Der Große Aletschgletscher:Die Mär vom ewigen Eis

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Zu Besuch bei einem Schwindsüchtigen: Wo früher immer Winter war, zeigen sich heute grüne Hänge und kahle Halden - der Klimawandel hat im Wallis bereits tiefe Spuren gezogen.

Stefan Klein

Am Aletschgletscher, im November - Steine reden nicht, aber dieser hier, dieser rötliche Felsbrocken, der als kleiner Vorsprung aus dem steilen Abhang herausguckt, erzählt sogar eine ganze Geschichte. Es ist eine Geschichte, die von Veränderungen handelt und die ahnen lässt, dass das vermeintlich Ewige am Ende doch nur eine Etappe gewesen sein wird.

Mag sein, dass es noch 300 Jahre dauert, vielleicht noch mehr - ein tiefgekühltes Wunderwerk der Natur, so groß, so gewaltig, verschwindet nicht einfach. Aber dass da etwas im Gange ist, etwas, das nach Lage der Dinge unaufhaltsam ist und sich wahrscheinlich sogar noch beschleunigen wird, hat einer wie Martin Nellen im Gespür. Deshalb hat er ja auch auf den Felsvorsprung gedeutet.

Früh am Morgen waren wir aufgebrochen, von der Riederalp aus, zusammen mit Martin Nellen, dem Bergführer, und Hanspeter Holzhauser, dem Geografen. Erst ging es ein Stück hoch und dann hinunter in das tief eingeschnittene Walliser Tal, wo der Große Aletschgletscher seit Tausenden Jahren zu Hause ist.

Wäre er noch so mächtig wie vor 12.000 Jahren in der Eiszeit, dann müsste man nicht lange gehen. Das Tal wäre randvoll ausgefüllt mit Eis. 1859, auf dem letzten Höhepunkt der so genannten kleinen Eiszeit, war der Aletsch dann zwar schon erheblich kleiner, aber selbst da war das Tal noch gut gefüllt. Man sieht an der Seitenmoräne, wo die Obergrenze war. Heute muss man von da noch etwa 250 Meter absteigen - erst dann ist man am Eis. Oder jedenfalls beinahe.

Ein erstarrtes Meer

Kurz bevor wir unten sind, zeigt Martin Nellen auf den Felsvorsprung. Von dem sei er noch im Sommer auf das Eis gestiegen. Ein Schritt, und er hatte den Gletscher unter den Füßen. Jetzt ist da ein Höhenunterschied zwischen Eis und Stein von sechs, sieben Metern. So viel ist weggeschmolzen in gerade mal vier Monaten.

"Wahnsinn", sagt Nellen, "Wahnsinn, wie das schmilzt." Seit fast 30Jahren ist er Bergführer, jedes Jahr hat er den Aletsch schmelzen sehen, aber in letzter Zeit, findet er, sei es "extrem". Holzhauser findet das auch. Der hat fast sein ganzes berufliches Leben dem Großen Aletschgletscher gewidmet und seine Doktorarbeit über ihn geschrieben. Manchmal redet er über den Aletsch wie über einen kranken Freund: Es gehe ihm schlecht, er sei nur noch "ein Schatten seiner selbst".

Die letzten Meter, dann sind wir am Eis. Wir ziehen Steigeisen über und seilen uns an, Nellen geht voran. Von oben hatte das Eis flach, grau und konturenlos ausgesehen. Erst jetzt sieht man, dass es in Wahrheit ein zerklüftetes Minigebirge ist - mit Tälern und Kegeln, mit Schluchten und Bergzacken und blaugrün schimmernden Spalten. Als wäre ein aufgepeitschtes Meer mitten in der Bewegung plötzlich zu Eis erstarrt.

Doch der Eindruck von Festigkeit täuscht. Der Gletscher bewegt sich, und zwar an dieser Stelle etwa mit 80 Metern pro Jahr. Meterdick wälzt sich Eis aus dem Nährgebiet herunter, aber es reicht schon lange nicht mehr, um das zu ersetzen, das unten wegschmilzt. Jedes Jahr verliert der Aletsch im unteren Bereich zweieinhalb Meter Dicke und 24 Meter Länge. Seit mehr als hundert Jahren schrumpft er.

Trotzdem: Wer hier zum ersten Mal herumklettert, der kann kaum anders, als Ehrfurcht zu empfinden vor diesem Stück alpiner Arktis. Wer indes die Verhältnisse kennt wie Holzhauser, der erschrickt über all die Alarmzeichen, die er sieht. Zum Beispiel darüber, dass der Weg vom Rand zur Moräne in der Gletschermitte noch kürzer geworden ist. Oder dass das schwarze Trumm Felsen jetzt noch höher im Hang zu hängen scheint.

Ja, auch er hat einen Stein als Orientierungspunkt, und was der ihm verrät, ist deprimierend. 1980, als Holzhauser anfing, im Aletschgebiet zu arbeiten, war dieser Stein noch im Eis, jetzt hängt er im Steilhang geschätzte 70 Meter darüber. Für den Geografen ist dies ein Besuch bei einem Schwindsüchtigen - einem von vielen, die man derzeit in den Alpen antrifft.

Der Gletscher 2003. Wieder links unten - diesmal im Grünen - die Aletschij-Alm. (Foto: Foto: Archiv Hanspeter Holzhauser)

Vom nächsten Montag an wird in Montreal auf der ersten Klima-Konferenz nach Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls wieder einmal über den Klimawandel und die dafür zumindest teilweise ursächlichen Treibhausgase geredet werden, und gewiss werden dabei auch die Alpengletscher zur Sprache kommen - als trauriges Beispiel dafür, was passiert, wenn das beim Verbrennen fossiler Brennstoffe wie Kohle und Öl entstehende Kohlendioxid ungebremst in die Atmosphäre entlassen wird.

Um ein Grad ist im 20.Jahrhundert die Temperatur global angestiegen, in den Alpen sogar um zwei Grad. Dabei hat sich in den letzten Jahrzehnten die - besonders im Winter spürbare - Erwärmung stark beschleunigt, und wenn es so weitergeht, dann könnte die Temperatur am Ende dieses Jahrhunderts noch einmal um drei, vielleicht sogar um fünf Grad gestiegen sein.

Die meisten Alpengletscher wird es dann nicht mehr geben, sagt Professor Wilfried Haeberli vom Geografischen Institut der Universität Zürich. Schon jetzt ist der Schwund unübersehbar. Er begann Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Gletscher noch ein Volumen von 200 Kubikkilometern hatten. Im Jahr 2000 waren es noch 75, heute sind es nurmehr 68 Kubikkilometer.

Allein der Hitzesommer 2003 hat den Alpengletschern so zugesetzt, dass Haeberli sagt: "Zehn, zwanzig solcher Sommer, und es ist vorbei." Der Mann gilt als der Schweizer Gletscherexperte, aber das wusste er noch nicht, als er als Sechsjähriger mit den Eltern auf seinem ersten Gletscher war, dem Tälli im Berner Oberland. Nass war es, kalt, der Bub Wilfried war nicht sonderlich beeindruckt, aber es war doch sein erster Gletscher, und das vergisst man nicht.

Ein paar blaue Brösel

"Wollen Sie mal sehen?" Und dann holt Haeberli auch schon das Satellitenbild des Tälli auf seinen Computer, oder vielmehr: das, was noch von ihm übrig ist. Viel ist es nicht. Wo vorher eine zusammenhängende blaue Fläche war, blau wie Eis, sind jetzt nur noch ein paar blaue Brösel.

Als Gletscher hat der Tälli aufgehört zu existieren. Soweit ist der Aletsch noch nicht. Längst noch nicht. Er hat in 150 Jahren 3,4 Kilometer an Länge verloren, aber er ist mit knapp 23 Kilometern noch immer der längste Gletscher der Alpen. Am Konkordiaplatz, wo die vier Quellströme zusammenlaufen, ist das Eis mehr als 900 Meter dick. Einerseits. Andererseits lässt sich gerade da beobachten, wie sehr der Gletscher schmilzt.

Von der Konkordiahütte war es früher ganz nah bis zum Eis, inzwischen führt der Weg über eine ewig lange, nur für Schwindelfreie geeignete Leiter 80 Meter fast senkrecht den Hang hinunter. Martin Nellen sagt, seit 1977, als er Bergführer wurde, sei die Treppe vier Mal nach unten verlängert worden.

Nellen führt uns sicher über den Aletsch. An steilen Stellen nimmt er seinen Eispickel und haut Stufen ins Eis. Einmal fischt er aus einer Mulde mit eisigem Wasser zwei winzige Lebewesen, von denen er sagt, es seien Gletscherflöhe. Die tut er in einen Behälter mit Vergrößerungsglas und lässt uns gucken. Munter springen die Gletscherflöhe in dem Gletscherflohglas herum und ahnen nicht, dass auch ihren Artgenossen die Erwärmung den Garaus machen wird.

Wenn sie früher über den Gletscher gingen, dann sagten die Walliser, man dürfe nicht zu fest, "nit z trungg", auf das Eis treten, denn da seien doch die armen Seelen drin - die wegen ihrer Sünden zur Buße ins Eis Verbannten. Es gibt viele solcher Sagen, die sich um den Aletschgletscher ranken, und fast immer geht darin etwas Furchteinflößendes von ihm aus, so wie er ja auch in der Realität oft genug für Angst und Schrecken sorgte.

Er tat das vor allem in jenen Phasen, wenn er sich reckte und streckte wie ein großes Tier und sein eisiger Atem die Weiden und Hütten streifte. Dann drohte Hunger und Verderben, es gab Jahre ohne Sommer, und einmal, 1653, kam das Eis den Menschen so nahe, dass die sich keinen anderen Rat mehr wussten als einen Bittgang zum Gletscher. Das Beten, das Singen und das Beschwören half: Der Gletscher stieß zunächst nicht mehr weiter vor.

Da mag das Rückschmelzen der Alpengletscher fast wie ein Segen erscheinen, doch so ist es nicht. Allein der Verlust des Ästhetischen: Ein "Trauerspiel" nennt das der Professor Haeberli; was lange "der Schmuck des Gebirges" war, ein Symbol für Reinheit, Schönheit, für rohe Natur, werde bald aussehen "wie eine unaufgeräumte Baustelle mit viel Schutt".

Dazu "der Schock, dass sich die Alpenwelt verändert", findet der Berner Geografieprofessor Hans Hurni. Die Gletscher seien ja auch ein Zeichen für Stabilität, "verschwinden sie, ist das eine Veränderung, die den Leuten Angst macht". Und ihnen vermutlich eine Einkommensquelle nimmt. "Wenn die Jungfrau nicht mehr silbrig ist, sondern schwarz", fürchtet Haeberli, "werden viele Touristen nicht mehr kommen."

Oder ist es vielmehr so, dass nicht sein soll, was nicht sein darf?

"Ice wie keis"

Art Furrer ist das, was man landläufig ein Original nennt. Ein Walliser Original. Man erkennt das an seinem Hut. Es ist ein Cowboyhut, eine Erinnerung an die Zeiten, als er in den USA sein Geld als Trickskifahrer verdiente. So hat sich der Sohn eines armen Tagelöhners, Jägers und Wilderers von der Riederalp hochgearbeitet.

Heute, 68-jährig, besitzt er zehn Hotels, und dass die recht gut florieren, habe er im Wesentlichen dem Aletsch zu verdanken: "Der ganze Tourismus hier lebt von ihm." So wie das Matterhorn die Marke der Zermatter, so sei der Aletschgletscher die Marke der Menschen von Brig und Umgebung. "Ice wie keis", lautet ihr Motto, auf den Fahrkarten der Bergbahnen steht: "Der längste Gletscher der Alpen, 24 Kilometer Eis am Stück."

Der Tourist mag's glauben, und nachmessen wird er im Zweifel nicht. Eis ist Eis, heißt nicht eines der Nährgebiete des Aletsch Ewigschneefeld? Und hat der Aletsch nicht gleichsam eine Art Bestandsgarantie von der Unesco bekommen, als die ihn vor vier Jahren zum Weltnaturerbe erhob? Wer würde sich da noch trauen zu schmelzen? Nein, nein, der Aletsch wird nicht sterben, sagt Art Furrer.

Zur Römerzeit sei er schon viel weiter zurück gewesen als jetzt, "er ist immer wiedergekommen". Und dann erzählt er etwas, das dem Fremden verdeutlichen soll, dass ein Gigant wie der Aletschgletscher schlichtweg unsterblich ist. Solche Mengen Eis habe der, dass man damit die ganze Schweiz überziehen könne - und zwar mit einer 50 Zentimeter dicken Schicht. Also: "Undenkbar, dass das schmilzt."

Undenkbar? Jürg Gilgen wäre nicht der Mann, der Art Furrer widersprechen würde. Dazu ist er zu leise. Aber er würde sich seinen Teil denken. Er würde an die kleinen, blauen Striche denken, die er gezeichnet hat, blau wie Eis, und die nicht zahlreicher geworden sind im Laufe der Zeit. Anders als Furrer hat er keine felsenfesten Gewissheiten, dafür aber millimetergenaue Erkenntnisse - so millimetergenau, wie Schweizer Karten nun mal sind.

Gilgen ist seit mehr als 20 Jahren Kartograph bei "Swisstopo", Gletscher sind sein Spezialgebiet. Ausgerechnet Gletscher, die wahrscheinlich schwierigsten Kunden eines Schweizer Kartographen: Kaum ist einer gezeichnet, hat der sich schon wieder ein Stück weit verändert, und die neue Karte stimmt bereits nicht mehr.

Es bröckelt und bricht

Deshalb muss so eine Karte alle paar Jahre nachgeführt, das heißt: den neuen Realitäten angepasst werden. Das ist ein zeitaufwendiges Verfahren. Ein Flugzeug überfliegt das Gebiet und macht Luftaufnahmen, ein Topograf geht ins Feld, ein Auswerter vergleicht die neuen Luftaufnahmen mit den alten und trägt die Änderungen ein. Am Ende kommt der Kartograf und zeichnet die Karte, mit der Maus am Computer. Wenn schließlich die Karte "Aletschgebiet", Ausgabe 2003, in die Geschäfte kommt, ist die Luftaufnahme, auf der sie basiert, bereits zwei Jahre alt.

Aktueller geht es nicht, und bis zur nächsten Nachführung muss das genügen. So sammeln sich viele Karten vom selben Objekt an, einer wie Gilgen kann vergleichen, und wenn er das tut, ist sein Urteil eindeutig: "Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Gletscher mal größer geworden ist - immer nur kleiner."

Die älteste Karte vom Aletsch, die sie bei Swisstopo haben, ist von 1882. Die hatte einen kleineren Maßstab, aber man sieht auch so, dass der Aletsch da noch deutlich länger war als heute , "mehr als zwei Kilometer", sagt Gilgen. Der Mittelaletschgletscher und der Oberaletschgletscher, auch das zeigt die Karte, waren seinerzeit noch Teil des ganzen Systems, inzwischen sind sie längst zu separaten Gletschern zurückgeschmolzen.

Oder die Karte von 1939. Oder die von 1975. Es ist, als schaue man durch ein Fernglas, aber von der falschen Seite: immer kleiner der Gletscher, schmaler, kürzer. Einmal, bei einem Betriebsausflug, hat Gilgen den Aletsch live erlebt und fand ihn "sehr, sehr speziell". Diese Erinnerung, immerhin, hat er, der Chronist des Schwindens.

Es ist früher Nachmittag, als wir die Steigeisen wieder ausziehen. Ohne Martin, den Bergführer, wäre der Ausstieg aus dem eisigen Labyrinth kaum zu finden gewesen, und selbst der tut sich schwerer als früher. Es gab ja feste Routen, gewohnte Ein- und Ausstiege, doch an diesen Stellen ist heute nichts mehr außer steilen Wänden, über die man sich allenfalls noch abseilen könnte. Ständig sind neue Zugänge zu suchen, "die Wege werden immer länger", sagt Martin, "und ich werde immer älter." Sein Blick schweift auf die gegenüberliegende Felswand, eine klassische Nordwand, die früher von Eis überzogen und von Kletterern gesucht war. Heute ist das Eis weg und das Gelände brüchig. Kletterer kommen nicht mehr. Steinschlaggefahr.

Solche Probleme werden zunehmen, denn auch die bisher dauerhaft gefrorenen Böden werden auftauen. Die untere Grenze des so genannten Permafrosts, die heute bei 2700 Metern liegt, wird sich bei anhaltender Erwärmung bis Mitte des Jahrhunderts um 300 Meter nach oben verschieben. Mit voraussehbaren Folgen für die Statik der Alpen: Hänge werden ins Rutschen geraten, "große Sturzereignisse" laut Haeberli wahrscheinlicher. Auch der Wasserhaushalt wird betroffen sein. Die Alpengletscher sind ja bedeutende Wasserspeicher, und wenn es in trockenen Sommern, so wie dem des Jahres 2003, kaum regnet, dann ist es ihr Schmelzwasser, das für Ausgleich sorgt und den Stress für Landwirtschaft und Waldgebiete in Grenzen hält. Ohne die Gletscher gäbe es diesen Puffer nicht mehr.

Hoffnung? Haeberli hat kaum welche. Er sagt: "Der Mensch könnte diese Entwicklung bremsen, er könnte die Klimafrage ernst nehmen, das Übel an der Wurzel packen und die Emissionen reduzieren, stattdessen treten wir aufs Gas wie die Verrückten." Dabei hat die Schweiz mehr getan als andere, sie ist dabei, eine CO2-Steuer einzuführen, die erneuerbare Energien finanzieren soll. Den Gletschern indes wird das nicht mehr helfen. Ein wenig Wehmut empfinde er, auch Traurigkeit, sagt Martin Nellen beim Wiederaufstieg. Holzhauser widerspricht nicht, natürlich nicht, wenngleich das Abschmelzen für ihn, den Wissenschaftler, auch Vorteile hat. Wo das Eis verschwindet, gibt es seine Geheimnisse preis so wie im Berner Oberland, wo gerade erst prähistorische Funde, unter anderem ein Pfeilköcher und Teile einer Hirschlederhose, Aufsehen erregten.

Der letzte seiner Art

Bei Holzhauser sind es alte Baumstrünke und Wurzelstöcke, die ihn interessieren, weil sich mit deren Hilfe die Vorstoß- und Rückgangsphasen des Gletschers in längst vergangenen Zeiten rekonstruieren lassen. Da drüben zum Beispiel, man muss nur dem ausgestreckten Arm Holzhausers mit den Augen folgen, das sei ein Baumstumpf aus der Bronzezeit. Das Eis habe den Baum umgefahren, als es sich ausbreitete.

Ausbreitete: Wie sich das anhört in den Zeiten des Schrumpfens.

Viele Schweizer haben im Oktober einen Brief bekommen vom World Wide Fund For Nature (WWF). Im Umschlag befand sich neben einem Brief ("Unsere Gletscher schlagen Alarm") auch ein Bild vom Großen Aletschgletscher. Es war eines dieser Wackelbilder, die sich verändern, je nachdem, wie man sie hält. Die eine Ansicht zeigt den Aletsch im Jahr 1900 - ein gewaltiger, das Bild weitgehend ausfüllender Eisstrom, zwergenhaft klein dagegen die vier Menschen an einer Talflanke im Vordergrund. Die andere Ansicht zeigt den Aletsch im Jahr 2004. Gemacht wurde das Foto aus der- selben Perspektive, aber es zeigt vor allem steile, zum Teil grüne Felswände. Das Eis ist weit entfernt in den Hintergrund gerückt und fast schon eine Nebensächlichkeit.

Wer es bis dahin noch nicht glauben wollte, der sieht es auf diesem Bild: Der Große Aletschgletscher ist auf dem Weg, seinem Namen keine Ehre mehr zu machen. Einziger Trost: Er wird von den sterbenden großen Alpengletschern mit einiger Wahrscheinlichkeit der letzte sein. Holzhauser, sein Biograf, sagt: "Wenn er verschwindet, sind alle anderen längst weg."

© SZ vom 26.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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