Geologie:Vor dem Eis, da war der Strand

Lesezeit: 6 min

Ein versteinerter Wald aus Tropenbäumen, gewaltige Grabensysteme - eine Expedition erkundet, wie die Antarktis vor 600 Millionen Jahren aussah.

Von Angelika Jung-Hüttl

Selbst der Sommer in der Antarktis kann sehr kalt sein. "Das Schneetreiben war manchmal so dicht, dass wir keine fünf Meter bis zum nächsten Zelt schauen konnten", erzählt der Leiter der Expedition, der Geologe Andreas Läufer von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Eisige Stürme behinderten tagelang die Forschungsarbeiten. Nur mit größter Anstrengung gelang es den Forschern, ihr geplantes Programm durchzuziehen. Dennoch wurden sie sogar mit einer überraschenden Entdeckung belohnt: "Nicht weit vom Lager entfernt fanden wir Reste eines versteinerten Waldes, Holzstücke und große Baumstümpfe, einen Meter lang und 50 Zentimeter im Durchmesser", berichtet Andreas Läufer.

Rund 200 Millionen Jahre alt sind diese Pflanzenfossilien. Sie stammen aus einer längst vergangenen Zeit, als die Antarktis noch nahe am Äquator lag. Einige dieser Stücke wurden per Helikopter abtransportiert und sind derzeit gerade mit dem Schiff auf dem Weg nach Hannover, zur genaueren Analyse.

Der unverhoffte Fund liefert ein weiteres Puzzleteil bei dem Versuch der Wissenschaft, die geologische Geschichte der Antarktis zu erkunden. Seit 1979 haben BGR-Wissenschaftler zusammen mit internationalen Forschungsgruppen immer wieder Expeditionen zum Südpol unternommen. Sie fahnden dort jedoch nicht etwa nach Rohstoffen, Erzen oder anderen nutzbaren Mineralen - das verbietet der 1961 in Kraft getretene Antarktisvertrag. Ziel dieser logistisch sehr aufwendigen und teuren Forschungsreisen sei es, "herauszufinden, wie diese Kältekammer am Südpol entstanden ist, die eine so große Rolle im weltweiten Klimasystem spielt", sagt Christoph Gaedicke, der an der BGR für die Polargeologie zuständig ist.

Es geht um ein riesiges Gebiet. Könnte man den gewaltigen Eispanzer am Südpol abheben, käme darunter eine Landmasse zum Vorschein, die fast zweimal so groß ist wie Australien - mit einem Archipel aus kleinen und großen Inseln auf der einen Seite und einem kompakten Kontinentalsockel mit riesigen Seen, steilen Bergketten und tiefen Schluchten auf der anderen Seite. Dazwischen erstreckt sich - zweieinhalbtausend Kilometer lang, 200 Kilometer breit und bis weit über 4000 Meter hoch - der transantarktische Gebirgsgürtel.

Geowissenschaftler, die an die Gesteinsschichten dieser verborgenen Landmasse herankommen wollen, um den Aufbau der Erdkruste zu erforschen, haben es nicht leicht. Denn 98 Prozent davon sind unter der Tausende Meter dicken Eiskappe verborgen und für sie nicht unmittelbar zugänglich. "Diesen Teil von Antarktika können wir nur indirekt mit geophysikalischen Methoden untersuchen, mit denen wir das Eis von Flugzeugen aus quasi durchleuchten," sagt Christoph Gaedicke von der BGR.

Kalte Pracht: Ein Tafeleisberg treibt in den Gewässern des Neuymayer-Kanals vor der antarktischen Halbinsel. (Foto: Bernhard Edmaier)

Lediglich zwei Prozent der antarktischen Landmasse sind eisfrei. Dazu gehören felsige Küstenstreifen, die berühmten "Dry Valleys", Trockentäler, aus denen eiskalte Winde jede Feuchtigkeit absaugen. Außerdem gibt es die zahlreichen, dunklen Felsgipfel des Transantarktischen Gebirges, die lose aneinander gereiht über den weißen Eispanzer hinausragen. Die Geologen nennen diese kleinen Berge Nunataks, nach einem Begriff aus der Sprache der Inuit, die in den nördlichen Polarregionen leben. "Die durchstechen die Eisdecke wie Piercings", erläutert Gaedicke. "Die können wir nur mit Schneemobilen erreichen, wenn die Eisoberfläche eine Überquerung zulässt, besser aber per Helikopter." Doch nur in den eisfreien Regionen können die Geologen die Gesteine direkt untersuchen, um ihre Messungen zu bestätigen, die sie beim Überfliegen gewonnen haben.

Kein Eis weit und breit, tropische Temperaturen - dann zerbrach der Kontinent

Die jüngste BGR-Forschungsexpedition ist vor wenigen Monaten zu Ende gegangen. Zusammen mit Kollegen von deutschen Universitäten, aus Schweden, Italien und Australien verbrachten die Wissenschaftler vier Wochen in einem Zeltcamp auf dem Eis am Fuße der Nunataks von Helliwell Hills. Diese Felshügel erheben sich im neuseeländischen Sektor der Antarktis, 300 Kilometer von der Küste entfernt, über ein 1000 Meter hoch gelegenes, vergletschertes Plateau im Transantarktischen Gebirge.

Transportflugzeuge, die mit Kufen ausgestattet auf Schnee und Eis landen können, hatten die gesamte Ausrüstung und die Wissenschaftler von der italienischen Antarktis-Station Mario-Zucchelli in der Terra-Nova-Bucht an der Rossmeerküste abgeholt und dann an den Helliwill Hills abgesetzt. Und hier entdeckten sie dann die Überreste des versteinerten Waldes.

Damals, als diese Bäume grünten, war die Landmasse der Antarktis noch kein isolierter Kontinent, sondern das Herzstück des Superkontinents Gondwana. Weit und breit lag kein Eis. Es herrschten tropische Temperaturen. Etwas später, vor etwa 180 Millionen Jahren, zerbrach Gondwana in mehrere große Kontinentalplatten. Afrika, Südamerika, Australien und die Antarktika entstanden und drifteten auseinander, angetrieben durch gewaltige Magmaströme im Erdinnern.

Vor etwa 100 Millionen Jahren schließlich, in der Kreidezeit, landete die Antarktis, an ihrer heutigen Position am Südpol, immer noch mit Wald bedeckt und an Südamerika und Australien gekoppelt. Erst nachdem sich vor etwa 35 Millionen Jahren auch ihre beiden verbliebenen Partnerplatten von ihr gelöst hatten, lag sie isoliert am Südende der Erde.

Jetzt konnte sich - angetrieben von den permanenten Westwinden - der antarktische Zirkumpolarstrom entwickeln. Er umkreiste den Südpolkontinent im Uhrzeigersinn und schnitt ihn vollends vom Rest der Welt und ihren großen Ozeanen ab. Dazu kamen damals noch natürliche Schwankungen der Erdbahn um die Sonne, die am Südpol für kühlere Sommer sorgten. Zugleich sank über die Jahrmillionen der Gehalt des Treibhausgases Kohlendioxid in der Luft global ständig ab. Das Resultat von alldem: Auf der antarktischen Landmasse wurde es immer kälter. Die Gletscher wuchsen und der Kontinent vereiste.

Hohe Gebirgszüge, ein bis zu 1000 Kilometer breiter Graben - so sähe die Antarktis ohne Eis aus. Abbildung: TU Dresden und Alfred-Wegener-Institut/Lars Radig (Foto: gf)

Im Fokus der Geländearbeit während der jüngsten BGR-Expedition standen sogenannte Suturzonen. Das sind Nahtstellen in der harten Gesteinshaut unseres Planeten, an denen einst Urkontinente aneinander gestoßen und miteinander verschmolzen sind. Solche alten Schweißnähte durchziehen auch die Erdkruste unter dem Eispanzer der Antarktis und treten in der felsigen Umgebung der Helliwell Hills zutage. "Diese Suturzonen sind durch spezielle Gesteinsarten charakterisiert", erklärt der Expeditionsleiter. Nach diesen haben die Forscher auf dem teilweise eisfreien Hochplateau gesucht, haben die Gesteinsschichten kartiert und eingemessen und haben Proben genommen, um - zurück im Labor in Hannover - genauere Analysen zu machen. Mit Hilfe dieser alten Nahtstellen versuchen die Forscher noch viel weiter in die Erdgeschichte zurückschauen und etwas über die Entwicklung des Riesenkontinents Gondwana im Erdaltertum vor 600 Millionen Jahren herauszufinden, als es zwar an Land weder Tiere noch Pflanzen gab, aber das Leben in den Ozeanen explodierte.

Die Wissenschaftler haben jedoch neben diesen sehr alten Strukturen auch neue, aktive Bruchzonen im Visier, die sich unter den Gletschermassen verbergen. Entlang des gesamten Transantarktischen Gebirgszuges gibt es deutliche Zeichen dafür, dass die West- und Ostantarktis in ferner Zukunft einmal auseinander reißen könnten. Dort verläuft nämlich vom Ross-Schelfeis bis zum Weddelmeer ein gewaltiger, von Verwerfungen durchsetzter Graben durch die Erdkruste, der in seinen Ausmaßen dem berühmten ostafrikanischen Rift Valley nicht nachsteht. Hier der Vergleich: 300 Kilometer breit und 3000 Kilometer lang ist der Grabenbruch, der Afrika vom Roten Meer bis Mosambik durchschneidet und in zwei Teile zerlegt, die mit einer Geschwindigkeit von sechs bis sieben Millimeter jährlich auseinander driften. Die Erdkruste dünnt dabei aus, Magma kann aufsteigen und ausbrechen, so dass Vulkane wie der Mount Kenia heranwachsen. In zehn Millionen Jahren, so vermuten viele Wissenschaftler, zerbricht Afrika entlang dieses Grabens, und ein neues Ozeanbecken entsteht.

Der Grabenbruch entlang dem Transantarktischen Gebirge, Westantarktisches Rift genannt, ist 800 bis 1000 Kilometer breit und mehr als 2500 Kilometer lang. Auch er wird gesäumt von aktiven Vulkanen. Der Bekannteste ist der knapp 3800 Meter hohe, vergletscherte Mount Erebus mit einem brodelnden Lavasee im Krater. Diese Bruchzone weitet sich jedoch nur um zwei Millimeter pro Jahr, oder umgerechnet um einen Meter in 500 Jahren. Messungen von amerikanischen Wissenschaftlern unter dem tiefsten Punkt des Westantarktischen Rifts haben ergeben, dass der Wärmefluss in der Erdkruste dort viermal höher liegt als im globalen Durchschnitt. Auch das deutet darauf hin, dass heißes Material aus dem Erdinnern hochdrückt, sodass die Erdkruste darüber allmählich ausdünnt ( Journal of Geophysical Research).

Nur 50 Prozent der Antarktis sind bisher für wissenschaftliche Zwecke überflogen worden

"Was uns am Westantarktischen Rift erstaunt", sagt Andreas Läufer, "das ist sein besonders ausgeprägter asymmetrischer Bau." Am Grabenrand entlang dem Transantarktischen Gebirge beträgt der Höhenversatz - gemessen von den höchsten Gipfeln bis zum tiefsten Punkt des Riftsystems - weit über 14 Kilometer. "Das ist einer der höchsten Versätze, die man aus solchen Riftsystemen auf der Erde kennt." Der Grabenrand gegenüber - so zeigen es die Diagramme der geophysikalischen Messungen durch die Eisdecke hindurch - ist einige Tausend Meter weniger hoch und weniger steil, und zeichnet sich daher unter dem Eispanzer kaum ab.

Warum das so ist, wollen die Geologen der BGR künftig herausfinden - und vieles mehr. "Denn nur 50 Prozent der Antarktis sind bisher für wissenschaftliche Zwecke überflogen und aus der Luft geophysikalisch untersucht worden", so der Wissenschaftler. "Von den restlichen 50 Prozent sind die subglaziale Topografie und Geologie noch gar nicht oder nur sehr unzureichend bekannt."

© SZ vom 11.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: