Aids-Forscher Gallo:"Eine kräftige Ohrfeige"

Robert Gallo ließ sich einst als Entdecker des Aids-Virus feiern und hoffte auf den Nobelpreis. Doch die Jury in Stockholm strafte ihn ab.

Christina Berndt

Seit Jahren haben sich die Aids-Forscher der ersten Stunde auf diesen Montag vorbereitet. Um ihre Chancen auf den Medizin-Nobelpreis zu erhöhen, haben sie sogar ihren finsteren Streit beigelegt, der sie, die Patentgerichte und sogar die Regierungen ihrer Länder jahrelang beschäftigt hat.

Aids-Forscher Gallo: Ging leer aus: Robert Gallo.

Ging leer aus: Robert Gallo.

(Foto: Foto: AP)

Das Nobelkomitee galt bisher immer als konfliktscheu. Da rechneten sich die Forscher aus Frankreich und den USA größere Chancen aus, wenn sie sich wieder vertrugen.

Die Rechnung ist nun für die eine Partei aufgegangen. Die beiden französischen Entdecker des Aids-Erregers HIV, Luc Montagnier und Francoise Barré-Sinoussi, werden neben dem deutschen Virologen Harald zur Hausen in diesem Jahr den Medizin-Nobelpreis bekommen.

Lang genug hat es ja gedauert, dass nun endlich für diesen wichtigen Forschungsbereich die höchsten wissenschaftlichen Ehren vergeben werden. Immerhin hat die Entdeckung von HIV die Entwicklung erfolgreicher Medikamente gegen die Immunschwächekrankheit erst möglich gemacht.

Doch auch wenn mit Blick auf den Nobelpreis in den letzten Jahren viele Beteiligte Kreide gefressen haben: Die andere Partei ist leer ausgegangen, in persona der Amerikaner Robert Gallo.

Er fühle sich bei der Vergabe übergangen, sagte er denn auch am Montag nach der Verkündigung der diesjährigen Preisträger - eine Bemerkung, die das Nobel-Komitee nur zu einem trockenen Kommentar bewegt: "Hätten wir den geringsten Zweifel gehabt, ob mehr Wissenschaftler entscheidend an dieser Entdeckung beteiligt waren, hätten wir ganz bestimmt niemanden ausgeschlossen", sagt Bo Angelin vom Komitee. "Im Übrigen kommentieren wir prinzipiell nie Personen, die den Nobelpreis nicht bekommen haben."

Tatsächlich gilt es in Fachkreisen inzwischen als unstrittig, dass Luc Montagnier mit seiner Mitarbeiterin Barré-Sinoussi am Institut Pasteur in Paris 1983 als erster jenes geheimnisvolle Virus isoliert hat, das eine ebenso gefährliche wie schwer zu ergründende Seuche unter Homosexuellen in Gang gesetzt hatte.

Doch bis sich diese Erkenntnis durchsetzte, wurde in der HIV-Forschung intrigiert, betrogen und gefälscht. Und auch wenn der draufgängerische Italo-Amerikaner Gallo daran den größeren Anteil hatte, so spielte auch der wohlerzogene Bordeaux-Liebhaber Montagnier das Spiel mit. Schließlich ging es nicht nur um wissenschaftliche Ehren wie den jetzt vergebenen Medizin-Nobelpreis, sondern auch um handfeste finanzielle Interessen.

Krieg um Ehre und Tantiemen

Als das Virus entdeckt war, war es beiden Forschergruppen dies- und jenseits des Atlantiks schnell gelungen, einen Bluttest für das Virus zu entwickeln. Dieser konnte helfen, eine Infektion zu diagnostizieren, aber auch Menschen in aller Welt davor schützen, sich bei einer Bluttransfusion mit dem tödlichen Erreger anzustecken.

Montagnier und Gallo beantragten beide ein Patent für ihren Aidstest, Montagnier sogar ein halbes Jahr vor Gallo, doch der Amerikaner bekam es eher vom US-Patentamt erteilt. Der Krieg um Ehre und Tantiemen brach offen aus, als Gallo 1984 auf einer filmreif inszenierten Pressekonferenz verkündete, er habe das Aids-Virus entdeckt.

Seine Erfolge hatten einen gewaltigen Schönheitsfehler: Das Virus, mit dem Gallo arbeitete, stammte offenbar aus Montagniers Labor. Der Franzose hatte dem Amerikaner 1983 eine Probe zu Forschungszwecken geschickt, wie das unter Wissenschaftlern üblich ist. Unabhängig davon habe er sein Virus aber selbst isoliert, behauptete Gallo.

Das war wenig überzeugend, der Aids-Erreger verändert sich so schnell, dass es kaum zwei Menschen auf der Erde mit identischen HI-Viren im Blut gibt. Alles sei ein dummer Zufall, lautete Gallos schwache Ausrede: Sein Virus sei nur durch die Probe aus Paris verseucht worden. Bis 1987 stritten die beiden Forscher vor Gericht.

Dann wurden sie trotz aller Zweifel auf höchster politischer Ebene zu Co-Entdeckern erklärt: Der französische Premier Jacques Chirac und US-Präsident Ronald Reagan einigten sich darauf, die Patent-Einnahmen aufzuteilen.

Wenige Jahre später aber bekamen die Amerikaner doch Zweifel an der Ehrbarkeit ihres Landsmanns: 1992 beschuldigte eine Kommission der US-Gesundheitsbehörde Gallo des "wissenschaftlichen Fehlverhaltens"; allerdings nahm sie den Beschluss ein Jahr später wieder zurück.

Besonders belastete Gallo eine handschriftliche Anmerkung, die er in das Manuskript seines Mitarbeiters Mikulas Popovic schrieb: Der hatte unter der in wissenschaftlichen Publikationen üblichen Rubrik "Material und Methoden" das Pariser Labor als Quelle für die verwendeten Viren genannt. "Mika, are you crazy?", notierte Gallo.

Zuletzt normalisierte sich das Verhältnis der beiden Virologen zumindest ein wenig. Man bekam gemeinsam Preise und nahm sie auch zähneknirschend gemeinsam an.

Nur eine Auszeichnung gab es nicht, obwohl die ganze Welt darauf wartete: den Nobelpreis, der ohne die Schlammschlacht wohl längst für die Entdeckung eines so bedeutenden Krankheitserregers vergeben worden wäre. Nun ist sich die Szene einig, dass das Nobel-Komitee richtig und vernünftig entschieden hat. "Eine bemerkenswerte Entscheidung", lobt Bernhard Fleckenstein von der Universität Erlangen/Nürnberg, auch wenn sie "eine kräftige Ohrfeige für Bob" bedeute.

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