Das philosophische Gespräch:Rausch und Rationalität

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... in Zeiten des Oktoberfests. Der Philosoph Eckart Voland von der Universität Gießen im philosophischen Gespräch mit Philip Wolff.

Philip Wolff

Philip Wolff Herr Voland, ich wohne nah an der Münchner Theresienwiese und wundere mich zur Oktoberfestzeit immer, wie viele Menschen sich gern im Vollrausch vor fremde Haustüren legen.

Eine Besucherin des Oktoberfests schläft ihren Rausch aus. (Foto: N/A)

Eckart Voland: Weshalb wundern Sie sich? Höre ich aus Ihrer Frage die Erwartung, dass das nicht so sein sollte? Weshalb eigentlich nicht?

Wolff: Vielleicht, weil mein eigenes Komabedürfnis unterentwickelt ist: Ich würde mich zu sehr schämen und schäme mich auch für andere.

Voland: Das würde ich wahrscheinlich auch tun. Aber warum? Vermutlich weil wir uns sehr der Vernunft verpflichtet fühlen und versuchen, rational durchs Leben zu gehen. Wir können völlig willenloses Verhalten schlecht nachvollziehen.

Wolff: Fehlt uns da etwas?

Voland: Das weiß ich nicht. Jeder hat ja irrationale Komponenten.

Wolff: Zum Beispiel?

Voland: Ich will nicht persönlich werden, schauen Sie sich einfach um: Es gibt Leute mit obskuren Sportvorlieben, oder sie halten Hunde, oder sie haben gewisse Essgewohnheiten. Es gibt kaum etwas im menschlichen Leben, das sich nicht als irrational beschreiben ließe. Aber natürlich zeigt uns eine große Menge Menschen im Vollrausch sehr drastisch, dass unser Menschenbild nicht stimmt, wenn es den vernunftbegabten Menschen zum Maß aller Dinge macht.

Wolff: Ich laufe also mit falschen Erwartungen herum.

Voland: Genau. Es ist doch ein ethnografisches und historisches Faktum, dass alle Kulturen Drogen kennen. Die Phänomene gibt es ja auch schon bei Tieren. Paviane in der afrikanischen Savanne nehmen vergorene Früchte zu sich und scheinen sich daran zu ergötzen.

Wolff: Was ist der biologische Zweck der Übung?

Voland: Drogenkonsum hat mit der Ausbeutung des hirneigenen Belohnungssytems zu tun. Und die Zwecke, aus denen dieses System evolviert ist, sind zunächst einmal andere: zum Beispiel, dass uns das Leben angenehme Gefühle macht dank Botenstoffen wie Dopamin, wenn wir überlebenswichtige Leistungen vollbracht haben. Wir können aber auch durch Sport unser Belohnungssystem ausnutzen. Der Vorteil liegt im Abbau von Ängsten und Spannungen.

Wolff: Es ist also vernünftig, manchmal unvernünftig zu sein?

Voland: Natürlich. Viele von uns trinken abends ihr Glas Bier, und medizinische Untersuchungen zeigen, dass mäßiger Alkoholkonsum gesundheitlich von Vorteil sein kann. Er hilft zu regenerieren und im Leben besser zurande zu kommen. Alles ist eine Frage der Dosis.

Wolff: Ist sie zu hoch, liegt man vor der Haustür.

Voland: Ich will es ja auch nicht verharmlosen. Ich möchte nur davor warnen, Formen der Irrationalität abzuqualifizieren als etwas, das dem Men- schen nicht eigen sein sollte. Selbst unsere Rationalität lässt sich nur auf der Grundlage von Emotionen und Befindlichkeiten verstehen.

Die alten Debatten darum, was den Menschen leiten sollte, Gefühl oder Verstand, haben einen falschen Widerspruch konstruiert, der durch eine neue Philosophie des Geistes und durch die Neurobiologie längst eingeebnet ist: Man erkennt heute, dass Rationalität nur verstanden werden kann auf der Grundlage von Gehirnzentren, die Probleme emotional bewerten. Rationalität ist also nichts Absolutes, sondern sie richtet sich nach persönlichen Erlebniswelten, nach persönlichen Bewertungen der Lebensumstände.

Wolff: Das heißt, ich leite aus meinem Schamgefühl eine Haltung ab, die ich fälschlicherweise für absolut vernünftig halte.

Voland: Genau so ist es. Das können Sie daraus lernen.

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