Wirtschaftskrise:Verschätzt in jeder Hinsicht

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Die Krise entfaltet eine verheerende Wirkung: Die Bombe in den Staatskassen tickt bereits jetzt vernehmlich, in der nächsten Legislaturperiode wird sie explodieren.

Guido Bohsem und Thomas Öchsner

Auf der vierten Etage des Finanzministeriums, da wo Ressortchef Peer Steinbrück sein Büro hat, kann man die Krise für einen Augenblick vergessen und sich in eine optimistischere Zeit zurückträumen. An einer der vielen Bürotüren hängt noch eins von den Plakaten, mit dem Steinbrück seinen Erfolg als Sparmeister und Haushaltskonsolidierer hinausposaunte. Es stammt aus dem Sommer 2008, und da war Steinbrück noch davon überzeugt, spätestens 2011, vielleicht schon 2010 keine neuen Schulden mehr aufnehmen zu müssen.

Der schöne Traum von einer schuldenfreien Zukunft ist geplatzt (Foto: Foto: ddp)

Wenn am 14. Mai gegen Mittag in eben dieser Ministeriumsetage ein Fax von den Steuerschätzern eintrifft, wird endgültig klar sein, dass dieser schöne Traum einer schuldenfreien Zukunft geplatzt ist. Das Poster ist nur noch ein Fall für den Reißwolf. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat Steinbrücks Plan zerstört. Auch wenn er noch zwei Legislaturperioden Finanzminister bleiben sollte, eine schwarze Null würde er nicht vorweisen können. Was für den Staatshaushalt gilt, gilt genauso für die Sozialkassen. Mit ein bis zwei Jahren Verzögerung wird die Krise auch sie erreichen und für Defizite in zweistelliger Milliardenhöhe sorgen. Die Bombe in den Staatskassen tickt bereits jetzt vernehmlich, in der nächsten Legislaturperiode wird sie explodieren.

Träumerische Annahmen

Laut der träumerischen Annahmen aus dem Sommer 2008 hätte der Bund zwischen 2009 und 2013 insgesamt nur noch 16,5 Milliarden Euro Schulden aufnehmen müssen. Tatsächlich wird die Summe 24 mal höher sein. Nach Berechnungen der Haushälter der Unionsfraktion muss der Bund bis 2013 insgesamt 401,4 Milliarden Euro über Kredite finanzieren.

Noch nicht einbezogen in diese gigantische Summe sind Ausfälle aus den sogenannten Bad Banks, mit denen die Finanzinstitute von Schrottpapieren im Wert von mehr als 250 Milliarden Euro befreit werden sollen. Falls diese Anlagen nicht wieder überraschend an Wert gewinnen, dürften in den nächsten 20 Jahren weitere Finanzlöcher im dreistelligen Milliardenbereich erwachsen.

Die Steuerschätzer werden nach Ansicht von Experten zu dem Ergebnis kommen, dass Bund, Ländern und Gemeinden in den nächsten vier Jahren mehr als 220 Milliarden Euro fehlen werden.

Etwa zwölf Milliarden Euro an Steuergeldern dürften alleine dem Bundeshaushalt in diesem Jahr fehlen. Steinbrück kündigte am Mittwoch im Kabinett an, Kredite von rund 80 Milliarden Euro aufnehmen zu müssen, um den Bundeshaushalt am Laufen zu halten, die Konjunkturpakete zu finanzieren, die Banken zu retten und die höheren Ausgaben durch die gestiegene Arbeitslosigkeit begleichen zu können.

Glaubt man den führenden Wirtschaftsforschungsinstituten, wird die Zahl der Menschen ohne Job noch im laufenden Jahr auf 3,7 Millionen anwachsen. Das ist ein Plus von 450.000.

Bis Ende 2010 sollen es knapp fünf Millionen werden - das sind ähnlich viel wie vor den schmerzhaften und einschneidenden Arbeitsmarkt- und Sozialreformen der rot-grünen Koalition. Die Bundesregierung geht nur von geringfügig besseren Zahlen aus. Die Höhe der Arbeitslosigkeit hat aber einen direkten Effekt auf die Lage der Sozialversicherungssysteme, denn sie werden vor allem aus Beiträgen finanziert, die sich aus Löhnen und Gehältern speisen.

Besonders gravierend wird sich das auf die Arbeitslosenversicherung auswirken. Denn hier führen mehr Arbeitslose nicht nur zu geringeren Beitragseinnahmen, sondern auch zu höheren Ausgaben. Das zehrt jetzt schon an den Reserven der Bundesagentur für Arbeit (BA), wie die Behörde am Mittwoch berichtete. Danach entstand bereits im ersten Quartal 2009 eine finanzielle Lücke im Budget.

Die BA erwartet aber, dass "die großen Belastungen erst noch bevorstehen". Derzeit verfügt die Bundesagentur über ein Finanzpolster von knapp 17 Milliarden Euro. Allerspätestens Mitte nächsten Jahres dürfte davon nichts mehr übriggeblieben sein. 2010 wird im Etat der BA deshalb ein Milliarden-Defizit entstehen. Dann muss der Bund mit einem Darlehen einspringen, was neue Lücken in Steinbrücks Haushalt reißt.

Die nächste Schreckensbotschaft dürfte bereits an diesem Donnerstag verkündet werden. Im Bundesversicherungsamt der beschaulichen Stadt Bonn kommen gegen neun Uhr die Rechenexperten für das deutsche Gesundheitswesen zusammen und kalkulieren den Tag über, was die Krise für den Gesundheitsfonds bedeutet. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) erwartet ein Minus von mehr als drei Milliarden Euro.

Sinkende Einnahmen im Gesundheitswesen

Die Auswirkungen spüren Patienten, Ärzte und Kassen nicht gleich, sondern wohl erst 2011. Dann nämlich soll der Fonds das zinslose Darlehen zurückzahlen, mit dem der Bund im jetzt laufenden Jahr für die Beitragsausfälle einsteht. Wie die Lage 2010 aussieht, ist nur schwer abzuschätzen. Aller Voraussicht nach werden die Ausgaben im Gesundheitswesen steigen. Die Einnahmen dürften hingegen deutlich sinken, da die Arbeitslosigkeit drastisch in die Höhe schnellt. Unter den Kassen ist die Rede von einem Finanzloch, das an die zehn Milliarden Euro umfassen könnte. Will die Regierung damit nicht mitten in der Krise mit steigenden Beiträgen reagieren, werden die Kassen gezwungen, Zusatzbeiträge zu erheben, die nur der Arbeitnehmer aufbringen muss.

Eine gute Nachricht allerdings wird es in diesem Jahr noch für die Rentner geben. Ihre Bezüge steigen so kräftig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Angesichts der wachsenden Arbeitslosigkeit wird dieser Anstieg der letzte für Jahre sein. Stattdessen sind Nullrunden zu erwarten. Rentenkürzungen gelten derzeit als unwahrscheinlich, auch weil die große Koalition sie gesetzlich verhindern will. Nahezu ausgeschlossen ist, dass die Beiträge wie bislang geplant 2012 von 19,9 auf 19,5 Prozent sinken werden. Dazu reichen die Reserven der Rentenkasse nicht.

© SZ vom 30.04.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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