Älteste Uni Deutschlands:Volles Programm

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Studierende im Hörsaal: "Semper apertus", immer offen, lautet das erstaunlich moderne Motto der Ruprecht-Karls-Universität. (Foto: dpa)

Die Universität Heidelberg setzt auf Weltoffenheit und den Austausch der Disziplinen. Die Einrichtung hat eine wechselvolle Geschichte.

Von Jutta Pilgram

Wie kleine grüne Lanzen ragen die Blätter des Spitzwegerichs aus der Wiese. Friederike Niestroj zupft ein Blatt ab und zerreibt es zwischen den Fingern. "Spitzwegerich hilft bei Husten und Insektenstichen", sagt die Diplom-Biologin. "Wie viele andere Heilpflanzen wird er bis heute in Arzneimitteln verarbeitet." Niestroj führt durch den Botanischen Garten der Universität Heidelberg, einen der ältesten Medizinalgärten überhaupt. "Angelegt hat ihn vor mehr als 400 Jahren ein Medizinprofessor in der Nähe des Heidelberger Schlosses", sagt sie. Später wurde er auf die andere Neckarseite umgesiedelt. Dort liegt er heute im Zentrum des Neuenheimer Felds.

Das Neuenheimer Feld ist ein Neubaugebiet am Nordufer des Neckars, nicht weit entfernt von der Altstadt. Hier, zwischen Zoo, Obstgärten und Gemüsefeldern, ist in den vergangenen Jahrzehnten ein hochmoderner Campus entstanden. Nach dem Botanischen Garten zogen auch andere Teile der Universität ins Neuenheimer Feld. Vor allem die Medizin und die Naturwissenschaften, für die es in der verwinkelten Altstadt und im benachbarten Stadtteil Bergheim zu eng geworden war, breiten sich nun auf der anderen Seite des Neckars aus. Und noch immer wird gebaut.

Die tropischen Gewächshäuser des Botanischen Gartens grenzen an das Deutsche Krebsforschungszentrum, die Freilandbeete an den Forschungskomplex "Theoretikum". Hinter der verwunschenen Farnschlucht ragen Kräne in den Himmel, auf einem Rohbau thront ein rundes Dach, das an ein Ufo erinnert. Es ist der Hubschrauberlandeplatz der neuen Chirurgischen Klinik. Im Osten begrenzen drei wuchtige Kalksteinblöcke das Feld: Das "Mathematikon" wurde im vergangenen November eröffnet und beherbergt nun alle Institute der Informatiker und Mathematiker. "Diese räumliche und inhaltliche Verschränkung der Disziplinen ist über Jahrzehnte gewachsen und strategisch gefördert worden", sagt Rektor Professor Bernhard Eitel, "das schafft herausragende Forschungsbedingungen."

Die Universität Heidelberg ist die älteste Hochschule Deutschlands. Doch das ist nicht der einzige Superlativ, mit dem sie sich schmückt. Sie hat die meisten Nobelpreisträger des Landes hervorgebracht. Sie belegt in allen maßgeblichen Rankings einen der ersten drei Plätze für Deutschland, ihre Bibliothek rangiert sogar auf Platz eins der entsprechenden Liste. Dabei zählt sie mit knapp 31 000 Studenten und 523 Professoren nicht einmal zu den größten Hochschulen des Landes.

Doch ihr internationaler Ruf ist einzigartig. Als erste deutsche Universität gründete sie Niederlassungen im Ausland, zum Beispiel in Santiago de Chile, in New York, Kyoto und Delhi. So wundert es nicht, dass sie unter ausländischen Doktoranden das beliebteste Ziel in Deutschland ist. Und auch viele internationale Studenten zieht es in die Stadt der deutschen Romantik, was vermutlich auch am heimeligen Flair der Altstadt liegt.

"Semper apertus", immer offen, lautet das erstaunlich moderne Motto der Ruprecht-Karls-Universität. Das war nicht immer so: Im Mittelalter, als die junge Universität unter Raumnot litt und die Vorlesungen in Klöstern abgehalten werden mussten, vertrieb Kurfürst Ruprecht II. kurzerhand die Juden aus der Stadt, um deren Häuser zu nutzen. Und in den 1930er- Jahren war Heidelberg die erste Volluniversität in Deutschland, die sich zur nationalsozialistischen Hochschule erklärte und das Führerprinzip einführte, also freiwillig ihre Autonomie aufgab.

Heidelberg will auch in der nächsten Runde der Exzellenzinitiative glänzen

Heute prägt Weltoffenheit die Atmosphäre in Heidelberg. Als eine der forschungsstärksten Hochschulen Europas setzt die Universität auf die Förderung der Interdisziplinärität, auf internationalen Austausch und die Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wirtschaft. Mit ihrem Konzept "Zukunft einer Volluniversität" will sie auch bei der nächsten Runde der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern glänzen. In einer Volluniversität ist das Studium aller grundlegenden Fächer möglich: In Heidelberg können Studenten aus 158 Studiengängen wählen, "ein nahezu einmaliges Fächerspektrum", wie Eitel sagt.

Wichtiger Teil des Zukunftskonzepts ist das Marsilius-Kolleg. Es soll Brücken schlagen zwischen den Wissenschaftskulturen in der Stadt. Gegründet wurde es vor neun Jahren, im April bezog es einen Neubau im Neuenheimer Feld, die Marsilius-Arkaden, in denen auch große Teile des Uniklinikums untergebracht sind.

"Das Kolleg ist Thinktank und Impulsgeber für die disziplinenübergreifende Bearbeitung großer gesellschaftlicher Fragen", sagt der Rektor. So arbeiten derzeit im Projekt "Menschenbild und Menschenwürde" Mediziner mit Theologen zusammen. Das Thema "Climate Engineering" erarbeiten Ökonomen, Juristen und Psychologen mit Geografen und Physikern. Und mit "Perspektiven des Alterns" beschäftigen sich Gerontologen gemeinsam mit Soziologen und Germanisten. Die älteste deutsche Hochschule zeigt sich auch hier sehr jung.

© SZ vom 21.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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