Archäologie:Weg vom Wolf

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Wann und wo hat die Beziehung zwischen Mensch und Hund begonnen? (Foto: Ines Opifanti)

Wann und wo hat die Beziehung zwischen Mensch und Hund begonnen? Die Historie dieser Freundschaft ist schwer zu rekonstruieren.

Von Hubert Filser

Als Steinbrucharbeiter im Bonner Stadtteil Oberkassel die Überreste eines Mannes und einer Frau entdeckten, beachteten sie die Schädelknochen des Hundes zunächst gar nicht. Das Tier war wohl mit dem Paar begraben worden, was heute gar nicht mehr erlaubt ist. Erstaunlicher als das Grab an sich ist aber das Alter der Ruhestätte der drei Gefährten: 14 700 Jahre lagen ihre sterblichen Reste zusammen in der Erde.

Die Beziehung zwischen Mensch und Hund reicht weit zurück in die Vergangenheit. Der Hund war das erste Haustier, schon lange vor der Zeit, als die Menschen vor 11 000 Jahren sesshaft wurden und Häuser errichteten, lange bevor sie Getreide anbauten, Kühe molken oder Schweine und Schafe hüteten. "Alle Archäozoologen sind sich einig, dass Hunde nicht nur die ersten domestizierten Tiere waren, sondern dass das erste Auftreten der Hunde sehr viel früher passierte als die Anfänge der frühen Landwirtschaft", sagt Greger Larson, Paläogenetiker und Bioarchäologe von der Universität Oxford.

Nur wann und wo genau Wölfe zahm wurden, das ist in der Fachwelt bis heute umstritten. Der Ursprung dieser uralten Freundschaft zwischen Mensch und Tier bleibt unklar. Viele Forscher halten es für wahrscheinlich, dass Hunde den Menschen seit etwa 15 000 Jahren begleiten. Damit wäre der Hund von Oberkassel einer der frühesten Vertreter seiner Art. Manche Wissenschaftler vermuten jedoch, dass die Tiere noch viel länger mit dem Menschen zusammenleben.

Vor etwa 15000 Jahren wurde in Bonn ein Hund mit einem Mann und einer Frau bestattet

Die Spur führt nach Belgien, an den Fluss Samson. 15 Meter über dem Ufer in den steilen Kalksteinhängen öffnen sich die Eingänge zu den Höhlen von Goyet. Darin ist im 19. Jahrhundert unter anderem ein Tierschädel entdeckt worden, dessen Bedeutung Mietje Germonpré vom Königlich-Belgischen Institut für Naturwissenschaften in Brüssel erst jüngst erkannte. Aufgrund der verkürzten Form des Schädels ist sich die Paläologin sicher, dass es sich um Knochen des ältesten bekannten Hunds der Menschheitsgeschichte handelt. Das Tier lebte vor 32 000 Jahren, ergab eine Radiocarbon-Datierung.

Für Archäologen sind Veränderungen des Körperbaus wichtige Indizien, um Hund und Wolf zu unterscheiden. Hunde sind kleiner als Wölfe, ihre Proportionen haben sich verändert. Schädel ausgewachsener Wölfe sind größer, typisch sind auch ihre mächtigen Kiefer und die weiter vorstehende Schnauze. Bei Hunden verkürzten sich die Ober- und Unterkiefer. In der Folge schoben sich die Zähne zusammen, lagen oft schräg gestaffelt eng beieinander. Der Hund aus Bonn hatte dieses typische Gebiss. Am Schädel von Goyet ist sie noch nicht deutlich ausgeprägt, doch er ähnelt dem eines Hundes.

Jüngste genetische Untersuchungen zeigten zwar, dass dieser Hund wohl keinen Wolf als Vorfahren hatte, allerdings ist er auch nicht mit heute lebenden Hunden verwandt. "Vielleicht war er ein Vertreter einer eigenen, inzwischen ausgestorbenen Art", sagt Larson. "Alle anderen bekannten prähistorischen Hunde wie der aus Oberkassel sind mindestens 17 000 Jahre jünger. Das ist eine fast irrwitzig große Lücke, ich bleibe da skeptisch."

Auch Genetiker mischen sich in die Diskussion ein, mit teils sehr widersprüchlichen Ergebnissen. Inzwischen haben sich unter diesen Forschern zwei Lager herausgebildet. Die einen vermuten wie Peter Savolainen vom Königlichen Institut für Technologie in Stockholm Südostasien als Ursprungsort des domestizierten Hundes. Der Genetiker und seine chinesischen Kollegen glichen dafür das Erbgut von 40 weiblichen Wölfen aus Europa und Asien mit dem von 1576 Hunden unterschiedlicher Rassen weltweit ab. Savolainen kam so auf die Provinz Yunnan südlich des Yangtse in China: Vor etwa 16 300 Jahren sollen sich dort erstmals Wölfe zu Hunden entwickelt haben.

Dem widersprechen Ergebnisse einer Gruppe um Olaf Thalmann von der finnischen Universität Turku. Er untersuchte die mitochondriale DNA von 18 prähistorischen Hunden aus Europa, Asien und Amerika, darunter auch die des Hundes aus dem Grab von Oberkassel, und verglich sie mit Gensequenzen moderner Hunde und Wölfe weltweit. Thalmann hält es für wahrscheinlich, dass der Hund in Europa domestiziert worden ist, irgendwann zwischen 18 800 und 32 100 Jahren vor heute.

Im Sommer 2015 veröffentlichten schließlich schwedische Forscher um Pontus Skoglund ihre Gen-Analyse eines Wolfs, der vor etwa 35 000 Jahren im Norden Sibiriens lebte. Zur Überraschung der Forscher hatte sich offenbar seine Linie sowohl von der heute noch lebender Grauer Wölfe wie auch von der Hunde-Linie abgespalten. Die Forscher sehen den Taimyr-Wolf als eigene Art an, so wie auch der Hund von Goyet eine gewesen sein könnte. Ihrer Meinung nach seien Hunde vor etwa 30 000 Jahren domestiziert worden. Der Stammbaum bleibt kompliziert.

Tatsächlich ist die genetische Analyse auch aufgrund der speziellen Geschichte von Hund und Wolf sehr anspruchsvoll. In den vergangenen 10 000 Jahren vermischten sich immer wieder alle möglichen Hunde- und Wolf-Populationen in Europa, Asien und Nordamerika. Die Ur-Population könnte auch längst ausgestorben sein, so dass es von ihr heute keine genetischen Signaturen mehr gibt, so Larson. Dies würde alle Versuche erschweren, Ursprungsort und -zeitpunkt der Domestizierung zu finden.

Möglicherweise wird die Spurensuche am Ende nicht nur einen Ursprungsort ergeben. Vielleicht wurde der Wolf nämlich nicht langsam zum Hund domestiziert und dann immer weiter gezüchtet; denn Wölfe ließen sich nicht gut zähmen, sagen Archäozoologen. Eher könne man ihn als eine Art Kulturfolger sehen, der von den Abfällen der Menschen lebte. So wie es auch heute noch drei Viertel der knapp einer Milliarde Hunde weltweit tun, die nicht als Haustiere leben.

Aufgrund seines unglaublichen Variantenreichtums, seiner Anpassungsfähigkeit und seines großen Verbreitungsgebiets könnten an mehreren Regionen der Erde Bedingungen geherrscht haben, unter denen sich der Wolf an den Menschen annäherte. Er besiedelte einst mehr als 50 Prozent der Landoberfläche der Erde, hatte damit das größte Verbreitungsgebiet aller Säugetiere. Er kam in der gesamten nördlichen Hemisphäre vor, überall in Europa, auf der arabischen Halbinsel, im nördlichen Indien, China, Russland, in Nordamerika bis Mexiko. Er besiedelte alle Klimazonen, vom Polarkreis bis zum Regenwald, von den Hochgebirgsregionen bis hinunter zu den Küsten.

Da ist die Idee naheliegend, dass Hunde nicht nur einmal entstanden, sondern an mehreren Orten der Erde.

© SZ vom 13.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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