Fliegerei:Der Rennhubschrauber

Lesezeit: 3 min

Eine bis in den Millimeterbereich genaue Computersimulation zeigt die Luftströme und Widerstände des künftigen "Racer". (Foto: DLR)

Airbus Helicopters entwirft ein radikal neues Fluggerät. Dank einer kniffeligen Kombination aus Luftschraube, Doppeldeckerflügeln und Propellern soll der "Racer" deutlich schneller fliegen als bisherige Hubschrauber.

Von Alexander Stirn

Irgendwann ist Schluss. Irgendwann geht es nicht mehr schneller. Irgendwann stößt jeder Helikopter an seine ganz eigene Schallmauer: Die Spitzen der Rotorblätter, die sich unweigerlich bei ihren Umdrehungen auch gegen den Fahrtwind stemmen, peitschen dann mit annähernd Schallgeschwindigkeit durch die Luft. Schockwellen sind die Folge, Turbulenzen und infernalischer Lärm. Die Reisegeschwindigkeit des Helikopters erreicht ihr Limit.

Typischerweise liegt die Höchstgeschwindigkeit zwischen 250 und 300 Kilometer pro Stunde. Die Forschungsabteilung des europäischen Herstellers Airbus Helicopters will das ändern - mit einem komplett neuen Design: Auf der diesjährigen Luftfahrtmesse im Pariser Vorort Le Bourget haben die Ingenieure Racer vorgestellt, eine Mischung aus Helikopter, Doppeldecker und Propellerflugzeug. Die ungewöhnliche Kombination, die bislang nur auf dem Papier existiert, soll Geschwindigkeiten von mehr als 400 Kilometer pro Stunde möglich machen und trotzdem leise, komfortabel, sparsam bleiben. Die Aerodynamik ist allerdings verzwickt.

"Mit dem Racer werden wir 50 Prozent schneller unterwegs sein als mit einem klassischen Hubschrauber", verspricht Tomasz Krysinski, verantwortlich für Forschung und Innovation bei Airbus Helicopters. Den Weg ebnen sollen das zwei kleine, nach hinten gerichtete Rotoren, die den Helikopter vor sich hertreiben. Ihr zusätzlicher Schub erlaubt es, den Hauptrotor ab einer Geschwindigkeit von etwa 150 Knoten (280 Kilometer pro Stunde) langsamer laufen zu lassen. Das verhindert die störenden Effekte an der Grenze zum Überschall, die normalerweise bei solchen Geschwindigkeiten entlang der Rotorblätter entstehen. "Würden wir den Hauptrotor nicht drosseln, dann könnten wir nicht so schnell fliegen - oder wir würden enorme Energie benötigen, die Effizienz wäre entsprechend schlecht", sagt Krysinski.

Doppeldeckerflügel sollen beim Auftrieb helfen. Die gab es zuletzt vor dem Zweiten Weltkrieg

In einem konventionellen Helikopter leitet der Pilot den Vorwärtsflug über den Hauptrotor ein, indem die einzelnen Blätter periodisch gedreht werden, sodass sie beim vorderen Teil der Umdrehung anders stehen, als wenn sie das Heck passieren. Dadurch kippt der Helikopter leicht nach vorn und wird vorwärts gezogen.

Allerdings dient der Hauptrotor in der konventionellen Variante natürlich nicht nur zum Beschleunigen, er muss den Hubschrauber auch in der Luft halten. Dreht er langsamer, dann verringert sich der Auftrieb. Kompensieren soll das beim Racer eine Doppeldeckerkonstruktion: Jeweils zwei Tragflächen erstrecken sich auf beiden Seiten des Rumpfes nach außen und laufen an ihrer Spitze, wo auch die Propeller sitzen, zusammen. Diese Flügelvariante, Boxwing genannt, erzeugt bei hohen Geschwindigkeiten zusätzlichen Auftrieb. "Wir können dadurch exzellente Eigenschaften im Schwebeflug mit den Vorteilen eines Flugzeugs bei hohem Tempo vereinen", sagt Krysinski. "Genau das macht den Reiz von Racer aus."

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Es macht das Design allerdings auch äußerst kompliziert. "Die letzten großen Doppeldeckerflügel sind im Zweiten Weltkrieg entwickelt worden", sagt Thorsten Schwarz, Aerodynamiker beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig. "Um solch ein Design zu verstehen, mussten wir uns erst einmal einarbeiten und schauen, wo Probleme und Herausforderungen liegen."

Gemeinsam mit französischen Kollegen waren die DLR-Forscher damit beauftragt, die Aerodynamik von Racer zu optimieren. Sie haben überprüft, wo Verwirbelungen entstehen, die den Luftwiderstand und somit den Treibstoffverbrauch erhöhen. Sie haben Form und Profil der Tragflächen Schritt für Schritt leistungsfähiger gemacht. Und sie mussten erkennen, dass der Racer ein aerodynamisch komplexes Biest ist: Änderungen an Rumpf oder Propeller wirken sich auf die Flügel aus. Modifikationen an der oberen Tragfläche beeinflussen die untere - und umgekehrt. Zudem bläst der Abwind des Hauptrotors je nach Flugtempo unterschiedlich stark auf die Tragflächen und stört dabei deren Aerodynamik. "Die einzelnen Komponenten sind derart eng gekoppelt, dass man immer alles gleichzeitig betrachten muss", sagt Schwarz.

Bleiben die Vibrationen im Rahmen? Das wird sich letztlich beim Erstflug zeigen

Um das Problem in den Griff zu bekommen, haben die DLR-Ingenieure die Umgebung der Tragflächen am Computer in Dutzende Millionen winzige Würfel unterteilt. Für jeden Quader wurden anschließend die Strömungsverhältnisse in Abhängigkeit von den jeweiligen Nachbarn berechnet. "Numerische Strömungsdynamik" nennen die Experten diese Methode. Am Ende der Simulation stehen farbenfrohe Grafiken, die Wirbel und Druckverhältnisse zeigen. Damit ist es allerdings nicht getan. "Bunte Bilder machen kann jeder", sagt Schwarz. "Um daraus Probleme abzuleiten und zu sehen, was verbessert werden muss, braucht es die Kompetenz der Ingenieure."

Racer ist nicht der erste Versuch, in neue Geschwindigkeitsbereiche vorzudringen. Bereits 2012 ließ Eurocopter, die Vorgängerfirma von Airbus Helicopters, auf der Berliner Luftfahrtmesse ILA den X3 abheben - einen Helikopter mit Stummelflügeln und zwei Propellern. Ein Jahr später stellte der Prototyp mit 472 Kilometer pro Stunde einen neuen Temporekord im Horizontalflug auf. Konkurrent Sikorsky hat mit dem S-97 Raider sogar bereits einen ultraschnellen Kampfhubschrauber im Angebot: Ohne Flügel, nur beschleunigt von einem zusätzlichen Propeller im Heck, erreicht der Raider bis zu 407 Kilometer pro Stunde.

"Mit dem X3, bei dem wir auf bewährte Komponenten anderer Helikopter zurückgriffen, wollten wir die generelle Machbarkeit beweisen", sagt Krysinski. "Fliegt solch ein Design? Ist die Leistung akzeptabel? Bleiben die Vibrationen im Rahmen?" Racer sei hingegen ein komplett neuer Demonstrator, bei dessen Design von Anfang an der Einsatzzweck im Vordergrund gestanden habe: schnelle, leise Verbindungen zwischen zwei Städten, zum Beispiel. Oder Rettungsmissionen zu weit entfernten Ölplattformen, von denen mehrere Menschen zugleich in Sicherheit gebracht werden müssen.

Ob das klappt, ob das Konzept und die aerodynamischen Berechnungen praxistauglich sind, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Für 2019 plant Airbus Helicopters den Beginn der Endmontage. Im Jahr darauf soll Racer dann erstmals durch die Luft pflügen - mit bisher unerreichter Geschwindigkeit.

© SZ vom 27.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Technik
:In nur drei Stunden von Frankfurt nach New York

Knall, bumm, weg: 13 Jahre nach dem letzten Flug der "Concorde" entwickeln Ingenieure wieder Überschall-Passagierflugzeuge. Die Maschinen sind schnell, lustvoll und natürlich vollkommen unvernünftig.

Von Alexander Stirn
Jetzt entdecken

Gutscheine: