Geologie:Italien zerreißt

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Unter Spannung stehende Erdplatten bringen Italien von allen Seiten unter Druck. In den Risikozonen ist niemand sicher. Doch auch Deutschland kann sich nicht in Sicherheit wiegen.

Axel Bojanowski

Urlauber schätzen Italiens paradiesische Umwelt. Doch der Friede trügt, unter dem Land wirken höllische Kräfte. Riesige Seen aus 1000 Grad heißem Magma brodeln im Untergrund, sie speisen Vulkane wie den Vesuv und den Ätna. Zudem machen tektonische Vorgänge das Land unsicher: Italien liegt in der Knautschzone einer geologischen Massenkarambolage, von allen Seiten schieben sich kilometerdicke Gesteinspakete gegeneinander.

Mehr als 170 Menschen starben bei dem Erdbeben in den Abruzzen. (Foto: Foto: dpa)

Montagnacht hielt der Boden der Stadt L'Aquila in den Abruzzen der Spannung nicht mehr stand und brach. Zehn Kilometer unter der Stadt barsten auf einmal Millionen Tonnen Gestein. Der Ruck setzte die Energie von einer Millionen Tonnen TNT-Sprengstoff frei, was der Wucht einer großen Atombombe entspricht. Die Erschütterungen waren bis ins 90 Kilometer entfernte Rom zu spüren. In der Nähe des Epizentrums krachten zahlreiche Gebäude zusammen, die Trümmer begruben Hunderte Menschen; Tausende verloren ihre Wohnung.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Unglück passieren würde. Der Untergrund Italiens ist vielerorts zum Zerreißen gespannt. Das Land leuchtet auf Erdbebengefahren-Karten rot, es wird alle paar Jahre von schweren Beben erschüttert. Ursache für die Spannungen ist ein interkontinentaler Zusammenstoß - Erdplatten nehmen Italien in die Zange wie eine Schraubzwinge.

Von Süden her schiebt sich der afrikanische Kontinent mit einem Zentimeter pro Jahr nach Norden. Er drückt den Boden des Mittelmeers unter Süditalien. Die abtauchende Erdplatte wird in der Tiefe ausgequetscht. Aufquellendes Wasser wirkt auf darüberliegendes Gestein wie Weichspüler: Der Untergrund schmilzt, Magma steigt auf wie in einer Lavalampe. Wenige Kilometer unter der Erde bildet es ausgedehnte Seen. In den Vulkanen Süditaliens gelangt die Lava schließlich an die Oberfläche.

Der Druck der Afrikanischen Platte hat Italien wie einen Sporn in den Europäischen Kontinent hineingepresst. In der Knautschzone türmen sich die Alpen, sie heben sich einen Millimeter pro Jahr. Auch von Osten schiebt sich eine Erdplatte gegen Italien. Der Druck der Adriatischen Platte hat den Apennin aufgefaltet, das Gebirge durchzieht das stiefelförmige Land der Länge nach. Im Westen drückt Europa: Korsika, das auf der Europäischen Platte liegt, bewegt sich mit drei Millimeter pro Jahr auf Italien zu.

Der Druck von allen Seiten hat Italiens Boden zersplittern lassen wie eine Glasscheibe. Gesteinsnähte spalten die gesamte Erdkruste bis hinunter an den Erdmantel. Entlang der Fugen verschieben sich die Blöcke. Dabei staut sich Spannung, die sich regelmäßig bei Erdbeben entlädt. Im Süden lassen außerdem Vulkane das Land erzittern. Die Stadt Pozzuoli nahe Neapel musste sogar schon mal evakuiert werden, weil das Rumoren der Phlegräischen Felder, eines riesigen unterirdischen Vulkans nahe dem Vesuv, so intensiv wurde, dass Fenster zu Bruch gegangen waren.

Doch die meisten Risikozonen des Landes kennen Forscher nur grob; sie tun sich schwer, die Bodenbewegungen im Einzelnen zu entschlüsseln. Geologen haben im ganzen Land GPS-Detektoren aufgestellt. Signale der GPS-Navigationssatelliten zeigen, dass alle Landesteile in unterschiedliche Richtungen driften. Teile des Nordens ruckeln nach Südwesten, der Süden schiebt sich Richtung Balkan. Sizilien treibt aufs Festland zu. Rom driftet nach Norden, das benachbarte L'Aquila hingegen, die Region des Erdbebens vom Sonntag, nach Osten.

Italien zerreißt. In ferner Zukunft werden Teile des Landes mit dem Balkan verbunden sein, andere mit den Alpen, und manche Blöcke werden als Inseln aus dem Meer ragen.

Besonders erdbebengefährdet ist Mittelitalien entlang des Apennins und der Süden des Landes. 1688 starben bei einem Beben in Kampanien 10.000 Menschen, 1703 gab es ebenso viele Opfer in Umbrien, 1783 starben 29.000 Personen in Kalabrien, 1908 kamen mehr als 60.000 bei Erdbeben und den folgenden Tsunamis in Süditalien um, und 1915 ereignete sich ein Starkbeben just in der jetzt aktuellen Katastrophenregion: 30.000 Menschen starben damals.

Die Bewohner Italiens haben gelernt, mit der Erdbebengefahr zu leben. Schon vor Jahrhunderten wurden Bauten gegen Einsturz abgesichert: Wände sind unten dicker als oben, so dass sie größere Kräfte aufnehmen können. Moderne Gebäude können selbst gegen starke Erschütterungen gesichert werden. Hochhäuser in Japan und den USA etwa widerstehen schweren Beben, mit denen dort jederzeit zu rechnen ist. Um Geld zu sparen, verzichten jedoch manche Bauherren auf eine erdbebensichere Architektur. Diese Fahrlässigkeit wurde offenbar am Montag vielen Menschen in den Abruzzen zum Verhängnis.

Warnung vor Beben in Deutschland

Auch andernorts in Europa muss jederzeit mit katastrophalen Beben gerechnet werden. Besonders gefährdet sind Griechenland und die Türkei. Doch auch Süddeutschland muss auf starke Erschütterungen eingestellt sein. Entlang des Rheingrabens und in der Schwäbischen Alb bebt es zwar bei weitem nicht so häufig wie in Italien. Doch alle paar Jahrzehnte könnte es ein Erdbeben von der Stärke des Bebens von diesem Sonntag geben.

Forscher der Universität Karlsruhe und des Geoforschungszentrums Potsdam (GFZ) haben berechnet, dass der nächste Schlag große Schäden verursachen könnte. Wie groß der Schaden ist - das hängt davon ab, wo sich das Erdbeben ereignet.

In Tübingen etwa ließe ein Beben der Stärke sechs den Wissenschaftlern zufolge bei jedem fünften Gebäude Dächer und Zwischenwände einstürzten, viele Gemäuer würden von großen Rissen durchzogen; nur jedes 20. Gebäude bliebe unbeschädigt. Balingen und Albstadt träfe es ähnlich hart. Auch in Reutlingen, Düren, Kerpen und Lörrach wären schwere Schäden zu beklagen. In Köln wären die Schäden mit insgesamt 790 Millionen Euro am größten, kalkulieren die Experten.

Deutschland sei ungenügend auf Erdbeben vorbereitet, so die Experten. Zwar gelten für Industrieanlagen, Atomkraftwerke, Hochhäuser und Talsperren sehr strenge Vorschriften. Doch die Forscher mahnen: Ältere Bauten, viele Kindergärten, Schulen, Brücken und Krankenhäuser müssten renoviert werden.

© SZ vom 7.4.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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