Frage der Woche:Machen Impfungen krank?

Unter jungen Eltern kursiert manche Horrorgeschichte über die Nebenwirkungen von Impfungen beim Nachwuchs. Sind die Sorgen berechtigt?

Markus C. Schulte von Drach

Junge Eltern kennen das: Im Kindergarten, bei Eltern-Kind-Gruppen, überall, wo sich Mütter und Väter treffen und austauschen, stößt man auf die Geschichten von den furchtbaren Folgen, die die Impfungen beim Nachwuchs auslösen können.

Frage der Woche: Impfungen - Fluch oder Segen?

Impfungen - Fluch oder Segen?

(Foto: Foto: Reuters)

So schrecklich sind manche Berichte von Nebenwirkungen, dass viele Eltern sich gegen die Impfungen entscheiden - zumal viele der Krankheiten, gegen die geimpft wird, ja nur noch selten auftreten oder als "natürliche Kinderkrankheiten" verharmlost werden, die die Kleinen ruhig durchstehen sollen.

Hin und wieder stößt man sogar auf richtige Horrorgeschichten wie die von dem Kind mit der Wunde, die auch nach einem Jahr noch nicht verheilt ist. Häufiger werden die Inhaltsstoffe der Impfungen mit Epilepsie, Hirnschäden, Lähmungen, Autismus, Diabetes mellitus Typ 1 und Multipler Sklerose in Verbindung gebracht.

Tatsächlich besteht bei Impfungen das Risiko von Nebenwirkungen. Und es gibt Fälle von gravierenden Impfschäden, die durch medizinische Gutachten bestätigt und von Gerichten anerkannt wurden.

Auch lässt sich nicht leugnen, dass Pharmafirmen ein Interesse daran haben, ihre Impfstoffe auf den Markt zu bringen, deren Entwicklung schließlich eine Menge Geld gekostet haben. Und dass die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts, die in Deutschland Impf-Empfehlungen ausspricht, Geld von Medikamentenherstellern annimmt, sorgt zu Recht für erhebliche Irritationen.

Vernünftige Diskussion

Dass zum Beispiel eine Diskussion entbrannt ist zum Umgang mit dem neuen, sehr schnell zugelassenen Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs, Gardasil, ist vernünftig.

Die Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle von Nebenwirkungen ist zwar relativ niedrig. Doch nachdem zwei junge Mädchen einen Tag beziehungsweise drei Wochen nach der Impfung ohne erkennbare Ursache verstorben waren, vermuten manche sogar ein Todesrisiko. Und auch die Wirksamkeit des Impfstoffes respektive der Sinn des Impfens selbst werden hier von manchen Fachleuten in Frage gestellt.

Doch die Gefahr, dass der Nachwuchs aufgrund von Impfungen schwerwiegende bleibende Schäden davontragen kann, muss immer ins Verhältnis gesetzt werden zum Risiko, das von den Infektionskrankheiten ausgeht, gegen die geimpft wird.

Und bei einigen Behauptungen lohnt es sich auch, sich die Entstehungsgeschichte der kursierenden Behauptungen näher anzusehen.

Drittmittel von einer Anwaltskanzlei

Ein Beispiel ist das Gerücht, es sei medizinisch erwiesen, dass die Masern-Mumps-Röteln-Impfung (MMR) Autismus verursachen kann. Tatsächlich hatte das renommierte britische Fachmagazin The Lancet 1998 eine Studie des Arztes Andrew Wakefield vom Royal Free Hospital in London und einer Reihe weiterer Mediziner veröffentlicht, die Hinweise auf einen solchen Zusammenhang zu geben schien.

Die Fachleute hatten zwölf Kinder mit Störungen im Magen-Darm-System untersucht. Neun der kleinen Patienten litten außerdem unter Autismus. Und für acht dieser Kinder hatten die Eltern angegeben, Symptome dieser Störung seien einige Tage nach der MMR-Impfung erstmals aufgetreten.

Eine Verbindung zwischen Impfung und Autismus wurde in der Studie aber nicht nachgewiesen. In ihrem Artikel erklärten die Mediziner vielmehr, dass die verschiedenen Symptome auch zufällig gemeinsam aufgetreten sein könnten. Trotzdem äußerte Wakefield kurz darauf den Verdacht, die Dreifachimpfung könnte die Ursache sein. Er empfahl, vorerst nur noch die erheblich teureren Einzelimpfstoffe zu verwenden. Die Diskussion in Großbritannien führte zu einem erheblichen Rückgang der MMR-Impfungen.

Im Jahre 2004 berichtete dann die britische Sunday Times, dass Wakefield von einer Anwaltskanzlei, die Impfstoffhersteller verklagen wollte, 55.000 britische Pfund als Drittmittel erhalten hatte. Und einige der Eltern der Studienteilnehmer gehörten sogar zu den Klägern.

Der Lancet zog die Studie aufgrund dieses Interessenkonfliktes zurück. Und zehn der 13 Autoren widersprachen noch einmal formal der Behauptung, ihre Untersuchung habe einen kausalen Zusammenhang zwischen Autismus und MMR hergestellt. Weitere Untersuchungen konnten eine solche Verbindung auch nicht bestätigen.

Doch bis heute macht genau diese Behauptung vielen Eltern Angst. Dabei hatte selbst Wakefield nicht von den Impfungen selbst abgeraten, sondern nur von der Verwendung des MMR-Impfstoffes.

Risikofaktor Quecksilber?

Ein anderer Inhaltsstoff, den Impfskeptiker oder -gegner für Autismus und andere Leiden verantwortlich machen, ist Quecksilber. Äthylquecksilber ist in Thimerosal beziehungsweise Thiomersal enthalten, einem in Impfstoffen verwendeten Konservierungsstoff. Und der Gedanke, Säuglingen oder Kleinkindern Quecksilber zu spritzen, ist natürlich schockierend.

Allerdings wird es in einer Form verwendet, die schnell abgebaut wird und nicht vergleichbar ist mit dem Schwermetall, das wir zum Beispiel über Fischgerichte aufnehmen. Außerdem konnte ein Zusammenhang zwischen Thiomersal und Autismus oder anderen neuropsychologischen Defekten bislang nicht gezeigt werden.

Auch die in manchen Ländern beobachtete Zunahme der Fälle von Autismus passt zeitlich nicht zu der Verwendung des Konservierungsstoffes. Und in Deutschland findet die Grundimmunisierung von Kindern schon seit Jahren standardmäßig mit thiomersalfreien Mitteln statt. Allerdings nicht weil man zu der Überzeugung gekommen ist, Thiomersal sei gefährlich, sondern aus Sorge, dass verunsicherte Eltern sonst auf die Impfung verzichten.

Auch für die anderen, häufig angesprochenen Krankheiten konnte bisher kein Zusammenhang mit Impfstoffen belegt werden.

Das bedeutet wie gesagt natürlich nicht, dass Nebenwirkungen ausgeschlossen sind. Kein seriöser Arzt würde das behaupten. Und bei einem Verdacht auf einen Impfschaden sollte man nicht zögern, sich bei den zuständigen Stellen zu melden.

Unterschätzte Masern

Doch im Vergleich zu den möglichen Folgen der Kinderkrankheiten selbst ist das Risiko statistisch gesehen erheblich geringer. Das zeigt zum Beispiel gerade der Fall der häufig unterschätzten Masern.

Bei einem Kontakt mit dem Virus erkranken ungeimpfte Kinder fast immer. Ihr Immunsystem wird für einige Wochen geschwächt, eines von 20 Kindern entwickelt eine Lungenentzündung. Unter ein- bis zweitausend Kindern kommt es zu einer Gehirnhautentzündung. Und diese führt in einem von vier bis fünf Fällen zum Tod. Wie das Robert-Koch-Institut erklärt, liegt die Häufigkeit solcher Hirnhautentzündungen bei geimpften Personen dagegen bei eins zu einer Million.

In den USA übrigens treten Masern dank der Massenimpfungen nur noch bei Menschen auf, die das Virus aus dem Ausland - zum Beispiel aus Deutschland - eingeschleppt haben.

Vor diesem Hintergrund muss man auch die Empfehlungen und Argumente von Impfskeptikern und -gegnern betrachten. Viele ihrer Aussagen sind einfach haltlos.

Machen Impfungen krank?

So wird häufig betont, Kinder könnten durch Krankheiten gewisse Reifungsprozesse durchmachen oder sogar einen Entwicklungsschub erleben. Deshalb sollte man ihnen die "Kinderkrankheiten" nicht ersparen.

Doch das ist eine äußerst bedenkliche Theorie. Es gibt keine Belege für solche Reifungseffekte durch Krankheiten bei Kindern. Der Eindruck eines Entwicklungsschubs kann übrigens leicht entstehen, wenn ein erkranktes, energieloses Kleinkind nach einigen Wochen wieder "auf die Beine" kommt. Und das Immunsystem selbst "reift" schließlich auch, wenn es mit einem Immunstoff konfrontiert wird, anstatt mit einem gefährlichen Erreger.

Säuglinge und Kleinkinder leiden außerdem häufig genug an Grippe, Ohrentzündungen und anderen Infektionen, die man nicht vermeiden kann. Warum sollte man ihre Körper zusätzlich potentiell tödlichen Krankheitserregern aussetzen?

Auch kann man nicht davon ausgehen, dass gesund ernährte Kinder in natürlicher Umgebung vor den Infektionen gefeit sind oder dass naturheilkundliche oder gar homöopathische Behandlungen ausreichen, um den Nachwuchs zu schützen und zu behandeln. Das belegen die Masern-Epidemien der vergangenen Jahre in Deutschland.

Naturheilmittel oder homöopathische Mittel sollten nicht überschätzt werden. "Natur" bedeutet nicht immer sanfter oder besser als Schulmedizin. Auch die Bakterien, Viren und andere Krankheitserreger sind schließlich "natürlich". Und das homöopathische Mittel eine über den Placeboeffekt hinausgehende Wirkung haben, konnte bislang noch nicht bewiesen werden. So hilfreich das Prinzip Hoffnung sonst sein mag - im Falle von Infektionskrankheiten bei Kindern sollte man sich nicht darauf verlassen.

Dem Argument vieler Impfgegner, die langfristigen Risiken der Impfungen seien meist nicht bekannt, können Impfbefürworter entgegenhalten, dass dafür die Risiken der Krankheiten selbst bekannt sind. Und die Behauptung, die Zahl der Allergien hätte dort zugenommen, wo geimpft wird, lässt sich statistisch nicht belegen.

Unter dem Strich lässt sich sagen, dass die moderne Impfstrategie erheblich dazu beigetragen hat, dass unsere Kinder gesünder aufwachsen und wir länger leben. Die Pocken sind ausgerottet, die Kinderlähmung wurde zurückgedrängt, das Gleiche gilt für Diphtherie, Tetanus und viele andere Erreger. Selbst die Masern treten in vielen Ländern nicht mehr auf - außer wenn sie von Reisenden eingeschleppt werden.

Wir können uns die Sorgen leisten

Nur aufgrund dieses Erfolges können wir es uns überhaupt leisten, uns über die möglichen Nebenwirkungen der Impfungen Sorgen zu machen. Wären Masern noch an der Tagesordnung, würden jährlich Tausende Kinder in Deutschland an Infektionskrankheiten sterben, so würden Impfungen vermutlich anders betrachtet.

Dann würden vielleicht nicht nur drei Viertel aller Kinder und Jugendlichen die notwendige Zweitimpfung gegen Masern erhalten. Und dann hätte sich vielleicht auch jener Säugling während der Masern-Epidemie in Nordrhein-Westfalen nicht infiziert, den die Krankheit das Leben kostete. Zu klein, um selbst schon geimpft zu werden, steckte sich das Baby vermutlich in der Familie an. Hier hätte ein ausreichender Impfschutz im Umfeld ein völlig schutzloses Leben gerettet.

Etwas anders liegt der Fall dagegen bei der Überlegung, ob man sich und seine Kinder gegen FSME impfen lassen sollte. Es handelt sich nicht um eine von Menschen übertragene Krankheit. Sie wird von Viren ausgelöst, die von Zecken übertragen werden.

Der erste Impfstoff, den verantwortungsbewusste Ärzte sowieso nur jenen empfohlen hatten, die sich häufig in Risikogebieten im Freien aufhalten, wurde aufgrund eines relativ hohen Fieberrisikos vom Markt genommen, ein weiterer nur für Kinder ab zwölf zugelassen. Inzwischen gibt es einen Impfstoff, den auch Kinder ab 36 Monate gut vertragen sollen.

Ob sie ihre Kinder impfen lassen, sollten Eltern am besten mit dem Kinderarzt besprechen. Wer in einer Großstadt wohnt und nur zum Urlaub ein Gebiet mit niedrigem FSME-Risiko reist, wird hier sicher anders entscheiden als Menschen, die auf dem Land in einem Hochrisikogebiet leben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: