Architektur:Obdach für die Götter

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Nach dem schweren Erdbeben in Nepal vor genau einem Jahr sollen jetzt wenigstens einige der zerstörten Tempel wieder aufgebaut werden - eine Mammutaufgabe.

Von Hubert Filser

An diesem Montag vor genau einem Jahr erschütterten heftige Erdstöße Nepal. Die Region um die Hauptstadt Kathmandu war am stärksten betroffen. Fast 10 000 Menschen starben, begraben unter den Trümmern ihrer Häuser. Beschädigt oder komplett zerstört wurden auch berühmte Tempel und Paläste in den Königsstädten Kathmandu, Bhaktapur und Patan, alle Teil des Weltkulturerbes und die wichtigsten Kulturstätten des Landes. Die wichtigsten dieser bedeutenden Stätten sollen nach und nach wiederhergestellt werden. Ein Jahr nach dem Beben sind die ersten großen Wiederaufbauarbeiten zu erkennen, bislang liefen die Renovierungen eher verborgen in den Hinterhöfen der Paläste. In Patan werden gerade Gerüste aufgestellt, erzählt der deutsche Architekt, Denkmalpfleger und Bauhistoriker Niels Gutschow bei einem Treffen in München. Er arbeitet und forscht seit gut 45 Jahren in Nepal. "Das Land war ein Jahr lang wie gelähmt."

Auch der aus Holz und Ziegelsteinen errichtete Harishankara-Tempel in der Königsstadt Patan (im Bild vor dem Beben) wurde im April 2015 zerstört. (Foto: Stanislaw Klimek)

Viele Tempelruinen werden noch immer von Gläubigen besucht. Das erschwert die Aufbauarbeiten

Im Schnitt triff Nepal alle hundert Jahre ein Starkbeben. Die letzten drei ereigneten sich 1833, 1934 und eben 2015. Die indische Erdplatte schiebt sich in die eurasische Platte, einige Millimeter pro Jahr. Das ergibt entlang einer 600 Kilometer langen Zone horizontale Kompressionen und Scherspannungen, die sich irgendwann entladen. "Die Schäden an den historischen Denkmälern sind diesmal schlimmer als 1934", sagt Gutschow. Beim Wiederaufbau helfen auch deutsche Experten, unterstützt von der Gerda Henkel Stiftung, die insgesamt eine Million Euro zur Verfügung gestellt hat. Es ist die größte internationale Spende bislang. Auch das Auswärtige Amt steuert 250 000 Euro bei. Insgesamt würde es mehr als 50 Millionen Euro kosten, alle etwa 300 betroffenen Denkmäler wieder aufzubauen, schätzt Gutschow.

Wichtige Einzelteile des Harishankara-Tempels konnten eine Woche nach dem Beben gesichert werden und erleichtern jetzt den Wiederaufbau. (Foto: Rohit Ranjitkar)

Der Architekturhistoriker koordiniert die Arbeiten am Darbar-Platz in Patan. Wichtige Bauten dort sollen Ende des Jahres fertigrenoviert sein, allen voran der 1627 erbaute Krishna-Tempel. Danach wolle man sich um die komplett eingestürzten Gebäude kümmern, etwa um den Harishankara-Tempel aus dem Jahr 1709, ein dreijähriges Mammutprojekt. "Wir haben es hier nicht mit toten Ruinen zu tun", sagt Gutschow. "Die Tempel sind täglicher Anlaufpunkt für die Bevölkerung, die Stätten werden ihrer Ansicht nach von Göttern bewohnt. Diese Götter brauchen ihr Obdach wieder." Zudem spielen die historischen Bauten, Paläste und Tempel auch für den Tourismus eine wichtige Rolle.

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(Foto: Prakash Mathema/AFP)

Nach dem Erdbeben am 27. April 215 wurde der Durbar-Platz in Bhaktapur nahezu vollständig zerstört.

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(Foto: Prakash Mathema/AFP)

Ein Jahr später, am 23. April 2016, findet man den Platz wieder weitgehend restauriert vor.

Seit 1971 arbeitet Gutschow in Nepal am Wiederaufbau historischer Gebäude und erforscht dabei die nepalesische Baugeschichte. Sein erstes Projekt war damals in Bhaktapur, der "Stadt der Frommen". Auch dort hat das Beben große Schäden angerichtet. In den engen Gassen sind viele der alten Holzhäuser mit ihren fein geschnitzten Fassaden zerstört. Doch kaum jemand hat Interesse daran, sie zu erneuern. Die Einheimischen wohnen lieber in modernen Häusern als in den alten, niedrigen. "Das historische Stadtbild droht verloren zu gehen", sagt Gutschow. Auch einige Tempel überstanden das Erdbeben nicht. Der Vatsala-Tempel beispielsweise ist eingestürzt. "Doch leider konnten wir uns in Bhaktapur nicht mit der lokalen Arbeiter- und Bauernpartei auf ein Restaurierungsprojekt einigen", sagt Gutschow.

Das Ausmaß der Zerstörung ist von Stadt zu Stadt verschieden. Auf dem zentralen Platz von Kathmandu etwa sind vier wichtige Tempel eingestürzt, auch der Königspalast ist stark beschädigt, möglicherweise soll er sogar abgerissen werden, wenn nicht noch chinesische Geldgeber die Kosten für die Restaurierung übernehmen. Folgenschwer sei das Verhalten der Behörden unmittelbar nach der Katastrophe gewesen, sagt Gutschow. In Kathmandu hätten Bagger auf dem Hauptplatz den Schutt der Tempel weggeräumt und diese damit unwiederbringlich zerstört. "Dabei lassen sich mehr als 80 Prozent des Materials eines eingestürzten Tempels wieder verwenden." Vor allem die reich geschmückten Holzbalken, die detailreichen Holzornamente und Säulen, aber auch verzierte Ziegel ließen sich gut zuordnen und beim Wiederaufbau nutzen.

Am besten sei die Situation in Patan. Dort hätten Mitarbeiter des Kathmandu Valley Preservation Trust (KVPT), für den auch Gutschow arbeitet, drei Tage nach dem Beben zumindest die wichtigen Reste zahlreicher Tempel gesichert. Sie lagern nun in den Höfen des Königspalastes - ein dreidimensionales Riesen-Puzzle aus alten Holzbalken, Ornamenten und gesammelten Ziegeln.

Der Wiederaufbau der Gebäude aus dem 16. bis 18. Jahrhundert bringt vielen Einheimischen Beschäftigung. 20 Zimmerleute arbeiten allein für den KVPT. Wichtigste Restauratoren sind die lokalen Zimmerleute, die das Handwerk von ihren Vätern und Großvätern gelernt haben. Zerstörte Holzsäulen schnitzen die Handwerker nach historischem Vorbild nach. Grundlage für viele Aufbauarbeiten sind unter anderem Zeichnungen, die mithilfe von DFG-Projekten oder im Rahmen des Exzellenzclusters "Asia and Europe" der Universität Heidelberg in den vergangenen Jahren entstanden sind. Aufgrund der jahrzehntelangen Arbeit vor Ort sind zahlreiche Gebäude sehr gut vermessen und in Zeichnungen dokumentiert. Das ist nun die Basis für den Wiederaufbau. "Unser bester Zeichner dokumentiert gerade das fünf Meter breite Portal eines Tempels in Bhaktapur im Maßstab eins zu fünf in allen Details", erzählt Gutschow. "Daran sitzt er ein Jahr lang." Die Dokumentationen sind die Basis für die Zukunft. Die Originale verwahrt Gutschow noch bei sich zu Hause in Deutschland, sie werden demnächst in der Nähe von Kathmandu archiviert. Auch Messungen des Untergrunds sind geplant, um gefährdete Stellen zu bestimmen und dort Stahlfundamente unter die Tempel zu bauen. Denn eines ist sicher: Das nächste schwere Beben kommt bestimmt.

© SZ vom 25.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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