Genetik:Sonderbare Kringel

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Forscher entdecken immer mehr neue Varianten von ringförmigem Erbgut im Gewebe. Was hat es mit den ungewöhnlichen Schnipseln auf sich? Erste Studien sollen jetzt Einblicke in mögliche Funktionen der Moleküle geben - zum Beispiel im Gehirn.

Von Kathrin Zinkant

Auf den ersten Blick sehen sie aus wie diese Knicklicht-Armbänder: Bunt leuchtende Ringe in der Dunkelheit, ein Eyecatcher, der jeden Kindergeburtstag aufpeppen würde. Mit Spielzeug haben die Gebilde aber wenig zu tun. Auf der Website eines Forschungsverbundes sollen sie ringförmige Moleküle illustrieren - biochemische Sonderlinge, die in Zellen schwimmen, deren Funktion aber bislang unbekannt war. Das Einzige, was feststand: Sie bestehen aus RNA, einer Verbindung, die chemisch eng verwandt ist mit dem Erbmaterial DNA, und es gibt Tausende von ihnen, auch im menschlichen Körper.

Doch allmählich kommt die Forschung den mysteriösen Ringen auf die Schliche. So haben Wissenschaftler des Max-Delbrück-Centrums (MDC) in Berlin vor wenigen Tagen erstmals belegen können, dass eines dieser sonderbaren Gebilde für reibungslose Abläufe im Gehirn benötigt wird. Wie die Forscher im Magazin Science berichten, zeigen Mäuse deutliche Verhaltensstörungen, wenn ein ringförmiges RNA-Molekül mit dem Namen Cdr1as gezielt aus den Nervenzellen im Gehirn entfernt wird. Außerdem konnte Nikolaus Rajewskys Team zeigen, dass die Ringe in menschlichen Hirnzellen die gleichen molekularen Effekte anstoßen wie bei Mäusen.

Wie wichtig sind die Kringel für ein angemessenes Verhalten?

"Es ist wichtig, dass wir zirkulären RNAs nun auch biologische Funktionen zuordnen, um besser erforschen zu können wie sie entstehen, agieren und aus der Zelle entfernt werden", sagt Jörg Vogel von der Universität in Würzburg. Rajewsky und andere Forscher hatten in den vergangenen Jahren Tausende der merkwürdigen Gebilde in Zellen aufgespürt und gemutmaßt, dass die zirkulären RNAs, kurz circRNAs, bei Menschen und Tieren in wichtige Steuerungsprozesse der Zellen eingreifen und damit auch für Krankheiten verantwortlich sein könnten. "Wir hatten ein Paralleluniversum an unbekannten RNAs gefunden", sagt Rajewsky. Die jetzt am MDC untersuchte circRNA ist die bislang am besten untersuchte Struktur dieser Art. So wusste man bereits, dass Cdr1as wichtige Botenmoleküle in der Zelle an sich binden kann wie ein Schwamm. Die Studie hat nun erstmals bestätigt, dass ein Verlust dieser Funktion auch erkennbare Folgen für den Organismus haben kann.

RNA-Experte Vogel rät aber zu einer gewissen Vorsicht. "Die Entdeckung dieser großen Zahl von ringförmigen RNAs hat einen kleinen Hype ausgelöst", sagt Vogel. Tatsächlich aber wisse man in den meisten Fällen noch nicht, ob die Ringe überhaupt von biologischer Bedeutung sind oder Nebenprodukte von allgemeinen Prozessen, wie sie in jeder Zelle vorkommen. Heißt des Rätsels Lösung also doch Zufall?

Sicher ist, dass auch andere Biomoleküle im Körper zur Bildung sonderbarer Ringe neigen: Desoxyribonukleinsäure (DNA), der Stoff, aus dem die Gene sind. Und sogenannte extrachromosomale circuläre DNAs, eccDNAs abgekürzt, haben in den vergangenen Jahren ebenfalls für Aufsehen gesorgt. Diese Ringe sind nicht Teil des eigentlichen Erbguts, aber häufig in Zellen zu finden - insbesondere wenn die Zellen die Kontrolle über ihr Wachstum verlieren. So konnten amerikanische Krebsforscher zeigen, dass DNA-Ringe mit Kopien eines bekannten Krebsgens in aggressiven Hirntumoren die Aktivität dieses Krebsgens massiv verstärkt hatten. Inzwischen haben Forscher gezeigt, dass in etwa der Hälfte aller Tumore auffallend viele und große eccDNAs zu finden sind.

Ob es zwischen den Ringen aus DNA und RNA einen Zusammenhang gibt, ob sie im Laufe der Evolution durch ähnliche oder sogar gekoppelte Prozesse entstanden oder womöglich Relikte von Bakterien und Viren sind, die zahlreiche Spuren im Erbgut vieler Tiere hinterlassen haben - all das ist derzeit noch ungeklärt. "Es ist auf jeden Fall eine interessante Frage, ob ringförmige DNAs in tierischen Zellen über Prozesse entstehen, die analog zu denen von zirkulären RNAs sind", sagt Vogel. Zunächst sei es aber wichtig, von weiteren Vertretern der Ring-Fraktion im Erbgut zu ermitteln, ob sie denn überhaupt eine Funktion haben.

Für Vogel spielt im Fall der RNA deshalb ein ganz anderer Aspekt der kreisförmigen Moleküle eine Rolle. "Je langlebiger so eine RNA im Körper ist, desto interessanter wird sie auch für die Biotechnologie." Das liegt auch daran, dass RNAs zwar zumeist in die Regulation des Erbguts eingreifen, aber das Erbgut nicht dauerhaft verändern. Die Biomedizin versucht daher intensiv, sie für die Therapie schwerer Krankheiten zu nutzen. Das Problem dabei aber ist, dass RNA in der Zelle sehr schnell abgebaut wird. Lassen sich stabile RNAs wie die ringförmigen Versionen gezielt herstellen und in die Zellen einbringen, könnte man damit vielleicht Erbgutabschnitte stilllegen, die sonst zum Ausbruch von Krankheiten führen können.

© SZ vom 21.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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