Erbgut:Ahnensuche im Schmelztiegel

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Firmen analysieren auf Wunsch menschliches Erbgut und versprechen Hinweise auf längst verschollene Vorfahren.

Birgit Herden

Sein ganzes Leben hatte Henry Louis Gates in dem sicheren Bewusstsein verbracht, ein Schwarzer zu sein, dessen Vorfahren als Sklaven aus Afrika nach Amerika verschleppt wurden. Nur eine alte Familienlegende ließ dem prominenten Literaturkritiker, der die Abteilung für Afroamerikanische Studien an der Harvard-Universität leitet, keine Ruhe.

DNA-Analyse (Foto: Foto: dpa)

Derzufolge zog seine Ur-Ur-Großmutter Jane Gates nach dem Ende der Sklaverei in den 1870ern in einem komfortablen Haus in Maryland ihre fünf Kinder groß. Und der Überlieferung nach waren diese Kinder von Jane Gates' ehemaligem Besitzer Samuel Brady gezeugt worden.

Trotz intensiver Nachforschungen konnte Henry Louis Gates diese Geschichte mit keiner der spärlichen Aufzeichnungen aus jener Zeit belegen. Licht ins Dunkel brachte erst ein genetischer Test - und erschütterte gleichzeitig Gates' Selbstbild: In seinen Genen fand sich keinerlei Gemeinsamkeit mit den weißen Nachfahren von Samuel Brady. Zugleich aber förderte der Test eine Überraschung zutage: Gates' Vorfahren stammten offenbar aus Westeuropa.

"Das Ergebnis war eindeutig, sowohl die väterliche als auch die mütterliche Linie hatte einen europäischen Ursprung", erinnert sich der Genetiker Peter Forster von der Universität im britischen Cambridge, der die Analyse im Auftrag des US-Fernsehsenders PBS durchgeführt hatte. Gensequenzen von acht Prominenten hatte Forster überprüft; ihre Vorfahren sollten für die Serie "African American Lives" ermittelt werden.

"Ich dachte zunächst, dass sie zu den sieben afrikanischen Sequenzen eine europäische hinzugefügt hatten, um mich auf die Probe zu stellen", erzählt Forster.

Wie Henry Gates wollen viele Afroamerikaner mehr über ihre Herkunft erfahren. Und da die Familiengeschichten bestenfalls bis in die Zeit der Sklaverei zurückreichen, nehmen sie immer häufiger die Dienste von Firmen in Anspruch, die mittels Gentests Hinweise auf Vorfahren geben.

Whoopie Goldberg auf der Suche

Die von PBS ausgestrahlte Serie, in der die Suche prominenter Schwarzer geschildert wurde, hat den Boom noch weiter angefacht. Denn im Fernsehen fand auch die Schauspielerin Whoopie Goldberg Spuren in ihrem Erbgut, die auf eine Herkunft aus dem Volk der Papel in Guinea-Bissau hindeuten; und die schwarze Astronautin Mae Jemison erfuhr zu ihrer Überraschung von 13 Prozent asiatischem Blut in ihren Adern.

Seine Gentest-Firma hat Peter Forster zusammen mit dem deutschen Mathematiker Arne Röhl gegründet. Für 230 Euro können die Kunden bei "Roots for Real" ihre mütterliche oder väterliche Abstammungslinie ergründen oder erfahren, welche der großen ethnischen Gruppen ihre Spuren in ihnen hinterlassen haben.

Die Genetiker nutzen dabei aus, dass sich der Homo sapiens in den letzten 100.000 Jahren vom Süden oder Osten Afrikas aus über den afrikanischen Kontinent und nach und nach über die ganze Welt ausbreitete. Die Reise führte über den Nahen Osten entlang der tropischen Küstenroute nach Papua-Neuguinea und Australien.

Später besiedelten die Vorfahren der heute lebenden Menschen die Kontinente der alten Welt, und vor 25000 Jahren überquerten sie die damalige Landbrücke von Sibirien nach Amerika.

Stumme Unterschiede

Die Wanderung hat ihre Spuren in den Genen hinterlassen. Denn mit jeder neuen Generation schleichen sich beim Kopieren des Erbguts kleine Fehler ein und werden weitergegeben. Hat eine Gruppe von Menschen lange Zeit isoliert gelebt, so findet man heute Gensequenzen, die in dieser Region weitaus häufiger vorkommen als in allen anderen Teilen der Welt.

Auf die äußeren Merkmale wirkt sich der Großteil dieser genetischen Unterschiede allerdings nicht aus, denn gerade bedeutungsvolle Mutationen sind häufig schädlich und sterben daher wieder aus. Insgesamt sind die Menschen genetisch so einheitlich, dass eine Einteilung in Unterarten oder Rassen keine genetische Grundlage hat.

Doch auch aus den stummen, unauffälligen Unterschieden im Erbgut, den Haplotypen, können Genetiker ihre Schlüsse ziehen. Besonders interessant ist dabei jener Teil der DNS, den die beiden Eltern beim Zeugen eines Kindes nicht durchmischen, sondern den ein Elternteil unverändert weitergibt.

Das ist zum einen das Y-Chromosom, das stets vom Vater an den Sohn vererbt wird. Allein die Mutter gibt dagegen die DNS ihrer Mitochondrien weiter, kleiner Zellstrukturen zur Energiegewinnung. So trägt jeder Mensch die Mitochondrien-DNS seiner Urahnin in mütterlicher Erblinie in sich und jeder Mann das Y-Chromosom seines Urahnen in väterlicher Erblinie.

Um nach diesen Ahnen zu forschen, genügen ein paar Mausklicks auf der Webseite von Roots for Real. Dann wischt sich der Kunde mit einem Wattestäbchen durch seinen Mund und verschickt die Probe mit der Post. Im Labor extrahieren Genetiker die DNS aus dem Stäbchen und analysieren sie.

Das Ergebnis erhält der Kunde in Form einer bunten Weltkarte, die zeigt, in welchen Regionen bereits DNS-Sequenzen gefunden wurden, die mit seinen identisch sind.

"Astrologie der Genetik"

Aber wie aussagekräftig sind solche Tests wirklich? "Ich finde das albern", urteilt Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. "Das ist ein bisschen wie die Astrologie der Genetik. Man stellt sich vor, dass man seine Vorfahren findet, aber man findet ja nur einen von Tausenden von Vorfahren."

Tatsächlich sagt die Analyse des Y-Chromosoms nur etwas über die Herkunft der Vorfahren in direkter männlicher Linie aus. Das Y-Chromosom bekam der Vater von seinem Vater und der wieder von seinem Vater. Von den acht Urgroßeltern trug es also nur ein einziger Mann in sich.

Blickt man etwa 300 Jahre oder zwölf Generationen zurück, so gibt es neben dem einen Stammvater des Y-Chromosoms noch 4095 weitere Ahnen. "Man findet nur einen Vorfahren, erfährt aber nichts über alle anderen", sagt auch der Humangenetiker Peter Propping von der Uni Bonn.

Etwas anders verhält es sich, wenn die Genetiker das gesamte Erbgut anschauen. Dann können sie zwar keine einzelnen Verwandten mehr verorten, dafür aber eine Aussage über die ethnische Zugehörigkeit wagen. "Sie müssen dazu aber Haplotypen haben, deren Häufigkeit bei ethnischen Gruppen belegt ist", gibt Propping zu bedenken.

Wenn also ein Kunde das Ergebnis "13 Prozent asiatische Vorfahren" erhält, können seine Gensequenzen wirklich aus Asien stammen. Er kann aber auch zu den seltenen Europäern gehören, deren Haplotypen denen der Asiaten gleichen. "Die Firmen sind da vielleicht voreilig, denn die Aussagekraft der Analyse steht und fällt mit der Größe der verwendeten Datenbank."

Darüber ist sich auch Peter Forster im Klaren. Der angesehene Genetiker benutzt eine Datenbank aus 40.000 Proben, die weltweit gesammelt wurden. Mit jedem Jahr sollen 10.000 weitere hinzukommen, entsprechend bietet Forster seinen Kunden nach einem Jahr eine Aktualisierung ihrer Ergebnisse an.

Wenig Überraschungen für Europäer

Zu den Kunden zählen besonders Menschen aus dem Schmelztiegel USA, die nach ihren Wurzeln suchen. Denn für alteingesessene Europäer bietet die Genanalyse wenig Überraschungen. In Amerika aber gibt es bereits erste Versuche, mit dem Nachweis auf afrikanische oder indianische Vorfahren das Recht auf Stipendien oder andere Privilegien zu erkämpfen.

In einem anderen Fall will John Haedrich, Christ und Leiter eines kalifornischen Pflegeheims, die israelische Staatsbürgerschaft einklagen, weil seine DNS eine für Juden typische Signatur enthält. Schon das Wissen über einen Vorfahren kann demnach ein neues Gefühl der Identität vermitteln, das oft sehr emotional erlebt wird.

Mitunter sind die Erkenntnisse aber auch schmerzhaft, wie im Fall von Henry Louis Gates, der nach dem Gentest seine schwarze Identität in Frage gestellt sah. Anderen schwarzen Amerikanern hat der Gentest empörende Spuren des Missbrauchs ihrer Vorfahren durch die weißen Herren aufgezeigt. Das prominenteste Beispiel lieferte Thomas Jefferson.

Es stinkt, aber niemand weiß, woher der Gestank kommt

Der dritte Präsident der Vereinigten Staaten hatte sich trotz seiner demokratischen Grundsätze immer gegen eine Vermischung der Rassen ausgesprochen. Doch schon zu Lebzeiten war ihm vorgeworfen worden, mit seiner Sklavin Sally Hemings sechs Kinder gezeugt zu haben.

Inzwischen konnte ein vergleichender Gentest der Jefferson- und Hemings-Nachfahren die Verwandtschaft der Familien nachweisen. Die Vaterschaft von Thomas Jefferson ist damit sehr wahrscheinlich. "Die Sklaverei ist das Schreckgespenst der amerikanischen Geschichte", sagt Henry Gates.

"Das ist zu milde ausgedrückt", entgegnet die Astronautin Mae Jemison. "Die Sklaverei ist wie der faule Apfel im Kühlschrank - es stinkt, aber niemand weiß, woher der Gestank kommt."

© SZ vom 5.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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