Glyphosat:"Die Bauern werden unter großem Druck stehen"

Bauern müssen um EU-Agrarmilliarden bangen

Der Druck auf die Bauern, sich mit Alternativen zu Glyphosat auseinanderzusetzen, dürfte in Zukunft größer werden.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Glyphosat darf weiter versprüht werden. Doch der Agrarexperte Horst-Henning Steinmann ist überzeugt, dass das Herbizid langfristig keine Zukunft hat.

Interview von Kathrin Zinkant

Die einen nennen die Entscheidung einen Kniefall vor der Agarindustrie. Die anderen hätten sich mehr als fünf weitere Jahre mit Glyphosat gewünscht: Was bedeutet die Neuzulassung des weit verbreiteten Herbizids? Ein Gespräch mit dem Biodiversitäts-Experten Horst-Henning Steinmann von der Universität Göttingen.

SZ: Herr Steinmann, wie bewerten Sie die Entscheidung der EU, Glyphosat für weitere fünf Jahre zuzulassen?

Horst-Henning Steinmann: Abgesehen von den atemberaubenden politischen Umständen finde ich die Entscheidung im Moment richtig. Einerseits erlaubt sie, dass Glyphosat in einem überschaubaren Zeitraum weiter genutzt wird. Andererseits ermöglicht sie ernsthafte Einschränkungen, die zu einem reduzierten Einsatz von Glyphosat führen werden.

Warum halten Sie eine Reduzierung für nötig?

Glyphosat ist weltweit das am umfangreichsten genutzte Herbizid. Der Anteil, der auf Europa und Deutschland entfällt, ist im internationalen Vergleich zwar klein. Gleichwohl bleibt Glyphosat in Deutschland der meistverwendete Pflanzenschutzwirkstoff. Und man hat fast den Eindruck, dass sich die Landwirte hier auf den niedrigen Preis und die unbegrenzte Verfügbarkeit dieses Totalherbizids eingerichtet haben. In den vergangenen 15 Jahren haben wir einen massiven Anstieg des Glyphosat-Einsatzes gesehen, der mit echter Notwendigkeit nicht immer zu erklären ist. Es gibt Betriebe, die zum Beispiel ihre mechanische Bodenbearbeitung mithilfe von Glyphosat extrem verschlankt und ökonomisiert haben. Um diesen Trend abzuschwächen und nach Möglichkeit umzukehren, setzen sich Experten schon seit Jahren für eine Reduktion ein, und für den Versuch, Glyphosat durch andere praktikable Ackerbaumethoden zumindest teilweise zu ersetzen.

In welchen Bereichen wäre das möglich?

Glyphosat wird als Totalherbizid nicht auf der wachsenden Kulturpflanze eingesetzt. Es wird zum Teil vor der Aussaat angewendet und in großem Umfang nach der Ernte, zur Stoppelbehandlung. Bis vor einigen Jahren wurde es auch zur sogenannten Sikkation eingesetzt, um störende Unkräuter vor der Ernte zu entfernen. Die Sikkation wird in Deutschland aber nur noch in Einzelfällen erlaubt.

Welche Rolle spielt die eingesetzte Menge?

Einige Befürworter sagen tatsächlich: Wenn es einen Nutzen gibt, sollte man ihn eher ausdehnen. Auf der anderen Seite wissen wir aber: Wenn man auf große Mengen eines einzigen Herbizid setzt, führt das zur Selektion von Resistenzen und im Randbereich der Felder zum Kontakt mit Oberflächengewässern. Durch die aktuellen Anwendungsbestimmungen ist zwar vorgeschrieben, gewisse Abstände einzuhalten, aber beim Einsatz großer Tonnagen bleiben diese Wirkstoffe nun mal irgendwo. Insofern ist eine Beschränkung immer geboten und immer gut.

Wann und wo ist Glyphosat überhaupt sinnvoll?

Glyphosat erspart vielen Bauern die mechanische Bodenbearbeitung, und damit Geld und Diesel. Hinzu kommt der Erosionsschutz. An Hängen, wo der Boden durch das Wasser sehr stark abgetragen werden kann, gibt es große Vorteile, wenn man die reduzierte Bodenbearbeitung mit Herbiziden unterstützt. Dort ist der Einsatz von Glyphosat insofern gerechtfertigt, weil er hilft, nachteilige Folgen der Landwirtschaft zu verhindern.

Nicht jeder Acker liegt an einem Hang.

Auf anderen Flächen kann man mehr grubbern und pflügen. Außerdem kann die Wahl der Fruchtfolgen und des Aussaattermines Effekte erzielen. Aber die Bodenbearbeitung steht im Vordergrund. Dort muss man nicht immer mit dem Pflug daherkommen. Es hat in den vergangenen Jahren Weiterentwicklungen in der Bestellung der Felder gegeben, mit neuen Maschinen, oder mit dem Anbau von Zwischenfrüchten, die das Unkraut unterdrücken, ohne dass man die Bodenbearbeitung intensiviert.

Was sind das für Früchte?

Da gibt es eine Vielzahl von Pflanzen, Kleesorten oder Lupinen zum Beispiel, aber auch Mischungen mit Sonnenblumen oder Phacelia. Die Auswahl hängt von den jeweiligen Bedürfnissen ab und muss in die Fruchtfolge eingepasst werden. Manchmal ist es wichtig, dass die Zwischenfrüchte über den Winter abfrieren. Manchmal sollen sie Stickstoff fixieren. All diesen Früchten ist aber gemein, dass sie wieder von der Fläche verschwinden müssen, wobei auch dafür in der Vergangenheit oft Glyphosat eingesetzt wurde.

Warum haben die Landwirte nicht wenigstens in diesen Fällen Alternativen genutzt?

Man muss hier erneut kritisieren, dass Glyphosat bisher sehr billig und stets verfügbar war. Es fehlte der Anreiz für etwas anderes. Jede Vermeidungsstrategie kostet Geld. Es kostet Geld, sie zu entwickeln und es kostet die Landwirte Geld, entsprechende Maschinen anzuschaffen und sich damit auf Jahre festzulegen. Wenn jetzt die Verfügbarkeit von Glyphosat eingeschränkt wird, muss auch die Entwicklung von Glyphosat-Vermeidungstechniken stärker gefördert werden. Was sonst passieren kann, ist, dass Landwirte einfach andere Herbizide einsetzen. Es gibt ja zahlreiche weitere Wirkstoffe, die zugelassen sind. Wenn es aber das Ziel ist, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln grundsätzlich zu verringern, wäre nichts gewonnen. Die Chance für die Umwelt und die biologische Vielfalt würde nicht genutzt.

Der Einsatz von Glyphosat könnte bald stärker eingeschränkt werden

Was passiert, wenn die Zulassung in fünf Jahren erneut verlängert wird?

Es ist nicht realistisch, dass Glyphosat noch einmal zur Wiedervorlage kommt und mit Erfolg verlängert wird. Das zeigt der enorme Druck, der jetzt im Zulassungsverfahren gesteckt hat, und die Erinnerung wird noch sehr frisch sein, wenn man sich der Angelegenheit in fünf Jahren wieder annimmt. Ich sehe da keine langfristige Perspektive mehr. Zumal Glyphosat in diesen kommenden Jahren sicherlich mit starken Anwendungsbeschränkungen versehen wird, um die Mengen tatsächlich zu reduzieren und um auch der Vielfalt in der Landwirtschaft mehr Raum zu geben. Die Bauern werden unter sehr großem Druck stehen, sich mit alternativen Verfahren auseinanderzusetzen.

Welche Anreize kann man schaffen? Hilft eine Pestizidsteuer?

Meiner Ansicht nach sind Anwendungsbeschränkungen sinnvoller, die an die aktuelle Wiederzulassung geknüpft werden und in kurzer Zeit angepasst werden können - anders, als es bei einer Steuer der Fall wäre. Wichtig ist, Glyphosat von manchen Flächen vollständig fernzuhalten. Da gibt die EU-Entscheidung erste Aufschlüsse, indem dort erstmals der Schutz von Nahrungsketten beachtet werden soll.

Wie genau?

Es ist leider etwas untergegangen, aber im Zuge der jüngsten Abstimmung wurde erstmalig die Artenvielfalt berücksichtigt. Das ist ein Punkt, den das Umweltbundesamt schon lange gefordert hatte. Im Zuge der Neuzulassung erhält der Biodiversitäts- und Umweltschutz großes Gewicht, diese Seite ist jetzt sehr gestärkt. Und das wird zu entsprechenden Maßnahmen führen.

Die EU verlangt bereits Vorrangflächen, also naturbelassene Grünstreifen.

Im Kern lautet der Befund, dass bisher zu wenige ökologische Vorrangflächen geschaffen wurden.

Welchen Anteil müsste man erreichen?

Das lässt sich nicht beantworten. Die oft genannten fünf bis zehn Prozent ergeben sich aus dem Streben der Artenschützer, möglichst viel Raum für die Biodiversität zu erhalten und dem Wunsch der Landwirte, möglichst wenig Fläche zu opfern. Es ist aber nicht nur eine Frage der Größe, sondern auch der Qualität und des Vernetzungsgrades. Die Anforderungen von Insekten sind umfangreich. Und es geht nicht nur um Insekten, sondern auch um andere Arten.

Was erwartet den Verbraucher?

Es gibt Marktanalysen, die nach einem Glyphosatverbot eine gewisse Verknappung und höhere Kosten vorhersagen. Aber ich denke nicht, dass die Verbraucher jetzt etwas spüren werden. Die Kosten für die Landwirte werden sich dagegen erhöhen, das wird sicher an ihnen hängen bleiben.

Und wenn man die Preise für Lebensmittel erhöht?

Diese Möglichkeit besteht grundsätzlich. Im Bereich des Ökolandbaus und seiner Produkte, wo die Kennzeichnung einen weitgehenden Verzicht auf Pflanzenschutzmittel erkennbar macht, sind viele Verbraucher dazu bereit. Eine Reduktion von oder ein Verzicht auf Glyphosat allein rechtfertigt aber keinen höheren Preis. Nicht, wenn der Landwirt ansonsten konventionelle Landwirtschaft betreibt. So sind die Märkte einfach nicht gestrickt.

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