Zinsgeschäfte in Sachsen:Wenn der Kämmerer zockt

Mit hochspekulativen Zinsgeschäften haben mindestens 40 sächsische Städte, Landkreise, kommunale Betriebe und Zweckverbände Geld verloren. Es geht um ein Geschäftsvolumen von mehr als einer halben Milliarde Euro. Eigentlich sollten so Schulden vermieden werden. Doch nun stehen viele Kommunen kurz vor der Pleite.

Steffen Uhlmann, Dresden

"Für mich ist das Teufelszeug, im schlimmsten Fall müssen wir 4,5 Millionen Euro berappen", sagt Landrat Volker Uhlig vom Landkreis Mittelsachsen. Astrid Hamann, Kämmerin von Dippoldiswalde klagt: "Die Bank hätte uns dieses Produkt aufgrund ihres spekulativen Charakters gar nicht anbieten dürfen."

Mindestens 40 sächsische Städte und Landkreise, aber auch kommunale Betriebe und Zweckverbände haben sich auf hochriskante Zinsgeschäfte eingelassen. Mehr als 200 Swap-Geschäfte mit einem Volumen von über einer halben Milliarde Euro hat der sächsische Landesrechnungshof gezählt. Die Zinsgeschäfte sollten den Kommunen weitere Schulden ersparen. "Moderne Zinsoptimierung" hieß das, doch was den sächsischen Kommunalen vor einigen Jahren als wundersame Geldvermehrung verkauft wurde, entpuppt sich als Zockerei mit anvertrauten Steuergeldern. Viele Kommunen stehen kurz vor der Pleite.

Die sächsische Landesregierung hat nun die Notbremse gezogen und den Städten und Gemeinden spekulative Zinswetten verboten. Das Innenministerium hat dazu dem Landtag einen Gesetzentwurf vorgelegt, das ein generelles Spekulationsverbot für kommunale Finanzgeschäfte in der Gemeindeordnung festschreibt. Schon zuvor hatte das Ministerium allen betroffenen Städten und Kreisen empfohlen, Schadenersatzansprüche gegenüber Banken zu prüfen und auch vor Gericht auszutragen.

Verbote und Klagen - gut und schön", sagt Friedrich Schlosser (CDU). Er ist der Oberbürgermeister von Flöha, einer Stadt in der Nähe von Chemnitz. "Letztlich bleibt alles an uns hängen." Schlosser fühlt sich von der Landesregierung allein gelassen. "Ende der 90er Jahre hat man die sächsischen Kommunen aufgefordert, nach modernen Finanzierungsmethoden wie Derivate-Geschäften zu greifen, um die Haushaltskasse aufzubessern", sagt er. "Genau das haben wir gemacht und sind in die Anlagefalle getappt."

Dabei sah sich Schlosser anfangs auf der sicheren Seite. Die von der Kreissparkasse Flöha vermittelten und mit der inzwischen in der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) aufgegangenen Sachsen LB abgeschlossenen Zins-Swap-Geschäfte waren zunächst lukrativ. "Wir haben knapp 400 000 Euro gut gemacht", sagt Schlosser. "Wir hatten keinen Grund, den Landesbankern zu misstrauen."

Dabei hätten die Kommunalen allen Grund dazu gehabt. Die Chance, anfänglich Zinslasten zu vermindern, werden bei solchen Finanzprodukten durch die Übernahme von erheblichen Risiken in der Zukunft erkauft - allerdings einseitig zu Lasten der Kommunen, während das Risiko der Bank überschaubar bleibt.

"Die Bank hat die Gewinnchance, die Kommune trägt das Risiko"

Wolf Dieter Ihle von der Sachsen Asset Management GmbH (SAM) in Leipzig, die für Kommunen die komplizierten Geschäfte analysiert und sie jetzt auch berät, sieht das nüchtern: "Die Bank hat die Gewinnchance, die Kommune trägt das Risiko." Das aber hätten viele Banker bei den Vertragsverhandlungen gern unter den Tisch fallen lassen, sagt Ihle. Stattdessen sei man den Kommunen mit immer undurchsichtigeren Finanzkonstruktionen gekommen. "Das waren ausgemacht toxische Derivate, von denen die Kommunen die Finger lassen müssen und die ihnen auch gar nicht angeboten werden dürften", meint Ihle.

Flöha hat das nicht getan und muss nun draufzahlen. Wenn es schlecht läuft, muss die Stadt bis 2024 über 50 Millionen Euro an die LBBW zahlen. Löst sie den Vertrag sofort auf, sind knapp 30 Millionen Euro fällig. "Wir sind schon bei fünf Millionen Euro tot", bekennt Schlosser. "Wir sind einfach nicht dezidiert über die enormen Risiken der Wetten aufgeklärt worden. Und das auch noch von einer Landesbank."

Schlosser lässt nun von einer Anwaltskanzlei prüfen, ob eine Klage gegen die Bank erfolgreich sein könnte. Seit im vergangenen Jahr der Bundesgerichtshof die Deutsche Bank zur Zahlung von 541 000 Euro Schadenersatz an ein mittelständisches Unternehmen verurteilt hat, gibt es wieder Hoffnung.

Landrat Uhlig hat die LBBW bereits verklagt. Freitag vergangener Woche sollte dazu der Prozess am Stuttgarter Landgericht eröffnet werden. Doch der Richter wurde krank und der erste Prozess eines sächsischen Landkreises wegen eines strittigen Swap-Geschäfts musste auf Ende Juni verschoben werden.

Auch der Freistaat schaltet die Anwälte ein und geht gegen leichtgläubige oder waghalsige Kämmerer vor. Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt gegen den Kämmerer von Riesa. Er versuchte zu Hochzeiten mehr als 30 Swaps zu managen und trieb damit die Stadt in immer neue Risiken. Aktuell belaufen sich die Schulden, die durch die Zinsgeschäfte entstanden sind auf 22 Millionen Euro - mehr als doppelt so viel, wie die jährlichen Gewerbesteuereinnahmen.

Laut Wolf Dieter Ihle drohen dem Freistaat jetzt überall "kleine Griechenlands". Nur seien die sächsischen Kommunen schlechter dran, sagt Ihle. "Die Griechen haben wenigstens das Geld ausgegeben, was jetzt fehlt - Flöha und die anderen Städte haben nur Kosten und nichts konsumiert."

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