Energieversorgung:"Es braucht vier neue Saudi-Arabiens"

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Die Internationale Energie-Agentur hat ihren Jahresbericht vorgestellt. Ihr Chefvolkswirt Fatih Birol über Öl-Engpässe, erneuerbare Energien und das Klima.

Michael Bauchmüller

Fatih Birol ist Chefvolkswirt der Internationalen Energie-Agentur in Paris. Er erwartet in den nächsten Jahren ernsthafte Engpässe bei der Ölversorgung. Selbst bei konstanter Nachfrage bräuchte die Welt bis 2030 "vier neue Saudi-Arabiens", um die abnehmende Ölgewinnung zu kompensieren. "Der Rückgang ist dramatisch", warnt Birol.

Fatih Birol: "Wir müssen aufpassen, dass Projekte für erneuerbare Energien jetzt nicht in Schwierigkeiten geraten." (Foto: Foto: AFP)

SZ: Herr Birol, der Ölpreis ist zuletzt stark gefallen. Grund zur Entwarnung?

Fatih Birol: Für die Wirtschaft ist das gut, zumal wir in einer fragilen Situation sind. Aber es gibt zwei Haken. Erstens könnten die Unternehmen jetzt auf die Idee kommen, weniger in die Ölförderung zu investieren. Wenn die Wirtschaft sich dann erholt, könnte die Situation in zwei Jahren noch viel enger werden als zuletzt.

Zweitens müssen wir aufpassen, dass Projekte für erneuerbare Energien jetzt nicht in Schwierigkeiten geraten. Wenn die Preise für Energie fallen, dann werden auch diese Projekte weniger rentabel sein.

SZ: Ein niedriger Ölpreis als Gefahr?

Birol: Es kann eine Gefahr werden, wenn die Preise weiter runtergehen und dort bleiben. Viele neue Ölprojekte, etwa in der Tiefsee, sind sehr aufwendig. Diese werden dann gar nicht erst angegangen.

SZ: Was ist Ihre Prognose für den Ölpreis?

Birol: Die IEA macht keine Ölpreisprognosen, nur "Annahmen", auf denen wir unsere Kalkulationen aufbauen. Wir schätzen aber, dass die Preise in diesem und im nächsten Jahr unter Druck bleiben, hauptsächlich wegen der Wirtschaftsflaute. Ab 2010 können sie dann wieder steigen. Bis 2030 erwarten wir Preise um die 120 Dollar je Fass, gemessen in gegenwärtigen Preisen.

SZ: Wird das Öl dann auch knapp?

Birol: Noch haben wir kein Ressourcenproblem. Wir sehen aber, dass die Gewinnung konventionellen Erdöls weltweit in Schwierigkeiten steckt. Außerhalb der Opec-Staaten wird die konventionelle Ölproduktion in den nächsten Jahren erst stagnieren und dann zurückgehen. Schon von 2010 an wird sie sinken. Es geht also weniger um die Verknappung der Ölvorräte. Wir müssen uns fragen: Produzieren wir noch genug Öl?

SZ: Und?

Birol: Der Rückgang in den konventionellen Feldern ist dramatisch. Wir müssten die Produktion dringend steigern, um das aufzufangen. Ein Beispiel: Selbst wenn die Nachfrage nach Öl bis 2030 auf dem heutigen Stand bliebe, bräuchten wir vier neue Saudi-Arabiens, nur um den Rückgang der Produktion aufzufangen. Das ist eine riesige Herausforderung.

SZ: Bisher sind die Informationen über die Ölförderung aus einigen Staaten nur dürftig. Haben Sie überhaupt genug Daten für solche Aussagen?

Birol: Wir haben uns 800 Ölfelder angeschaut, Feld für Feld. Das sind drei Viertel der globalen Ölreserven. Wir haben damit die umfassendste Analyse, die derzeit öffentlich verfügbar ist. Aber klar, es gibt immer noch Bedarf an Transparenz.

SZ: Es gibt Hinweise, dass viele Öl-Felder schneller erschöpft sein werden als gedacht. Deckt sich das mit ihren Daten?

Birol: In vielen Feldern ist der Rückgang sehr signifikant. Das wird noch zunehmen. Derzeit bekommen wir viel Öl aus Riesenfeldern. Da geht die Produktion normalerweise nur langsam zurück. Aber in Zukunft muss mehr Öl aus kleinen Feldern und aus dem Meer geholt werden. Diese Felder sind schneller ausgeschöpft, die Produktion knickt viel schneller ein. Inzwischen ist klar: Der Rückgang des Angebots ist viel wichtiger als der Anstieg der globalen Nachfrage nach Öl.

SZ: Mit dem Ölpreis steigt auch der Gaspreis, obwohl Gas noch reichlich vorhanden ist. Koppelt sich das Gas ab?

Birol: Wir erwarten keinen Rückgang der Gaspreise, sofern die Ölpreise hoch bleiben. Sie werden weiter den Ölpreisen folgen. Es wird mehr Konzentration bei der Produktion geben, und das Gas wird aus immer größeren Entfernungen kommen. Die Kosten der Produktion werden ansteigen. All das wird Gas weiter verteuern.

SZ: Russland, Iran und Katar denken über eine eigene Gas-Opec nach.

Birol: Ja, aber das wäre ein ziemliches Eigentor. Derzeit spricht vieles für Gas, der Klimawandel, Atomausstiege wie in Deutschland. Wenn die Staaten eine Gas-Opec aufbauen, werden sie diesen Boom abwürgen. Eine Gas-Opec wäre schon keine gute Nachricht für Verbraucher. Aber womöglich noch weniger für die Produzenten, die dann weniger Gas absetzen als geplant.

SZ: Wie sieht die Energiewelt im Jahr 2030 aus?

Birol: Das hängt stark von den Regierungen ab. Von der neuen US-Regierung, von der EU-Kommission, von Japan, China und Indien. Aber ich kann sagen, wie es aussieht, wenn nichts geschieht. Wenn wir uns zurücklehnen und nur zuschauen, wie wir es in den letzten 10, 15 Jahren mehr oder weniger getan haben, dann steuert die Welt in eine extrem schwierige Situation.

Es wird schwieriger, die wachsende Energienachfrage zu befriedigen, und wir werden ernsthafte Probleme mit dem Klimawandel bekommen. Dann werden die Kohlendioxid-Emissionen auf ein Niveau steigen, das die Erde bis 2100 um bis zu sechs Grad Celsius erwärmt. Das ist nicht akzeptabel. Das Schlimme ist: 97 Prozent der Nachfrage-Steigerung werden aus Ländern kommen, die nicht der OECD angehören.

SZ: Wie China, Indien, Nahost.

Birol: Genau. Erinnern Sie sich an Heiligendamm? Da hatten sich im vorigen Jahr die Industriestaaten beim G-8-Gipfel geeinigt, die Emissionen bis 2050 zu halbieren, um die Erderwärmung bei rund zwei Grad zu stabilisieren. Dazu müssen sie die Emissionen bis 2030 auf gewisse Werte senken. Und dieses Niveau entspricht exakt den Emissionen der Nicht-OECD-Länder.

Mit anderen Worten: Selbst wenn die Wirtschaft in den OECD-Ländern noch heute komplett zu Boden ginge, und die Länder überhaupt keine Treibhausgase mehr verursachen würden, würden die anderen Länder alleine noch so viel ausstoßen, dass sie das Klimaziel ganz knapp noch erreichen. Das ist dramatisch.

SZ: Wie lässt sich hier gegensteuern?

Birol: Beim UN-Klimagipfel in Kopenhagen 2009 müssen die großen Schwellenländer an Bord geholt werden. Sonst scheitern wir - egal, was Europa, Japan oder die USA tun. Das können wir uns aber nicht mehr leisten.

© SZ vom 13.11.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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