaltigen Quellen fördern.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Unter den FSC-Mitgliedern tobt seit Jahren ein immer schärferer Streit um den Umgang mit Holzfirmen aus den Tropen. Denn statt sich zu bemühen, in Zentralafrika, Brasilien oder in Südostasien mehr Firmen von den Vorzügen des FSC zu überzeugen, werden Gutwillige abgeschreckt, sagen die internen Kritiker. Jüngstes Beispiel: Danzer und die Tochterfirma IFO.

Nach Vorwürfen, in der Demokratischen Republik Kongo sei ein anderes Tochterunternehmen von Danzer mitverantwortlich für Menschenrechtsverletzungen, wurden der Mutterfirma im Mai sämtliche FSC-Zertifikate entzogen. Die Vorwürfe sind umstritten; auch eine Kommission des FSC konnte die Vorfälle, bei denen mehrere Dorfbewohner verprügelt und ein Mann gestorben sein sollen, nicht restlos klären. "Unsere Glaubwürdigkeit stand auf dem Spiel", bemüht sich Kim Carstensen um Erklärung.

Doch ganz wohl ist dem FSC bei der Entscheidung offensichtlich nicht. In einem Jahr soll sie überprüft und Danzer die Gelegenheit gegeben werden, die FSC-Zertifikate zurückzuerlangen, wenn die Firma bestimmte Auflagen erfüllt. In der Holzindustrie hat der Rauswurf jedoch wie ein Schock gewirkt. "Jeder hat Angst, als nächster dran zu sein", weiß ATIBT-Chef Ridder.

In Insiderkreisen gilt die Entscheidung als Kniefall vor dem FSC-Gründungsmitglied Greenpeace, das mit seinem Austritt aus dem Verband gedroht habe. Beim FSC bestreitet man das.

Doch fest steht: Weil sich eine einzelne Tochterfirma angeblich unverantwortlich verhalten hat, wurden alle anderen Danzer-Unternehmen mitbestraft. Auch das Vorzeigeunternehmen IFO hat sein FSC-Siegel verloren, obwohl es mit den Vorfällen nichts zu tun hat und mehrere hundert Kilometer entfernt in der benachbarten Republik Kongo agiert. Das ist in etwa so, als würde man zum Boykott tschechischer Skoda-Fahrzeuge aufrufen, weil Seat in Spanien bei seinen Autos etwas verbockt hat - nur, weil beide Hersteller zum VW-Konzern gehören.

"Beim FSC muss sich intern etwas ändern", fordert denn auch Ralph Ridder. Konsens statt Konfrontation sei angesagt. Statt immer nur auf die vermeintlich böse Industrie einzuprügeln und nach absoluter Perfektion zu streben, sollten Unternehmen und Projekte, die sich auf einem guten Weg befänden, besser unterstützt werden. "Natürlich müssen sich auch die FSC-zertifizierten Holzfirmen im Kongobecken weiter verbessern. Aber sie sind bereits jetzt weit, weit besser als alles andere, was es gibt". Ralph Ridder gibt die künftige Marschrichtung vor: "Entweder wir schaffen es, den FSC in den Tropen voranzubringen, oder er wird überflüssig."

Die Zeit der Boykotte sei angesichts der rasanten Entwicklung im Kongobecken vorbei. "Wenn wir es nicht schaffen, dort eine nachhaltige Forstwirtschaft voranzutreiben", so seine Befürchtung, "dann ist der Regenwald im Kongobecken in den nächsten 200 Jahren verschwunden" - umgewandelt in profitablere Plantagen oder in Viehweiden. Beim FSC hat man das erkannt und will in Zukunft verstärkt in tropischen Regionen aktiv werden.

Der Spezialist und überzeugte FSC-Anhänger Antoine Couturier bringt das Dilemma angesichts der Gorillas in seinem Wald auf den Punkt: "Wenn es uns hier eines Tages nicht mehr geben sollte, dann gibt es auch keine Gorillas mehr."

Der Text stammt aus der Oktober-Ausgabe von natur, dem Magazin für Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation - mehr aktuelle Themen auf natur.de...

© natur 10/13 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: