Zentralbankchefin Valerija Gontarewa:Erfolgreich versagt

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Sie hatte Fans und Feinde: Valerija Gontarewa in ihrem Büro in Kiew. (Foto: Vincent Mundy/Bloomberg)

Sie erhielt Morddrohungen, Gegner werfen ihr Interessenskonflikte vor. Die Zentralbankchefin der Ukraine reformierte aber auch das undurchsichtige Bankensystem. Jetzt gibt sie ihr Amt auf.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Der Rücktritt von Valerija Gontarewa, Gouverneurin der Nationalbank, ist in der Ukraine eine viel diskutierte Personalentscheidung. Für sie selbst war es vielleicht ein Rettungsakt. Gontarewa war zwar bei westlichen Partnern sehr geschätzt, weil sie im maroden Bankensektor aufgeräumt hatte, aber daheim wurde sie immer wieder bedroht. Einmal stand, zur Warnung, ein Sarg vor ihrer Haustür, einmal war das Bild eines Schweins an ihre Wand gesprayt.

Auch deshalb wurde in Kiew seit Monaten gemutmaßt, sie werde demnächst zurücktreten. Fast jede Woche hieß es, jetzt sei es soweit, viele hatten sie längst abgeschrieben. Doch Gontarewa legte Wert auf die Feststellung, dass sie sich nicht abschreiben lasse, sondern selbst den Zeitpunkt ihrer Demission bestimmen werde. Und dass sie den Präsidenten einen Monat im Voraus über ihre Entscheidung informieren werde. Genau das hat sie nun getan: Am Montag hat Gontarewa nach drei Jahren in einem schwierigen Amt ihren Rücktritt für Mitte Mai angekündigt.

Jene, die auf ihren Rücktritt setzten, hielten allerdings auch ein Hinauswurf nicht für unwahrscheinlich. Mächtige Gegner aus dem Kreis ukrainischer Oligarchen hatten ganze Pamphlete gegen sie verfasst, die auch auf Sitzungen westlicher Geldgeber verteilt wurden. Antikorruptionsaktivisten warfen ihr vor, sie habe zu oft private Interessen und Job vermischt, sei als ehemalige Investmentbankerin, die vor allem für Unternehmen des Präsidenten gearbeitet hatte, nicht neutral. Ökonomen warfen ihr vor, sie habe den Verfall der Landeswährung, der Griwna, nicht aufgehalten und damit viele Menschen in die Armut gestürzt. Andere klagten, sie habe den Aktivitäten russischer Banken in der Ukraine nicht genug Einhalt geboten. Ihrem Nachfolger, wer immer es sei, müsse sie daher sagen: "Sei stark", sagte Gontarewa am Montag. Sie selbst habe ihren Job gemacht, mission accomplished, sozusagen, sie könne guten Gewissens gehen. Aber stimmt das, hat sie ihren Job gemacht?

Die wichtigste Leistung der mächtigen Nationalbankchefin, die bis zuletzt vom Internationalen Währungsfonds gestützt wurde und sich auch die Freigabe der jüngsten IWF-Tranche von einer Million Dollar als Verdienst anrechen kann, ist sicherlich die Säuberung des Bankensektors von Dutzenden "Zombie-Banken". Mehr als 80 Geldinstitute wurden in ihrer Amtszeit geschlossen, die vor allem als Durchlaufstation für Oligarchengelder fungierten, indem ihre milliardenschweren Besitzer sie für Geldwäsche und Geldtranfers auf Offshore-Konten nutzten. Dieses Modell war in dem osteuropäischen Land gang und gebe: Oligarchen gründeten eine Bank quasi zum Eigengebrauch und vergaben Kredite an abhängige Unternehmen, darunter viele Scheinfirmen ohne echte Wirtschaftsaktivitäten, die diese Kredite dann in den seltensten Fällen zurückzahlten. Mischte sich der Staat ein, prüfte die Nationalbank diese Firmen qua Stresstest und forderte ausreichende Eigenkapitalbasis oder Liquidität, liehen sich diese Banken umgehend von der Nationalbank zur Sanierung Geld, nur um auch dies ins Ausland zu schaffen und kurz darauf pleite zu gehen. Das Risiko lag beim Staat, die faulen Kredite landeten bei ihm, die Schulden auch - und damit beim Steuerzahler.

Wer wird wohl der Nachfolger? Sicher jemand, dem der Präsident blind vertraut

Gontarewa kommt das Verdienst zu, auf Druck des IWF, der Weltbank und der EU, dieses System nicht nur in Frage gestellt sondern in Ansätzen auch reformiert zu haben. Heute sind so genannte related party loans, die an abhängige Firmen oder Personen ausgereicht werden, sehr viel schwerer zu vergeben, und auch die Besitzstrukturen bei den Banken sind aufgrund neuer Gesetze weit transparenter als früher. Problematisch bleibt allerdings, und das werfen viele regierungskritische Organisationen der Nationalbank und ihrer scheidenden Chefin vor, dass bis zuletzt Geldwäsche und Korruption bei zahlreichen Banken unter Aufsicht der Kontrolleure der Nationalbank und womöglich mit deren Wissen geschehen seien. Nationalbank-Angestellte als Profiteure der großen Selbstbedienungsmaschine - das ist zumindest nicht abwegig. Dass Gontarewa selbst mitverdient hat, dafür gibt es keine Beweise.

Ihre Fans sind der Vertrauten des Präsidenten dankbar, weil sie nach monatelangen Vorbereitungen im Dezember dem Abfluss des Geldes aus der größten und mächtigsten Oligarchenbank des Landes, der Privatbank von Milliardär Ihor Kolomojsky, ein Ende bereitet hatte. Etwa 90 Prozent faule Kredite hatte die Privatbank in ihren Portfolios, hohe Staatskredite, mit denen sie sich refinanziert hatte, waren außer Landes gebracht worden. Zum Schluss saß die Ukraine auf etwa sechs Milliarden Schulden, die ihr Kolomojsky hinterlassen hatte. Dieser Fall zeigt, wie viele Grauschattierungen, wie wenig Schwarz und Weiß sich im Resümee von Gontarewa finden: Die Privatbank wurde verstaatlicht, das ist ein Erfolg. Aber sie wurde so spät verstaatlicht, dass Milliarden Dollar in Steueroasen liegen, das ist ein Versagen.

In der Ukraine wartet man nun gespannt, wer Gontarewa nachfolgt. Kaum jemand hegt Zweifel daran, dass es wieder jemand ist, dem der Präsident blind vertraut.

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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