Architektur:Himmelssturm

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Ökonomisch unsinnig, ökologisch fragwürdig, ästhetisch nicht selten daneben, dennoch werden sie derzeit geplant und gebaut: Wolkenkratzer, die sich der 1000-Meter-Grenze nähern oder sie sogar durchbrechen.

Von Gerhard Matzig

King Kong wäre erfreut. Für ihn könnte die "vertikale Stadt der Zukunft" ein Lebensraum und ziemlich affenfreundliches Habitat sein. Eine Welt gar, die nach Plänen des Architekturbüros Woha nicht aus Beton, Stahl und Glas bestünde, sondern aus Bäumen und Farnen. Für den berühmten, unglücklich verliebten Riesenaffen kommt diese Zukunft indessen zu spät: Im Kampf gegen bösartige Doppeldecker musste King Kong 1933 vom Empire State Building 443 Meter tief in den Tod stürzen. Erst heute, Jahrzehnte später, fängt die Menschheit an, über auto- und doppeldeckerfreie Hochhauswelten nachzudenken, die Naturreservaten ähnlicher wären als Wolkenkratzern.

Die Woha-Architekten Richard Hassell und Wong Mun Summ, deren Büroname an einen Ausruf des Staunens erinnert, stapeln für ihre Vision von morgen ganz schön hoch: 1000 Meter - boah! - schraubt sich ihre begrünte Wolkenkratzer-Utopie in den Himmel über Bangkok. So entsteht ein vertikaler Dschungel, der ein Dschungel der Urbanität und zugleich einer der Natur sein soll. Die hängenden Gärten von Babylon, einst ein Weltwunder der Antike, erfahren auf diese Weise ein bemerkenswert futuristisches Update.

Dass diese Vision theoretisch auch Lebensraum für alles mögliche Getier beinhaltet und so an King Kong erinnert, ist kein Zufall. Der legendäre Sturz der Kreatur vom damals höchsten Gebäude der Welt, erst zwei Jahre vor dem Kinofilm erbaut, 1931 also, gehört ja deshalb zu den ikonischen Momenten des 20. Jahrhunderts, weil darin der (nur vermeintliche) Ausschluss von Fortschritt und Naturnähe emblematisch aufscheint. Die zivilisatorische Kraft des Menschen, repräsentiert durch einen gewaltigen Wolkenkratzer, begegnet der Urgewalt der Schöpfung, repräsentiert durch einen gewaltigen Affen. Für King Kong ist der Konflikt Kultur vs. Natur allerdings nicht gut ausgegangen.

In dem 4000 Meter hohen begrünten Vulkankegel hätte eine Million Menschen Platz

Der erst durch die technologische (Weiter-)Erfindung des absturzsicheren Aufzugs im Jahr 1853 ermöglichte Höhenrausch, der im Grunde mit den Pyramiden von Gizeh beginnt, wurde spätestens zu diesem Zeitpunkt zum wichtigen kollektiven Narrativ. Wie auch zum Ausdruck der Hybris der Moderne.

Hoch, höher, am höchsten - und dabei immer artifizieller, dem tradierten Leben am Boden zunehmend entrückt: Das illustriert eine Ära, die jedoch schon bald abgelöst werden könnte. Die Wolkenkratzer-Entwürfe werden nämlich nicht nur immer höher, sie werden auch, und das ist relevanter, immer grüner - zumindest auf dem Papier sowie im Rechner, wo der Green-Glamour-Skyscraper zunehmend herbeivisioniert wird. Davon künden immer suggestivere Skizzen und raffiniertere Renderings.

Burj Khalifa: mit 828 Metern derzeit noch das höchste Bauwerk der Welt. Noch. (Foto: Christopher Furlong/Getty Images)

In diesem Sinn haben die koreanischen Architekten Minsuk Cho und Kisu Park schon vor Jahren ein Öko-Stadtviertel entworfen, dessen gigantische Wohnhochhäuser dem Baugrund wie skulpturale Kakteen entwachsen: "Seoul Commune 2026". Auch hier geht es um den Versuch, das Hochhaus, das zugleich ein öffentlicher Park sein will, mit dem Leben zu versöhnen. Natürlich findet dieses Leben selten auf der Erde statt. Sondern beispielsweise im 4000 Meter hohen Wolkenkratzer "X-Seed 4000". Es ist bislang die höchste jemals vorgeschlagene Wolkenkratzer-Vision, erdacht schon 1980 von Architekten der Tasai Corporation aus Tokio. In einem begrünten Traggerüst, das an einen Vulkankegel denken lässt, hätten eine Million Menschen Platz. Auf den 800 Stockwerken könnte man somit alle Einwohner von Köln quasi in einem einzigen Haus unterbringen. Wenn man das denn wollte.

Dagegen ist "Crystal Island", ein spiralenförmig angelegter, ebenfalls angeblich umweltfreundlicher, von Norman Foster geplanter und 450 Meter hoch aufragender Gebäudekomplex in Moskau fast schon ein Witz. Wenn auch ein umgerechnet 3,6 Milliarden Euro teurer Witz, der allerdings wie die anderen Öko-Wolkenkratzer-Träume bisher nicht realisiert wurde.

Simuliert werden grüne Türme, gebaut werden energetische Monster aus Beton, Stahl und Glas

Das gibt zu denken. Die prachtvollen Computersimulationen von gigantischen grünen Türmen, die zugleich das Problem der weltweiten Verstädterung wie auch das Problem des Klimawandels lösen und so nebenher die Stadt neu erfinden, sie sind bislang nur das: Simulationen. Grüne Sehnsuchtsorte. In der Realität sind Hochhäuser immer noch energetische Monster aus Beton, Stahl und Glas.

"Ab 300 Meter", so der Architekt und Stadtplaner Albert Speer, "werden Hochhäuser ökologisch und ökonomisch widersinnig." Denn dann wird der konstruktive und energetische Aufwand immer höher. Nur eben nicht linear, sondern exponentiell. Was die Menschheit aber verblüffenderweise nicht daran hindert, sich unvermindert dem Höhenrausch und immer neuen Rekordversuchen hinzugeben.

Das endet voraussichtlich auch nicht in Saudi-Arabien, in Dschidda, und im Jahr 2019. Dann soll der gerade im Bau befindliche "Jeddah Tower" (vormals: Kingdom Tower), er wird mehr als doppelt so hoch wie das Empire State Building, 1007 Meter, eröffnet werden. Wodurch der amtierende Rekordhalter "Burj Khalifa" (vormals: Burj Dubai) um wenigstens 179 Meter getoppt wird. Und zwar im Wortsinn. Übrigens werden die Namen der Wolkenkratzer gar nicht selten während der komplizierten Planungs- und Bauphasen geändert. Die Bauherren haben ja oft sehr lange Zeit, darüber nachzudenken. Gut möglich also, dass sich auch der Name des "Dubai Tower" noch ein paar Mal ändert. Fest steht bisher nur, dass Santiago Calatrava von dessen Realisierung träumt. Der Rekord käme dann wieder zurück nach Dubai. Es sei denn, die im chinesischen Wuhan geplanten, 1000 Meter hohen "Phoenix Towers" kämen ihm zuvor. Die Realisierung ist allerdings immer noch ungewiss.

Auch Katar, Aserbaidschan und der Irak beteiligen sich am Wettrennen ins, fast muss man es so sagen: All. Dort könnten Hochhäuser mit Höhen bis zu 1600 Meter entstehen. "Solche Giganten", sagt dazu Christoph Mäckler, Architekt und Professor am Lehrstuhl für Städtebau der TU Dortmund, "sind vielleicht Machtsymbole, wirtschaftlich aber machen sie wenig Sinn, weil die Flächen in den unteren Geschossen Tiefen haben, die sich kaum sinnvoll nutzen lassen." Das Problem: Je höher sich die Türme in den Himmel schrauben, desto eher müssen sie aus statischen Gründen einer Pyramide gleichen: unten mit voluminösem Sockel, darüber sich verschlankend. Das führt unten zu einem Problem mit natürlicher Belichtung: viel Masse innen, wenig Fassade außen.

Bei der größten Turmuhr der Welt ist die Uhrzeit auch noch in acht Kilometer Entfernung ablesbar

Dennoch wird an solch himmelsstürmenden Bauten emsig gearbeitet. Auch wenn deren Planung mittlerweile eine Wissenschaft für sich darstellt. Beispielsweise musste auch die Aufzugtechnologie revolutioniert werden. Bei etwa 600 Meter gelangen herkömmliche Aufzüge an ihre Grenzen. Für die schnellsten Aufzüge, die im Fall des Shanghai Towers (632 Meter) mit einer Geschwindigkeit von fast 65 km/h unterwegs sind, mussten neue Motoren entwickelt werden. Der in Shanghai wiegt 1,6 Tonnen und bringt es auf 421 PS. Will man solche Leistung in noch größere Höhen transportieren, ist es schon wegen des enormen Eigengewichts auch nicht mehr mit den üblichen Stahlseilen getan: Modernere Zugseile bestehen inzwischen aus Kohlefasern. Das ist unfassbar teuer. Muss man noch erwähnen, dass die Kabinen der High-Speed-Fahrstühle aerodynamisch geformt und mit sensorgesteuertem Druckausgleich ausgestattet werden?

Der berühmte Architekt Frank Lloyd Wright, der Ende der Fünfzigerjahre Manhattan ausradieren und durch drei seiner "Mile High Illinois"-Türme (1609 Meter hoch) ersetzen lassen wollte, plante seine Aufzüge mit Atomantrieb. Weit ist man davon nicht mehr entfernt.

Interessanterweise kann man die Ambitionen für immer neue Rekord-Türme regional eingrenzen. Ob es nun um das höchste Apartment der Welt geht oder um den höchsten Pool der Welt: Die Planungen für immer spektakulärere Bauten kreisen meist um Asien, Saudi-Arabien oder auch Russland. Europa und selbst die USA (Chicago gilt als Geburtsstätte des modernen Wolkenkratzers) haben sich aus der Konkurrenz um immer höheren Höhen fast schon verabschiedet. Zukunftstaugliche Unternehmen wie Google, Facebook oder Apple denken über Hochhäuser gar nicht erst nach. Deren schon gebaute oder entworfene Headquarter sind in erster Linie grün - und in zweiter Linie am Boden. Unten ist das neue Oben.

Die Superlative überlässt man anderen. So? Ah ja? Die größte Turmuhr der Welt steht also in Mekka, sieht aus wie Big Ben, hat aber Zifferblätter mit einem Durchmesser von 43 Meter - wobei die Uhrzeit noch in acht Kilometer Entfernung ablesbar ist? Ja, gut, warum denn auch nicht. Inschallah. Die Frage ist nur, ob solches Titanentum wie das der "Abraj Al Bait Towers" (601 Meter) die Zukunft ist.

Ein Hochhaus in der Form eines eregierten Penis - ein Kommentar zur Psyche mancher Bauherren

SZ-Grafik; Quelle: The Skyscraper Center (Foto: tz)

Der österreichische Architekt Hans Hollein hat einmal ein Hochhaus in Form eines erigierten Penis entworfen. Das ist auch ein Kommentar zu der Frage, welche Psyche jene rekordsüchtigen Bauherren antreibt, die man sich naturgemäß als machtvolle, nicht immer rational veranlagte Männer vorstellen darf, die ihren Namen gern mit einem turmhohen Gerät in Verbindung bringen. Aber wenn man sich den braunen Bronze-Ton des vor Glimmer- und Tinnef-Interieur nur so ächzenden Trump-Towers an der Fifth Avenue in New York auch nur vorstellt, so ist man sofort gerne bereit, seine Uhr von München aus alternativ nach dem Big-Ben-Imitat in Mekka zu stellen.

Etwas Gutes hat das Trump-Türmchen, das auf der Liste der höchsten Gebäude von New York Platz 64 belegt, worüber man in Basra (Irak), wo man demnächst auch die 1000 Meter angehen will, nur lachen kann: Die Trump-Erektion ist nur 202 Meter hoch - und dort befindet man sich in einer Region, die ökologisch höchst interessant ist.

Wenn, bedingt durch den unumkehrbaren Prozess der Verstädterung, bis zum Jahr 2050 zwei Drittel aller Menschen in Mega-Citys leben, ist das Wachstum der Städte in die Höhe zwingend - und schon ökologisch geboten. Denn in Relation zur Einwohnerzahl ist Manhattan eher mit einem Bio-Gütesiegel zu feiern als das breiig sich ergießende Los Angeles.

Hochhäuser, zumal nachhaltig entwickelte, sind Teil unserer Zukunft. Das muss noch kein Hinweis auf psychische Auffälligkeiten sein, sondern markiert vielleicht einfach nur den Weg, den große Städte in aller Welt vor sich haben. Irgendwann aber werden die maßlos überteuerten, ökologisch verirrten und dann auch mitunter nur noch peinlich wirkenden Superwolkenkratzer, 800, 1000 oder 1600 Meter hoch, schon von Weitem als das zu erkennen sein, was sie sind: Dinosaurier. Zum Aussterben verurteilt. Und dann wird immer noch jeder Grashalm technologisch jedem Hochhaus weit überlegen sein.

© SZ vom 10.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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