DNA-Analyse:Die Essenz des Menschseins

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Erste Einblicke ins Erbgut des Neandertalers zeigen, dass der Homo sapiens ein einzigartiges Wesen ist.

Wiebke Rögener

Ob es wohl Liebschaften gab zwischen unseren Vorfahren, die etwa vor 50.000 Jahren aus Afrika nach Europa einwanderten, und den damals längst hier ansässigen Neandertalern? Frauenraub, heimliche Affären, ein multikulturelles Miteinander?

Haben Neandertaler (links eine Figur aus dem Neandertaler-Museum in Mettmann) und die Vorfahren des modernen Menschen gemeinsame Nachkommen gezeugt? Genetiker bezweifeln das. (Foto: Foto: dpa)

Ob wir das eine oder andere Gen auf diesem Wege von den Neandertalern geerbt haben? Endgültig entscheiden kann das auch die bisher umfassendste Analyse des Neandertaler-Erbguts nicht, die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig jetzt gemeinsam mit Kollegen aus den USA und Kroatien vorgelegt haben. Doch die Ergebnisse sprechen eher gegen einen allzu innigen Kontakt der beiden Menschenarten.

Material aus pulverisierten Knochen

Gerade mal 0,04 Prozent vom Erbgut des Neandertalers haben die Forscher jetzt entschlüsselt und mit dem Genom des modernen Menschen sowie des Schimpansen verglichen. Das sind immerhin rund eine Million Buchstaben aus dem genetischen Bauplan unserer nächsten Verwandten, die vor etwa 30 000 Jahren ausgestorben sind - ein Vielfaches dessen, was bisher bekannt war. Extrahiert wurden sie aus einem zehntel Gramm pulverisierter Neandertaler-Knochen.

Für die Leipziger Urmenschen-Genetiker um Svante Pääbo ist das nur der Anfang. "In zwei Jahren wollen wir das ganze Neandertaler-Genom analysiert haben", sagt Johannes Krause, einer der Autoren der jetzt in Nature (Bd. 444, S. 330) und Science (Bd. 314, S. 1113) veröffentlichten Artikel.

"Zum ersten Mal haben wir auch Erbmaterial aus dem Zellkern untersucht." Frühere Analysen des Neandertaler-Erbguts hatten sich auf Gene aus den so genannten Mitochondrien beschränkt. Diese Kraftwerke der Zelle werden ausschließlich von Müttern an ihre Kinder weitergegeben.

Ihr Erbmaterial (DNS) ließ daher nur begrenzte Schlüsse zu. Doch die neuen Analysen bestätigen frühere Berechnungen: Die Abstammungslinien von modernen Menschen und Neandertalern haben sich vor etwa einer halben Million Jahre getrennt. Danach soll es allenfalls spärliche Kontakte gegeben haben.

"Weder in der DNS aus den Mitochondrien noch im Zellkern haben wir Belege für eine Kreuzung von Neandertalern mit den gleichzeitig lebenden Vorfahren heutiger Menschen gefunden", sagt Krause. "Das heißt zwar nicht zwingend, dass es gar keine Vermischung gab, aber sie dürfte selten gewesen sein."

Für gelegentliche Affären zwischen den Arten spricht dagegen eine Entdeckung, die Wissenschaftler der Universität Chicago kürzlich im menschlichen Erbgut machten (PNAS-Online, 7.11.2006). Bruce Lahn und seine Kollegen untersuchten eine Variante eines Gens, das die Gehirnentwicklung beeinflusst.

Etwa 70 Prozent aller heute lebenden Menschen besitzen diese Version. Sie ist zwar einerseits schon rund eine Million Jahre alt, doch für Homo sapiens eine eher neue Errungenschaft: Bei unseren Ahnen trat dieses Gen erstmals vor etwa 37 000 Jahren auf. Lahn schließt daraus, dass unsere Vorfahren es von einer anderen, gleichzeitig lebenden Menschenart übernommen haben müssen - mutmaßlich vom Neandertaler. Die Übereinstimmung könne auch Zufall sein, meint Krause. Völlig ausschließen will er aber nicht, dass hier doch ein Neandertaler seine genetische Spur hinterließ.

Skeptisch sieht er jüngste Berichte eines rumänisch-amerikanischen Forscherteams über eine Mischform aus modernen Menschen und Neandertalern (PNAS-Online, 31.10. 2006). Die Anthropologen um Erik Trinkaus von der Universität Washington untersuchten Knochen, die 1952 in einer Höhle bei Baia de Fier in Rumänien entdeckt worden waren, bisher aber keine größere Beachtung fanden.

Weiter Analyse nötig

Die 35 000 Jahre alten Fossilien besitzen sowohl Eigenschaften heutiger Menschen, wie eine relativ kleine Kinnlade und eine schmale Nase, als auch Gemeinsamkeiten mit den Neandertalern, etwa einen Vorsprung am Hinterkopf. Für Trinkaus ein Beweis, dass unsere Ahnen sich mit Neandertalern mischten. "Mir scheint, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen wurden", meint dagegen Johannes Krause.

"Unsere Vorfahren sahen vor 35 000 Jahren ja nicht genauso aus wie wir. Entscheidend wäre, ob die Knochen Merkmale der damals lebenden afrikanischen Vorfahren des modernen Menschen und der Neandertaler vereinen. Das aber wissen wir nicht."

Für eine zuverlässigere Ahnenforschung muss das Erbgut der ausgestorbenen Verwandten vollständig analysiert werden. Wobei "vollständig" in der Genomforschung ein relativer Begriff ist: "Nach einem ersten Durchgang werden wir gut 60 Prozent der Neandertaler-Gene kennen", erklärt Krause. Auch beim so oft als "endgültig entschlüsselt" gefeierten Erbgut des Menschen gibt es nach wie vor Regionen, die sich einer Sequenzierung hartnäckig widersetzen.

Unterschiede zu Schimpansen bestimmen

Für die Sequenzierung des Neandertaler-Genoms setzen die Forscher auf eine neue, schnellere Analysemethode. Das Verfahren, das bereits die erste Million Buchstaben lieferte, ist Eigentum des US-Unternehmens 454 Lifescience Corporation. Es kann zwar nur kurze Erbgut-Stücken bewältigen, dafür aber lassen sich eine Million solcher Schnipsel gleichzeitig untersuchen.

"Für fossiles Erbgut ist das ideal", sagt Krause, "denn hier haben wir es ohnehin mit zerstückelter DNS zu tun." Der Nachteil: Die vielen kleinen Puzzleteile lassen sich nicht so einfach zusammensetzen. Deshalb dient das weitgehend bekannte Genom des Menschen als Orientierungshilfe: Die Neandertaler-Gen-Schnipsel werden den Abschnitten zugeordnet, denen sie am ehesten ähneln.

Das Ziel dieser Mühen ist ganz sicher nicht, den Neandertaler aus seinem Erbgut wieder auferstehen zu lassen. Die Forscher wollen auch keineswegs dem jüngst angelaufenen Film "Lapislazuli" Konkurrenz machen, der einen im Gletscher eingefrorenen Neandertal-Jungen auferstehen lässt. "Wenn das Erbgut des Neandertalers sequenziert ist, wird uns das weit mehr über den modernen Menschen verraten, als über den Neandertaler selbst", sagt Krause.

Das Erbgut von Mensch und Schimpanse unterscheidet sich in etwa 35 Millionen Erbgutbausteinen. Der Vergleich mit dem Neandertaler soll klären, welche dieser Unterschiede auf Genen beruhen, die seit dem letzten gemeinsamen Vorfahr mutiert sind, und welche Neuerungen allein in der menschlichen Entwicklungslinie sind.

Merkmale, die sich bei beiden Spezies finden, aber nicht beim Schimpansen, gehören zur menschlichen Linie. Und wo der Mensch ein anderes Gen hat, als es Neandertaler und Schimpanse besitzen, ist dieses erst entstanden, seit sich die Wege von Mensch und Neandertaler getrennt haben. "So lassen sich im menschlichen Erbgut die Gene ausfindig machen, die wirklich typisch Mensch sind", sagt Krause. Gene für die Sprachentwicklung etwa oder für kognitive Leistungen. "Das kann uns helfen die Frage zu beantworten: Was macht, genetisch gesehen, den modernen Menschen aus?"

© SZ vom 16.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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