WTO:Die Sanduhr läuft ab

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Nach dem Kompromiss auf der Welthandelskonferenz in Hongkong: Von einem guten Ergebnis kann man nicht reden.

Alexander Hagelüken

Am Ende haben sich die Verhandler ein Ergebnis abgerungen, um den Welthandelsgipfel vor einem Fiasko zu bewahren. Es handelt sich um ein kleines Päckchen, das unter jedem Weihnachtsbaum traurig aussähe: Die reichen Länder kürzen ihre Agrarsubventionen ein wenig und gewähren den ärmsten Staaten etwas mehr Exportchancen.

Proteste gegen die WTO im Hafen von Hongkong (Foto: Foto: dpa)

Das ist wenig, es wäre unter normalen Umständen kaum der Rede wert. Doch die Welthandelsorganisation WTO steckt in einer Krise, und so geht es schon als Erfolg durch, dass sich die Mitgliedsstaaten nicht völlig verkrachten - wie auf vorherigen Gipfeln.

150 Staaten versammelt die WTO inzwischen, beinahe die ganze Welt, und die hat sich in Hongkong eine kleine Chance auf das geplante große Zollsenkungsabkommen erhalten; eine kleine Chance darauf, die Globalisierung doch noch gemeinsam zu steuern, gerecht für Arm und Reich. Die Zeit für den Abschluss verrinnt rasant.

Hongkong hat demonstriert, dass die Weltgemeinschaft für ein neues Abkommen immer noch nicht bereit ist, obwohl der letzte Vertrag schon eine Dekade zurückliegt. Der Westen will alle Exportschranken für seine Autos oder Medikamente niederreißen, ohne seine Agrarmärkte ernsthaft für die Dritte Welt zu öffnen. Dieser einseitigen Globalisierung verweigern sich die armen Länder; das beweist, dass die WTO wirklich ein Podium der ganzen Welt ist.

Allerdings drücken sich auch Schwellenländer wie Brasilien vor Zugeständnissen, und so ist der Stillstand in Hongkong den Nicht-so-Armen genauso zuzuschreiben wie den Reichen.

Letztlich drückt sich in den zähen Verhandlungen ein Unbehagen an der Globalisierung aus. Freihandel leidet darunter, dass er zwar der Masse der Arbeitnehmer und Konsumenten nutzt, sich aber nur die Opfer des wirtschaftlichen Wandels zur Wort melden: Europäische Bauern etwa.

Warum sich EU oder USA davon ihre Politik diktieren lassen und ihre Agrarmärkte abschotten, ist unverständlich: Sie sind reich genug, offensiv Exportzuwächse für ihre Industrie aus einer Marktöffnung anzusteuern und den Verlierern des Wandels zu helfen. Unterm Strich brächte das großen Gewinn.

Komplizierter liegt der Fall in den ärmeren Ländern, in denen die Verlierer dem Wandel voll ausgesetzt werden. Wenn WTO-Kritiker das Schicksal indonesischer Fischer oder mexikanischer Maispflanzer beklagen, berühren sie wunde Punkte.

Nur: Welcher Schluss lässt sich daraus ziehen? Freihandel und Industrialisierung abzublocken, wie es manche Kritiker fordern? Das nähme den armen Staaten jede Chance auf Entwicklung und Wohlstand. Es muss den ärmeren Staaten im neuen Handelsabkommen Zeit gegeben werden, sich anzupassen und Produkte für den Export zu entwickeln. Und man muss dazu beitragen, dass die Gewinne aus der Liberalisierung möglichst schnell verteilt werden.

An der extremen Ungleichheit in Dritte-Welt-Ländern ist ein Mangel an Demokratie und Arbeiterrechten schuld. Der Westen kann helfen, indem er unabhängige Parteien und Gewerkschaften fördert, kurz: den Aufbau der Zivilgesellschaft.

Die WTO benötigt effektive internationale Institutionen neben sich, die zusätzlich zum Handel auch Demokratie und Menschenrechte globalisieren. Ohne diese Ergänzung wird der Versuch scheitern, die Welt zu einem großen Markt zu machen, von dem alle profitieren.

Diese Fragen spielten in Hongkong keine Rolle. Die WTO-Mitglieder waren vollauf beschäftigt, sich kleinste Zugeständnisse zu entreißen. Die Sanduhr läuft ab. Hongkong hat das Risiko erhöht, dass sich die USA, Asien und die EU von der WTO abwenden und einzelne Handelsverträge abschließen, bei denen sich die Starken gegen die Schwachen durchsetzen werden.

Es wäre das Ende des Versuchs, bei der Globalisierung einen fairen Ausgleich zwischen reichen und armen Ländern zu finden.

© SZ vom 19.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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